Kinder, die früh Sterne werden

Jedes Jahr sterben in der Schweiz Kinder während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt. Die Organisation «Dein Sternenkind» bietet den trauernden Eltern ein «erstes und letztes Bild» vom totgeborenen Baby an. Dalia Fichmann ist eine der ehrenamtlichen Fotografen und Fotografinnen, die in der Schweiz in die Spitäler fahren, um mit den Eltern das verstorbene Kind bildlich festzuhalten. «Für mich ist es ein kleiner Aufwand, aber für die Eltern haben diese Bilder sehr viel Wert», sagt die Fotografin.

Das Mondkind © Dalia Fichmann

Wenn ein Kind im Bauch der Mutter oder kurz nach der Geburt stirbt, bricht eine Welt zusammen. Und wenn danach die trauernden Eltern im Spital das verstorbene Baby in den Armen halten, denken sie in der Regel nicht daran, dass sie nur in diesem Moment – vor dem Begräbnis – die Möglichkeit haben, ihr Kind mit einem Bild festzuhalten. «Das kann für Eltern nach Jahren noch ein Elend sein und sie ein Leben lang begleiten, wenn sie kein Foto von ihrem verstorbenen Kind haben», sagt Fotografin Dalia Fichmann. Oder dann kenne sie Mütter und Väter, die lediglich mit dem Handy noch ein paar schlechte Bilder von ihrem Kind knipsen konnten als Erinnerung. Die Fotos sind das einzige, was bleibt.

Vor rund zwei Jahren sah Fichmann im Internet einen Aufruf, der an Fotografen und Fotografinnen gerichtet war, die bereit sind, ehrenamtlich Sternenkinder – so werden die totgeborenen Kinder genannt – in Spitälern oder Geburtshäusern fotografieren zu gehen. Dieses Mal suchte der deutsche Verein «Dein Sternenkind» auch in der Schweiz. Die Fotografin aus Zürich meldete sich unmittelbar. «Für mich ist es ein kleiner Aufwand, aber für die Eltern sind diese Bilder sehr viel Wert, einfach unbezahlbar», sagt Fichmann.

Der Tot eines Ungeborenen ist so unfassbar, dass bis heute in der Öffentlichkeit kaum darüber gesprochen wird. Jedes Jahr jedoch sterben in der Schweiz zwischen 300 und 400 Kinder, bevor sie ins Leben hineingehen können. Fichmann: «Ich gehe etwa einmal im Monat in ein Spital fotografieren.» Dein Sternenkind schicke Fotografen und Fotografinnen schon ab der 14. Schwangerschaftswoche: «Wenn etwa Eltern bemerken, dass das Baby keinen Herzschlag mehr hat, muss das Ungeborene herausgeholt oder die Geburt auf natürlichem Weg eingeleitet werden.» Dies kann in jeder Schwangerschaftswoche geschehen.

In den letzten Jahren ist die Organisation Dein Sternenkind bekannter geworden. Früher wussten die Eltern kaum, dass sie existiert, und konnten keine professionelle Bilder von ihrem verstorbenen Kind in Auftrag geben. Mittlerweile werden die Eltern im Spital auch schon mal auf dieses Angebot hingewiesen. «Allerdings wünschte ich mir, dass die Frauenärzte und -ärztinnen die Eltern, die bereits wissen, dass sie eine Totgeburt haben werden, besser und früher über diese Möglichkeit informieren täten und grundsätzlich besser unterstützen würden», sagt die 52-Jährige.

«Der schwierigste Moment ist jener, bevor ich ins Zimmer reingehe und die Eltern sehe.»

Dein Sternenkind wurde in Deutschland gegründet. Mittlerweile ist er auch in Österreich und in der Schweiz tätig. Die Anfragen von Eltern nehmen zu: So gab es im Jahr 2016 rund noch 330 Foto-Einsätze, waren es 2019 schon 2848 und im letzten Jahr – trotz der Corona bedingten Einschränkungen – rund 3400 Einsätze in Deutschland, Österreich und der Schweiz. «Wir sind in diesen drei Ländern etwa 650 Fotografen», fügt Fichmann an. Die Bilder sind für die Eltern kostenfrei.

Der schwere Gang ins Spital: Fichmann tritt mit dem Fotoapparat ins Zimmer, kurz nachdem das Baby gestorben ist. «Für mich ist das immer der schwierigste Moment, jener, bevor ich ins Zimmer reingehe und die Eltern sehe.» Man wisse ja, dass es für die Eltern genau in diesem sehr privaten und persönlichen Moment besonders schlimm ist. Oft stelle sie aber nach dem Eintreten fest, «dass es für die Eltern fast ein wenig eine Erleichterung ist, dass ich da bin, weil sie von ihrer Trauer kurz abgelenkt werden».

Dazu käme, dass die Eltern nicht selten Berührungsängste hätten. «Wenn ich im Spitalzimmer bin, frage ich dann die Mutter und den Vater, ob ich das Baby anfassen darf.» Dieser Schritt aufs Baby zu helfe den Eltern, und auch sie würden darauf Berührungsängste verlieren und das verstorbene Kind in die Arme nehmen. Aber ja, fügt Fichmann an, um professionell arbeiten und sich auf die Bilder konzentrieren zu können, müsse sie die schmerzlichen Situationen in den Spitälern kurzzeitig verdrängen. Zurück zu Hause, wenn sie die Bilder am Computer bearbeitet, da mache sie sich viele Gedanken. «Ich versetze mich in die Eltern hinein.»
 


 

Die Bilder entstehen meist gemeinsam mit den Eltern. Das Baby wird alleine abgelichtet, ebenso werden auf Wunsch Fotos gemacht, wo man die Eltern mit dem Baby sieht, wie sie sich von ihrem Kind verabschieden. Sehr früh Geborene werden auch mal ins Wasser gelegt, damit die Haut nicht austrocknet. Die Babys bleiben im Wasser, solange die Eltern das wollen. Dalia Fichmann macht auch Bilder von den Babys im Wasser, legt dazu etwa Blumen bei. Die sogenannte Wasser-Methode ist allerdings noch nicht sehr bekannt.

Dieses erste und letzte Bild ist für Eltern, deren Kind noch vor dem Leben verstirbt, für die Verarbeitung des Verlustes notwendig. «Viele Eltern melden sich noch nach Monaten bei mir und bedanken sich, schreiben, wie viel die Bilder ihnen bedeuten.» Dalia Fichmann ist sehr froh darüber, dass auch während der Coronakrise die Fotografen und Fotografinnen von Dein Sternenkind in den Kliniken immer Zutritt erhalten. «Es scheint den Spitälern und dem Pflegepersonal bewusst zu sein, wie wichtig diese Bilder sind.»

www.dein-sternenkind.eu

Internetseite von Dalia Fichmann