«Mein Humor hat etwas gelitten»
Thomas Brändle ist Kleinunternehmer und Schriftsteller und führt das «Café Brändle» in Unterägeri. Er verweigerte die Zertifikatskontrolle in seinem Betrieb und schloss nach der dritten Anzeige die Türen seines Cafés für alle Gäste. In unserer Serie «Was ist aus uns geworden?» erzählt der gelernte Bäcker-Konditor-Confiseur, wie es ihm heute geht und welche Erkenntnisse er aus der Corona-Krise zieht.
Zeitpunkt: Wie hat sich Ihr Arbeitsumfeld seit der Corona-Krise verändert?
Thomas Brändle: Durch die unter Strafandrohungen bei Nichteinhaltung und von einer steten Angstpropaganda begleiteten Massnahmen der letzten zweieinhalb Jahre hat sich natürlich auch das Gäste- und Kundenverhalten verändert. Wir beispielsweise haben neue, andere Kunden gewonnen, aber haben auch etliche Gäste, die weniger oder gar nicht mehr kommen. Es gibt auch solche, die uns nicht mehr berücksichtigen, weil ich mich der Zertifikatskontrollpflicht verweigert, und im Dezember 21 nach der dritten polizeilichen Anzeige mein Café (nicht den Laden) kurzerhand bis am 17. Februar 2022 für alle geschlossen hatte. Ich hatte mich bis anhin auch an jene Massnahmen gehalten, die ich persönlich sinnlos fand, aber mit dem Zertifikat war bei mir die rote Linie dann definitiv überschritten. Durch natürliche Abgänge haben wir inzwischen unsere monatlichen Lohnkosten so weit reduziert, dass wir unser Geschäft neu montags und dienstags schliessen können. So haben wir mehr Zeit für uns und unseren Fünfjährigen. Seit 1971 war das Geschäft mehr oder weniger die ganze Woche durchgehend geöffnet.
Was hat sich in Ihrem Leben verändert?
Mein Humor hat etwas gelitten. Zu gerne wüsste ich, wie sich Dürrenmatt zu all dem geäussert hätte.
Wie geht es Ihnen heute?
Mir und meiner Familie geht es gut. Aber wir spüren bei manchen Kunden und Gästen vermehrt ein erheblich grösseres Mitteilungs- und Gesprächsbedürfnis, was unsere Arbeit nicht nur einfacher macht.
Wie hat sich Ihr soziales Umfeld verändert?
Ich bin schon vor Corona aus einigen Vorständen und Vereinen ausgetreten, weil ich durch den Wiedereinstig ins elterliche Geschäft und Familiengründung (beides 2017) einfach andere Prioritäten setzen musste. Für manche ist wohl aufgrund meiner Haltung die Begegnung mit mir etwas schwierig geworden. Sie gehen mir aus dem Weg. Und ich möchte mich niemandem aufdrängen. Wir sind ja aber sozusagen als «öffentliche Personen» mit Café für jede und jeden fast jederzeit «besuchbar».
Welches Erlebnis der letzten zwei Jahre war für Sie einschneidend?
Wie schnell und unkritisch die Mehrheit einer aufgeklärten und gebildeten Gesellschaft ihre verfassungsmässigen Rechte hergibt, sich gegeneinander aufhetzen lässt und den gesunden Menschenverstand aufgibt, das hat mich schier sprachlos gemacht. Mein an sich positives und liberal geprägtes Menschenbild hat Schaden genommen, ja. Das Schlimmste war die (hilflose) Debatten- und Gesprächsverweigerung von den Verantwortungsträgern in Politik, Justiz und Verwaltung und die Bösartigkeit mancher Zeitgenossen. Aber unter dem Strich haben wir trotzdem viel mehr herzliche und menschliche Erfahrungen machen dürfen. Es war eine Zeit der schönen Überraschungen und Ent-täuschungen.
Welche Hoffnungen und Sorgen haben Sie für die Zukunft?
Dass die massgeblich von Medien, Politik und Verwaltung und weiteren Kreisen bewusst oder unbewusst in Kauf genommene Spaltung der Gesellschaft ohne Aufarbeitung der Geschehnisse nicht überwunden werden kann, das macht mir Sorgen. Auch wenn eine unabhängige Aufarbeitung eines Tages abgeschlossen werden kann, wird das eine grosse, wichtige Aufgabe bleiben. So oder so müssen wir einer unversöhnlichen Spaltung entgegenwirken, aber nichtsdestotrotz müssen die Dinge auf den Tisch, beim Namen genannt werden.
Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus den vergangenen zwei Jahren?
Ich habe die globale Finanz- und Bankenkrise 2008 prognostiziert; als Kantonsrat und als Buchautor (es stand im Blick): Trotzdem drehte sich die Finanz- und Wirtschaftswelt danach munter weiter und weiter, als wenn nichts geschehen wäre. Ich fragte mich seither immer wieder, wie sie dereinst den Druck aus dem Kessel rauslassen werden. Als der Bundesrat am 16. März 2020 den Lockdown verkündete, war mein erster Gedanke: Aha! Selbstverständlich hatte auch ich die ersten Wochen Respekt vor dem Virus, aber ich kannte ja bereits die Story hinter der Schweinegrippe. Und nahtlos anschliessend der wenig überraschende Krieg in der Ukraine. Staatliche Übergriffe, Einschränkungen der Menschenrechte, Revolutionen, Kriege, Inflation, Verwerfungen aller Art sind die ungeliebten «Kinder» unseres über Jahrhunderte immer wieder neugestarteten Geld- und Wirtschaftsdogmas. Es ist über die Jahrzehnte aber weder gesellschaftlich noch wirtschaftlich haltbar und hat auch seinen mathematisch logischen Lebenszyklus. Oder wie es Hans Christoph Binswanger (Geld und Magie – eine ökonomische Deutung von Goethes Faust) formulierte: «99% der Menschen sehen das Geldproblem nicht. Die Wissenschaft sieht es nicht, die Ökonomie sieht es nicht, sie erklärt es sogar als nicht existent. Solange wir aber die Geldwirtschaft nicht als Problem erkennen, ist keine ökologische Wende möglich. Finanz- und Umweltkrise sind ohne Währungs- und Geldreform nicht lösbar!»
Wir freuen uns, Thomas Brändle als Kolumnist beim Zeitpunkt begrüssen zu dürfen! Sein erster Beitrag erscheint am Samstag, 23. Juli 2022.
Weitere Geschichten der Serie: Was ist aus uns geworden?
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