Militär, wofür soll das gut sein?
Wird Ramstein noch vor Jahrhundertmitte UNESCO-Weltkulturerbe? So wie die Stadtmauern des Mittelalters heute Touristenattraktionen sind?
Die Stadtmauer von Siena
Die Stadtmauer von Siena

Heute ist die US-Airbase im rheinland-pfälzischen Ramstein nach wie vor die grösste Basis der US-Airforce ausserhalb der USA. Sie ist der Drehpunkt für die Steuerung der Drohnen, mit denen Menschen, die von Hardlinern in den USA als Feinde und Terroristen gebrandmarkt wurden, ohne Gerichtsverfahren hingerichtet werden, wo auch immer in der Welt sie sich gerade befinden.

Im 18. und 19. Jahrhundert wurden in Deutschland die Stadtmauern beseitigt, weil sie die Expansion der Städte behinderten. Aufgrund der Durchschlagskraft der neuen Kanonen hatten Stadtmauern sich seit dem 17. Jahrhundert als für die Verteidigung ungeeignet erwiesen. Zudem war eine Verteidigung der Städte nun nicht mehr nötig, denn sie brauchten nicht mehr zu befürchten, von einer besser bewaffneten Nachbarstadt oder marodierenden Söldnern angegriffen zu werden. Angst vor Angriffen eines Nachbarlandes hatten die Menschen noch immer; innerhalb einer Nation jedoch fühlten sie sich geschützt, denn dort hatten Polizei und Militär das Waffenmonopol. Das kleinere Kollektiv einer Stadt hatte aufgegeben, sich zu verteidigen, das grössere der Nation blieb verteidigungsbereit.

Seit dieser Zeit sind Stadtmauern ein gern gesehenes Monument. Sie stehen unter Denkmalschutz und sind an Orten wie Rothenburg ob der Tauber eine grosse Touristenattraktion.

Wie wird es sein, wenn die Nationen erkannt haben, dass aufgrund von Atomwaffen und grenzüberschreitenden Drohnen auch sie sich nicht mehr vor Angriffen ihrer Nachbarn schützen können? Wenn neue Waffen wie ABC und Drohnen ihre Panzer, Flugzeuge und Kriegsschiffe obsolet gemacht haben werden. So wie einst bei den Städten wird, sobald sich diese Erkenntnis durchgesetzt hat, ein übergeordnetes Waffenmonopol die Bewaffnung der nationalen Kollektive untereinander unnötig machen.

Wie gut, dass ich mich in der Strasse, in der ich wohne, nicht gegen die dort ebenfalls wohnenden Nachbarn bewaffnen muss! Ebenso hat auch die Gemeinde, deren Bürger ich bin, keinen Grenzschutz und kein Militär, geschweige denn Wehrpflicht. Ebenso das Bundesland, in dem ich wohne, zurzeit ist das Nordrhein-Westfalen. Auch die Nation, in der ich lebe, hat gegen ihre Nachbarn Frankreich und Polen keine befestigten Grenzen mehr.

Wie sieht es mit dem nächstgrösseren Kollektiv aus? Braucht mein Kontinent befestigte Grenzen gegen Eindringlinge aus Asien und Afrika? Nein, aber die Weltgesellschaft braucht ein neues Konzept bezüglich Weltbürgertum, Nationalbürgertum, Mobilität und Migration.

Wenn die Weltwirtschaft nicht mehr systematisch in einem Teil der Welt Armut erzeugt, um in einem anderen Teil Reichtum anzuhäufen, wird der grösste Teil des Migrationsdrucks abebben. Sobald eine neue Ordnung der Weltgemeinschaft die Androhung von Gewalt der Nationen gegenüber ihren Nachbarländer sowie gegen Minderheiten im eigenen Land tatkräftig verhindern kann, wird auch der Strom politischer Flüchtlinge abebben, die in einem anderen Land Asyl suchen.

Eine echte «rules based order» (regelbasierte Ordnung) gibt es ja bislang nicht, sondern nur das Recht des Stärkeren, der mehr Militärmacht hat, um sich physisch durchzusetzen, und mehr propagandistische Macht, um das, was er tut, als gut und richtig oder wenigstens unausweichlich darzustellen.

Sobald diese Zusammenhänge durchschaut sind und das Militär als so unnötig erkannt wurde wie die Stadtmauern von anno dazumal, werden militärische Einrichtungen wie Minenfelder, Bunker und Militärflughäfen wie Ramstein nicht mehr nötig sein. Bunker sind ja bereits jetzt in vielen Fällen touristische Attraktionen. Auch Minenfelder nach ihrer Räumung? Vielleicht so wie die Todesstreifen und ihre Wachttürme, mit denen die DDR sich vor dem Brain Drain der in den Westen Flüchtender schützen wollte.

Ramstein könnte ein Museum werden zum Bestaunen der Zeiten, in denen das Führen kalter und heisser Kriege und das Hinrichten politischer Gegner ohne Gerichtsverfahren noch gang und gäbe waren. Vielleicht noch vor Mitte dieses Jahrhunderts? Ich jedenfalls fände einen Besuch des Museums der Ramstein Airbase interessanter als den einer mittelalterlichen Burg mit Folterkammer und Verlies. Verliese hatte (und hat?) ja auch die Airbase Ramstein. Und Folterkammern? Im Irakkrieg und in Guantanamo folterte das US-Militär. Ob das auch in Ramstein der Fall ist, weiss ich nicht.

Die aktuelle Aufrüstung in der ganzen Welt, am krassesten im kürzlich noch fast vorbildlich friedfertigen Europa, ist von vielen Beobachtern als absurd bezeichnet worden. Russland muss doch viel mehr Angst vor der NATO haben als umgekehrt. Umso mehr vor einem wieder kriegstüchtig gewordenen Deutschland, für dessen völkermörderische Gewalt gegen Russland es noch lebende Zeitzeugen gibt.

Dass Militär ein Land schützen könne, ist heute so obsolet wie im 18. Jahrhundert der Glaube, die Mauer um eine Stadt könne deren Bewohner schützen. Was uns heute schützt, ist nicht Bewaffnung.

Die Waffen eines zum Feind erklärten Kollektivs ängstigen. Zuerst den Feind, dann auch uns selbst. Auch Verteidigungswaffen ängstigen, denn sie können im Handumdrehen für Angriffe eingesetzt werden.

Auch Ge-Schütze greifen an, obwohl sie vom Wort her so tun, als würden sie nur schützen. Wie leicht lassen wir uns doch durch Sprache täuschen! Wie leicht glauben wird, durch ein »Sondervermögen« mehr zu vermögen, obwohl es uns doch verschuldet und so an die wirklich Vermögenden bindet, an die Reichen, deren Schuldner wir dann sind. Sondervermögen sind in Wirklichkeit Sonderverschuldungen – und Geschütze sind angriffsfähige Kanonen, welche die von uns zum Feind Erklärten ängstigen, sodass auch sie glauben, aufrüsten zu müssen, vielleicht auch dort mit Sonderverschuldungen, die auch dort die Reichen noch reicher machen. Blackrock verdient ja an jedem Krieg, ebenso wie an jeder Pandemie und auch an der Angst vor beidem.

Deutschland will bis 2030 wieder kriegstüchtig geworden sein, mit der dann grössten Armee von Westeuropa. Wer dabei nicht Angst bekommt, hat wohl im Geschichtsunterricht das 20. Jahrhundert übersprungen oder verdrängt und noch nie den eigenen Grosseltern zugehört.

Was uns schützt, sind nicht Waffen, sondern friedliche Beziehungen zu unseren Nachbarn. Der Apokalypse eines dritten Weltkriegs müssen wir den Willen zu einer Entwaffnung entgegensetzen. Das Kollektiv der Weltgemeinschaft muss sich vor sich selbst schützen. Schwerter müssen zu Pflugscharen werden, Mordinstrumente zu Überlebenshilfen. So wie Stadtmauern zu Touristenattraktionen wurden, können Bunker zu Meditationshotels werden, so wie das Upleven Hotel der Stille auf einem Deich an der Nordsee: Es wurde auf einem Bunker errichtet, dessen Kanonen einst den Kriegshafen an der Wesermündung schützen sollten – heute finden dort die Gäste in der Meditation ihren inneren Frieden.

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