Stilllegung ist nicht gleich Sicherheit

In Frankreich und der Schweiz sind mit den Atomkraftwerken Fessenheim und Mühleberg kürzlich gleich drei Reaktoren für immer vom Netz genommen worden. Jetzt richtet sich der Fokus auf den «Rückbau» und mögliche Risiken.

Atomkraftwerk Fessenheim ©Florival.fr

An beiden Standorten handelt es sich um alte und leistungsschwache Atomkraftwerke. So nimmt es nicht Wunder, dass für die Stilllegungsentscheide nicht etwa ein grundlegendes Umdenken nach dem nuklearen Unfall in Fukushima 2011 ausschlaggebend war, sondern in beiden Ländern wirtschaftliche Gründe zu dem Aus führten.

Electricité de France (EDF) wusste bereits 2017, dass sie das AKW Fessenheim aus Kostengründen vom Netz nehmen muss. Trotzdem hat EDF die formelle Einreichung des Stilllegungsgesuchs auf 2019 verschoben. In dieser Zeit konnte EDF dem französischen Staat – notabene ihrem Mehrheitsaktionär – eine Entschädigung von über 400 Millionen Euro abringen, obwohl ein wirtschaftlicher Weiterbetrieb kaum möglich gewesen wäre. Das berichtet die Schweizer Energiestiftung SES.

Ähnlich sah die Situation für die Mühleberg-Betreiberin BKW im Jahr 2013 aus. Nach Fukushima forderte die Schweizer Atomaufsichtsbehörde ENSI kostspielige Investitionen in die Sicherheit. Zu teuer für die BKW. Sie entschied sich für die Stilllegung, rang aber dem ENSI die Betriebsbewilligung bis Ende 2019 ab, statt nur bis 2017. Weil die BKW bereits früh wusste, dass sie Mühleberg 2019 vom Netz nehmen würde, konnte sie in Ruhe die Stilllegung vorbereiten und Gelder auf die Seite legen.

Anders die EDF: Das Stilllegungsgesuch reichte sie zu spät und mit einer Vielzahl an Lücken ein. Selbst Monate nach der Stilllegung sind noch viele Fragen offen. Der Stilllegungsplan ist bereits heute in Verzug. «Die Vorbereitung der Stilllegung ist wichtig, darf aber nie auf Kosten der Sicherheit gehen», so die Einschätzung von Simon Banholzer, Leiter Fachbereich Atomenergie bei der SES. «Faktisch lief Mühleberg die letzten Jahre, ohne die ursprünglich verlangten Sicherheitsvorschriften einzuhalten. Das ENSI drückte beide Augen zu.»

Ein ausgeschalteter Reaktor bedeutet noch lange nicht die totale Sicherheit. Mit der Ausserbetriebnahme eines Atomkraftwerks verschiebt sich der Fokus vom Reaktor zum Lagerbecken, wo fortan die gesamte letzte Brennelementladung sowie ältere Brennelemente gekühlt werden.

Erst nach einer gewissen Abklingzeit können die ersten Brennelemente in ein Zwischenlager abtransportiert werden. Die Radioaktivität im Lagerbecken steigt nach der Ausserbetriebnahme massiv an. In Mühleberg befindet sich das Lagerbecken allerdings in der Reaktorkuppel und ist dadurch gut gegen äussere Einflüsse geschützt. (Abb. rechts)

 

 

In Fessenheim hingegen befinden sich die Lagerbecken in schwach geschützten Nebengebäuden. (Abb. links) Lagerbecken enthalten ein sehr hohes radioaktives Inventar, wenn bei Revisionen der Reaktoren alle Brennelemente darin aufbewahrt werden. Im Lagerbecken von Fukushima Daiichi 4 war dies der Fall, als der Tsunami eintraf. Nach einer Explosion im Lagerbeckengebäude drohte lange Zeit eine Brennelementfusion, weil das Wasser auslief, was zu einer deutlich schlimmeren Exposition der Bevölkerung geführt hätte.

Ein grosses Beben in Fessenheim mit den beiden gefüllten Lagerbecken könnte ebenso viel radioaktives Cäsium freisetzen, wie es in Fukushima vorgekommen ist.
Für die Stilllegungsphase fordert die SES deshalb klare Vorgaben durch die Behörden, eine Regelung der finanziellen und rechtlichen Umstände sowie das Bewusstsein für die weiterhin bestehenden Gefahren. Dabei sollte die Aufsicht bei der Sicherheit des Kraftwerks keine Kompromisse eingehen.