Die israelische Armee hat ihre Angriffe auf Gaza noch einmal verstärkt. Und das, während hunderttausende Menschen noch in der Stadt sind und irgendwie versuchen zu überleben. Es ist schwer, in Zeiten solcher Brutalität noch Hoffnung zu finden. Da stosse ich auf ein Interview mit einem Palästinenser aus der Westbank – und ich kenne ihn sogar: Daoud Nassar, der Leiter des Tent of Nations, das ich selbst vor 20 und vor 18 Jahren zweimal besucht habe: eine Familienfarm, deren Besitzer – ohne Gewalt, ohne Hass – seit 30 Jahren versuchen, dem enormen Druck standzuhalten. Ich erinnere mich gut an die Zelte, die Olivenbäume und den Wein, an die Kapelle in einer Höhle und die offene Küche – aber auch an die massiven Sicherungszäune ringsum, die Befestigungsanlagen der illegalen Siedlungen.

Mit grosser Kraft und Ausdauer kämpfen die Nassers für den Erhalt ihrer 42 ha grossen Farm. Sie versuchen, als Familie täglich nach den ursprünglichen christlichen Werten von Feindesliebe und Vergebung zu leben. Wie sie sich nicht erlauben zu resignieren oder zu verzweifeln – das ist ein ungeheures Beispiel – und davor ziehe ich den Hut.
Das «Tent of Nations» befindet sich neun Kilometer ausserhalb von Bethlehem. Obwohl die Familie Nasser den Kauf ihrer Wein- und Ölberge vor hundert Jahren mit Dokumenten nachweisen kann, müssen sie sich seit Jahrzehnten gegen Attacken wehren – vor Gericht, gegen Siedler, gegen Militär und gegen die Abrisspläne der israelischen Regierung. Für viele ist es ein Wunder, dass es das Tent of Nations immer noch gibt.
Das liegt vor allem an der Ausdauer von Daoud Nasser. Er studierte in Österreich und Deutschland Tourismus, spricht fliessend deutsch – und öffnete die Farm als Treffpunkt für junge Menschen und alternative Touristen – und auch Friedensaktivisten.
In so einer Gruppe war ich damals auch: Wir waren auf einer spirituell-politischen Friedenspilgerreise. Mit Israelis und Palästinensern gingen wir zu Fuss durch die Westbank und machten eine mehrtägige Pause im Tent of Nations. Dort halfen wir bei der Olivenernte und anderen anfallenden Arbeiten. Abends berichtete Daoud aus seinem Leben und dem friedlichen Kampf ums Land. Ich glaube, unser Motto gefiel ihm so gut, dass er es übernahm: Wir weigern uns, Feinde zu sein. Als Internationale Besucher waren wir ausserdem eine Art menschlicher Schutzschild auf friedliche Weise: Armee und Siedler griffen eher Ländereien an, wo es keine internationalen Zeugen gab.
Mit der Journalistin Gabriele Schoder spricht Daoud jetzt auch über die Geschichte seiner Familie. Er investiere deshalb so viel Geduld und Mühe in den Erhalt des eigenen Landes, «weil wir als palästinensische Christen glauben, dass Gott uns dieses Land anvertraut hat, damit wir es bebauen, bewahren und erhalten als Segen für uns und andere.» Diese spirituelle Beziehung zu ihrem Land sei seiner Familie immer wichtig gewesen. Sie wohnte direkt auf dem Land, sogar am Anfang in Höhlen, und auch die Kinder sollten hier aufwachsen. Das war auch in Palästina nicht üblich: Man lebte normalerweise im Dorf und ging von dort aus auf die Felder. «Meine Familie hat das anders gemacht», erzählt Daoud der Journalistin, «denn für sie ist der Weinberg nicht bloss ein materieller Besitz, sondern ein Weinberg des Herrn.»
Auch heute wird noch in den Höhlen übernachtet, auch von Gästen. «Ich bin zwar nicht in einer Höhle aufgewachsen, aber in derselben Verbindung mit dem Land als spiritueller Heimat, die wir nicht aufgeben wollen.»
Trotz der wachsenden Angriffe auf das «Tent of Nations» blieben die Nassers stets gewaltfrei und ohne Hass. «Wir weigern uns, zu hassen», sagt Daoud, denn: «Niemand kann uns zum Hass zwingen.» Gewaltfreiheit sei für ihn keine Schwäche und keine Strategie, sondern ein Ergebnis des Glaubens.
«Wir glauben an Gerechtigkeit», betont er. «Unter dem Motto „Wir weigern uns, Feinde zu sein“ wollen wir das Negative mit dem Positiven überwinden.» So entstand Tent of Nations als ein internationales Friedensprojekt.»
Dem Interview ist zu entnehmen, dass das Tent of Nations noch mehr als damals bei meinen Besuchen eingeschnürt und bedroht wird. Ein neuer Aussenposten einer illegalen Siedlung wurde direkt am Zaun errichtet. Siedler haben Strassen durch das Gelände gebaut. Der juristische Prozess um die Anerkennung der Eigentumsrechte ist eingefroren. All das heisst aber nicht, dass Daoud und seine Familie aufgeben. Denn er sieht auch, dass Nachbarn, die vor 30 Jahren noch über ihn gelacht haben, jetzt dasselbe machen: «Viele haben ihre Grundstücke jahrelang brachliegen lassen, jetzt pflanzen sie Bäume und entwickeln eine neue Beziehung zum Land. Wir versuchen zu motivieren: Es gibt einen anderen Weg, ohne Gewalt, friedlich.» Das heisse nicht, dass man den Feind umarmen müsse. «Es ist umgekehrt: Ich weigere mich, Feind zu sein. Dieser aktive, gewaltlose Widerstand ermöglicht eine Zukunft. Es ist Zeit für Gerechtigkeit.»
Auf die Antwort der Journalistin, dass das utopisch klänge, sagt er: «Ich möchte nicht, dass mein Leben vom Hass bestimmt wird. Ich muss Hass mit Liebe überwinden, Dunkelheit mit Licht. Es ist für uns sehr wichtig, an diesen Prinzipien festzuhalten. Wir erwarten nicht, dass wir von heute auf morgen Frieden bekommen. Ich glaube, ich muss täglich tun, was möglich ist, auch wenn ich die Ergebnisse noch nicht sehe.»
Ohne Druck aus dem Ausland aber habe die Gerechtigkeit so schnell keine Chance, weiss Daoud. «Wir brauchen internationale Aufmerksamkeit und Präsenz auf dem Gelände, wir brauchen politische Unterstützung von Regierungen, Kirchen.»
Dafür ist er viel unterwegs, halte Vorträge, sucht Gesprächspartner vom Europaparlament bis zum Vatikan, um auf seinen legalen Kampf aufmerksam zu machen: «Wir sind angewiesen auf die internationale Gemeinschaft.»
Natürlich seien die Probleme in Gaza drängender. «Aber im Schatten dessen, was in Gaza passiert, werden auch in der Westbank Fakten geschaffen.» Ihr Beispiel solle gerade auch der neuen Generation helfen, an diesem Ziel festzuhalten: Gerechtigkeit. Denn es sei normal, dass Ärger und Hass im Herzen wachsen, wenn man von illegalen Besetzern bedroht werde. Aber: «Wichtig ist, dass sie da nicht bleiben und einen zerfressen. Sondern dass der Zorn in eine positive Energie umgewandelt werden kann. Dass er das Engagement befeuert.»
Auf die Frage, ob er nie resigniert sei, gibt er zu, dass das vorkomme. «Ich versuche dann, an unsere Prinzipien zu denken. Die Kerze im dunklen Tunnel, die wir für andere sein wollen: Sie brennt noch. Ich werde immer wieder aufstehen. Für uns ist das aktive Hoffnung: nicht einfach auf Rettung von aussen hoffen, sondern selbst tatkräftig handeln. Das Leben muss am Ende siegen. Der Olivenbaum muss am Leben bleiben. Das ermutigt mich, weiterzumachen. Ich pflanze einen Baum. Ich giesse ihn.»

Schlafplatz in einer Höhle - alle Foto: Text of Nations