Isolation ist wie Hunger haben

Menschen, die in die Isolation gezwungen werden, wünschen sich soziale Interaktionen in ähnlicher Weise wie ein hungriger Mensch, der Nahrung sucht.

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Schon länger warnen Experten vor den psychischen Auswirkungen der Pandemie: Einsamkeit, Massenarbeitslosigkeit, Isolation und Angstzustände. Gemäss offiziellen Statistiken haben sich in diesem Jahr bisher rund 13'000 Menschen in Japan das Leben genommen. Wegen COVID-19 starben nach aktuellen Zahlen 2376. Alleine im Monat Oktober stieg die Suizidrate in Japan auf den höchsten Wert seit dem Jahr 2015. Die Zahl der Frauen, die sich das Leben nahmen, stieg um rund 40 Prozent. Die Anzahl Suizide von Kindern und Jugendlichen hat sich mit 59 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum mehr als verdoppelt.

Rebecca Saxe ist Professorin für Kognitions- und Gehirnwissenschaften am Massachusetts Institut of Technology MIT und Co-Autorin einer Studie, die die Folgen von Isolation auf das Gehirn untersucht: «Unsere Ergebnisse bestätigen unsere Vorstellung, dass positive soziale Interaktionen ein menschliches Grundbedürfnis sind. Die akute Einsamkeit motiviert den Menschen dazu, das, was ihm fehlt, nachzuholen, ähnlich wie wenn man hungrig ist», schreibt Saxe. Die MIT-Forscher fanden heraus, dass nach einem Tag völliger Isolation der Anblick von Menschen, die gemeinsam Spass haben, dieselben Hirnregionen aktiviert, die auch aktiv werden, wenn jemand, der den ganzen Tag nichts gegessen hat, ein Nudelgericht sieht.

Diese Forschungsdaten wurden lange bevor die Pandemie ausbrach gesammelt. Sie sind Teil eines Programms, das untersucht, wie sozialer Stress die Einstellungen und Motivationen von Menschen beeinflusst. Viele Studien haben bereits die emotionale und psychologische Belastung durch die Isolation dokumentiert, doch fehlten bisher weitgehende neurologische Grundlagen. Getestet wurden Hochschulstudenten, die zehn Stunden lang in einem fensterlosen Raum auf dem MIT-Campus eingeschlossen waren. Sie konnten ihre Smartphones nicht benutzen, aber es gab einen Computer im Raum, mit dem sie die Forscher im Notfall kontaktieren konnten.

Nach Beendigung der zehnstündigen Isolation wurde jeder Teilnehmer in einem MRT-Gerät gescannt. Selbst während des Scans wurde jeder soziale Kontakt vermieden. Als Vergleichsanalyse wurden sie mit einer Gruppe verglichen, die zehn Stunden lang gefastet hatte. Die Wissenschaftler konzentrierten sich auf einen Teil des Gehirns, der Substantia nigra genannt wird, einen Kernbereich im Mittelhirn. Diese Hirnregion wird mit dem Verlangen nach Nahrung und Drogen in Verbindung gebracht. In beiden Gruppen zeigte sich, dass die Testpersonen hungrig nach Nahrung oder hungrig nach sozialen Interaktionen waren.

Die Forscher wollen auch untersuchen, ob sie durch die beobachteten Gehirnreaktionen vorhersagen können, wie dieselben Teilnehmer auf die Isolation während der in den frühen Stadien der Pandemie verhängten Lockdowns reagierten.