«Im Weltall suchen wir auch den Sinn»

50 Jahre nach der Mondlandung soll der Mars kolonisiert werden. Was Tech-Milliardäre dort suchen und warum es wichtig ist, sich um die Erde zu kümmern, erklärt die Physikerin Kathrin Altwegg im Gespräch mit Jessica King und Florian Wüstholz.

Kathrin Altwegg ist Physikerin und Weltraumforscherin und war lange Direktorin des Center for Space and Habitability der Universität Bern. (Foto: Florian Wüstholz)

Milliardär und Tesla-CEO Elon Musk möchte in sechs Jahren Menschen auf den Mars befördern. Was denken Sie darüber?

Das ist ein Bubentraum. Es ist nicht realistisch.

Warum nicht?

Es ist für mich einfach Science Fiction. Der Zeithorizont von sechs Jahren ist illusorisch. Musk hat bis heute noch keinen Menschen ins Weltall befördert. Das setzt unglaublich viel Vorbereitung voraus. Zudem wären die Astronauten grossen Mengen kosmischer Strahlung ausgesetzt. Diese wirkt ähnlich wie Radioaktivität und zerstört zum Beispiel DNA. Die europäische Mission ExoMars hat die Strahlung auf dem Weg zum Mars gemessen. Das Resultat: Ein Weg entspricht 60 Prozent der für Menschen erträglichen Strahlendosis. Das ist eine Tatsache, eine gemessene Grösse.

Und doch hält Musk an seiner Vision fest, und es gibt Menschen, die sich ein Leben auf dem Mars sehnlichst wünschen. Warum?

Sie finden es abenteuerlich. Es spricht eine Ader im Menschen an. Die wollten schon immer erobern, neue Länder entdecken und Grenzen überwinden. Das ist eine zutiefst menschliche – und wahrscheinlich auch männliche – Eigenschaft. Es ist der Wille, irgendwo weit weg von allem auf der Erde zu sein. Ein Ort, wo man sich bis jetzt keine Menschen vorstellen konnte. Ganz ähnlich wie bei den ersten Expeditionen zum Südpol. Aber die Idee, wir könnten auf den Mars auswandern und dort wohnen, wenn wir die Erde kaputt gemacht haben, ist dummes Geschwätz. Wir sollten besser zur Erde Sorge tragen. Das ist eine Flucht. Man macht ein Durcheinander und lässt es zurück, um wo anders hin zu gehen.

Techmilliardäre investieren hunderte Millionen in dieses Vorhaben.

Heute haben viele das Gefühl, mit Technologie liesse sich alles machen. Gerade ein Elon Musk hat viel erreicht und sieht jetzt keine Grenzen mehr. Doch vielleicht merken sie selber auch, dass das Zeug, das sie bisher gemacht haben, sehr kurzlebig ist.

Aber Sie würden auch nicht auf den Mars fliegen, wenn es technisch möglich wäre?

Nie im Leben. Was wollen wir dort? Ich will nicht aus allem eine Geschlechterfrage machen. Aber vielleicht sind wir Frauen eher die bewahrenden. Wir haben Kinder und wollen diese in einer guten Umgebung auf die Welt bringen – und nicht auf dem Mars. Wir werden dort nie so herumspazieren wie auf der Erde.

Höchstens im Raumanzug.

Ja, und um sich vor der Strahlung zu schützen, müssten wir unter der Oberfläche wohnen. Was ist das für ein Leben? Was will man dort? Ja, wir können ein grosses Loch buddeln und dann alle zusammen hineinsetzen. Aber das kann man auch auf der Erde.

Sie klingen wie eine Pessimistin.

Überhaupt nicht. Ich sehe mich als Realistin. Ich sage nicht, dass ich alles mit Sicherheit weiss. Ich sage nicht, dass es unmöglich ist, auf den Mars zu gehen. Aber sicher nicht in sechs Jahren, sicher nicht in zehn, sicher nicht in zwanzig. Die Physikerin in mir kann aber nicht einfach Tatsachen und Gesetze ignorieren. Ich mag Physik und deren Gesetzmässigkeiten. Die Planeten und Kometen halten sich an die Regeln.

50 Jahre nach der Mondlandung gibt es einen regelrechten Hype um die bemannte Raumfahrt.

Raumfahrt ist wahnsinnig spannend – auch mit Robotern. Ich sehe den Menschen da eher als Störfaktor. Auf der ISS wollte man ursprünglich perfekte Kristalle züchten. Doch die Astronauten haben gestört. Wenn sie laufen, dann schüttelt’s. Heute setzen wir überall Roboter ein, warum braucht es ausgerechnet im Weltall Menschen? Und die Raumfahrt beflügelt auch so die Fantasie, wenn man plötzlich Monde wie Titan oder Europa von Nahem sieht. Da braucht man den Menschen nicht dort zu haben.

Sie geraten ins Schwärmen, wenn Sie von unbemannter Raumfahrt sprechen.

Ja, nehmen wir die Rosetta-Mission zum Kometen Churyumov-Gerasimenko. Kometen sind die ursprünglichsten Körper in unserem Sonnensystem. Sie sind im Wesentlichen seit 4.5 Milliarden Jahren tiefgefroren. Mit Rosetta haben wir enorm viel über die Entstehung unseres Sonnensystems herausgefunden.

Sie waren auch daran beteiligt.

Das stimmt, aber selbst einer der höheren NASA-Administratoren meinte einmal, dass die wichtigsten Missionen aller Zeiten Apollo, Voyager und Rosetta waren.

Wenn nicht auf den Mars, so freuen Sie sich doch sicher auf etwas anderes.

Auf die Erforschung der Jupitermonde. Sowohl die NASA als auch die ESA haben eine Mission. Für Europa ist es der Mond, wo man am ehesten das Gefühl hat, es gebe flüssiges Wasser. Zwar nicht an der Oberfläche, die ist aus Eis. Aber unter dem acht Kilometer dicken Eispanzer ist in der Tiefe vielleicht Flüssigwasser. Wenn die Modelle stimmen. Und wenn es irgendwo Leben gibt, ist es nicht auf dem Mars, sondern auf dem Europa-Mond.

Was inspiriert Sie persönlich?

Die grossen Fragen: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und sind wir alleine? Unsere Welt ist sehr säkular. Im Weltall suchen wir vielleicht auch einen Sinn. In den Naturwissenschaften versuchen wir, das «Wie» zu erklären. Aber Menschen an und für sich fragen immer auch nach einem «Warum». Warum gibt es uns? Wir sind auf der Erde gefangen und haben trotzdem immer das Gefühl, wir seien mehr als ein kleines Ding, das niemanden interessiert. Es ist Teil unserer Kultur, dass wir neugierig sind, dass wir Fragen stellen. Wie sind unser Sonnensystem und die Erde entstanden? Welche unterschiedlichen Einflüsse hatten der Mars und die Erde? Und wenn wir ins Weltall rausschauen, fragen wir automatisch: Was ist dort draussen? Und was kommt nachher?

Und was sind Ihre provisorischen Antworten?

Im Moment untersuchen wir, wie das Weltall entstanden ist – vom Urknall bis heute. Wir können noch nicht sagen, ob es sonst irgendwo Leben gibt, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr gross. Es ist aber unwahrscheinlich, dass wir es entdecken, und praktisch ausgeschlossen, dass wir damit kommunizieren können.

Werden wir irgendwann auf anderen Planeten leben, vielleicht sogar in einem anderen Sonnensystem?

Wenn Einstein recht hatte, werden wir nie in vernünftiger Zeit einen Planeten in einem anderen Sonnensystem erreichen. Egal ob mit Menschen oder einer Sonde. Die nächsten Planeten sind acht Lichtjahre entfernt.

Das Licht braucht also acht Jahre bis zu uns.

Von Materie ganz zu schweigen. Die Raumsonde Voyager ist seit über vierzig Jahren unterwegs und noch nirgends. Noch nicht einmal am Rande unseres Sonnensystems.

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