Das ist eine neurologisch-psychologische Angelegenheit: Für mein täglisches Wohlbefinden brauche ich einen Moment, in dem ich etwas nicht bezahle, sondern entwende. Anders gesagt: Ein Tag, an dem ich nichts klaue, ist für mich ein verlorener Tag – also eigentlich ein geklauter Tag. Kolumne.

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Da es sowieso langsam alle wissen, kann ich es auch gleich in die Zeitung schreiben: Ich leide seit frühester Kindheit unter Kleptomanie. Sie können sich das etwa so vorstellen: Sobald ich etwas klaue, stösst dies im basalen Cortex des Frontallappens meines Gehirns, also auch im neuronalen, primär motorischen Rindenfeld durch die hormonelle Aktivierung des Thalamus Glückshormone, sogenannte Endorphine aus. Vereinfacht gesagt: Stehlen macht mich glücklich und ich bin süchtig danach!

Ein Tag, an dem ich nichts klaue, ist für mich ein verlorener Tag, also eigentlich ein geklauter Tag. Viele Leute denken, dass wir Kleptomanen uns durch den Akt des Stehlens irgendwie bereichern wollen. Diese Vorstellung ist vollkommen falsch. Bei uns Kleptomanen löst nur der Akt des Stehlens den süchtig machenden Kick aus. Das Diebesgut an sich interessiert uns überhaupt nicht. Ich klaue praktisch immer nur Dinge für die ich überhaupt keine Verwendung habe, wie zum Beispiel Putzmittel, Babybrei und Früchtetee.

Einmal habe ich meinem Nachbarn ein Pferd geklaut. Versteckt habe ich es im Velokeller. Da es in der Nacht immer wieherte, hat es meine Freundin natürlich rasch entdeckt. Sie ist sowieso ein Goldschatz, denn sie bringt dann immer das Diebesgut an die Bestohlenen zurück. Als sie das Pferd dem Nachbar zurückbrachte, hatte er schon vermutet, dass ich hinter dem Diebstahl stecke, da ich drei Wochen zuvor schon seinen Hund geklaut hatte.

Vor gut zwei Jahren änderte sich mein Verhalten grundlegend: Hatte ich vorher konsequent andere Menschen bestohlen, begann ich nun ausschliesslich mich selbst zu beklauen. Die Verhaltensmodifizierung innerhalb meiner Kleptomanie, hat den grossen Vorteil, dass ich nicht mehr fremde Personen schädige, sondern nur noch mich selbst. Zum Beispiel hatte ich diese Kolumne schon lange geschrieben und auf meiner externen Festplatte abgespeichert. Letzte Woche hatte ich aber dann den unwiderstehlichen Impuls, mir die Festplatte zu klauen. Ich versuchte sie vor mir zu verstecken, indem ich sie im Garten vergrub. Vorgestern rief mich dann der Chefredaktor der Wochenzeitung an. Er teilte mir mit, dass die ganze Redaktion in Panik sei, weil meine Kolumne noch nicht eingetroffen sei und diese bedeute, dass die Ausgabe zum ersten Mal in ihrer Geschichte nicht erscheinen könne.

Widerwillig entschloss ich mich nach dem Telefonat dazu, die Festplatte wieder auszugraben und die Kolumne an die Redaktion zu mailen. Klauen macht Spass, aber die Konsequenzen sind manchmal echt mühsam.