«Ich strandete mit meinem Kunstprojekt in der Karibik»
Wie gehen Kunstschaffende mit der Krise um? Heute endet die Montagsserie. Dafür gleich mit einem sehr beeindruckenden Projekt und Künstler, der für sein Werk drei Jahre die Welt umsegelte, bis Corona kam. Harald Reichenbach erschafft mit «G-Cubes» ein Monument, das auf Meeresmüll aufmerksam macht und Menschen auf der ganzen Welt miteinbezieht.
Weit weg, auf einer paradiesischen Insel in der Südsee: Am Strand gehen Jugendliche auf und ab und lesen Müll auf. Müll, den das Meer angeschwemmt hat oder andere Menschen liegen gelassen haben. Es geht um Umwelt, Nachhaltigkeit, Natur, ja. Aber es geht auch um die Zukunft und um Kunst. Obwohl Lomaloma paradiesisch ist, hat das kleine Dorf auf Vanua Balavu im Fidji-Archipel mit Müll an den Stränden zu kämpfen. Das Plastik und die Konserven werden die Jugendlichen später zu kleinen Würfeln verarbeiten, zu Kunstobjekten also. Zwischen den jungen Sammlern steht ein Mann aus Bern.
Rund drei Jahre ist es her, als Harald Reichenbach diese Aktion auf Fidji anleitete. Mit seiner Yacht hatte der Maler, Performance- und Installationskünstler die abgelegenen Inseln erreicht. Und es war nur einer der vielen Orte, die er in einer abenteuerlichen Weltumseglung mit seinem Umwelt- und Kunstprojekt «G-Cubes» angesteuert hatte. Gestartet war er September 2017 in Marseille in Frankreich. Halt machte er auf dieser Reise unter anderem in Panama, Ecuador, Australien, Indonesien, Indien, Oman oder Südafrika. Immer dort, wo die Ortschaften mit ihrem Müllproblem alleine gelassen worden sind und Reichenbach mit den lokalen Schulen gemeinsam sein Projekt umsetzen konnte.
«Für die Investoren, die Müll einsammeln und weiterverarbeiten, sind die kleinen Inseln völlig uninteressant, da sie damit zu wenig Gewinne erzielen», erklärt der Berner. «Deswegen werden die kleinen Inseln total vergessen.»
Das Projekt G-Cubes, das sich für saubere Meere und saubere Küstenregionen einsetzt, ist Reichenbachs Antwort auf diesen Missstand. «Mit den Kindern und Jugendlichen schnitten wir den ganzen Strandmüll auseinander, wuschen ihn, entfernten das organische Material, pressten dann den Plastikmüll und gossen ihn in Harz.» Was dabei rauskommt: viele kleine farbige Würfel – Cubes.
Die Würfel sind Teil eines grossen Projektes. «Die Idee ist es», sagt der 62-Jährige, «aus 1000 solchen Würfeln, die von Kindern aus der ganzen Welt hergestellt wurden, am Ende einen grossen Würfel zu machen – ein Monument.» Ein Kunstobjekt, so Reichenbach, «das aus einem Kubikmeter maritimem Müll entstanden ist».
Mehr als drei Jahre schiffte Reichenbach um die Welt. Die Segelreise gestaltete sich meist reibungslos. Im Oman jedoch musste er einen längeren Stopp einlegen, weil Piraten vor den Küsten von Somalia ihr Unwesen trieben. Es war zu gefährlich durchzureisen. Er entschied sich den längeren Weg einzuschlagen und Afrika zu umschiffen. Da war es denn auch, wo er erstmals von Corona hörte, in Kapstadt in Südafrika. Auf dem Weg nach Südamerika häuften sich die Nachrichten über den Virus. «Als ich in der Karibik auf der Insel Grenada landete, verhängte der Inselstaat fünf Tage später den totalen Lockdown.» Und hier endete Reichenbachs Weltumseglung. Und somit vorerst ebenso sein Projekt G-Cubes, zumal alle Schulen überall geschlossen worden waren.
«In der Karibik war ich wegen Corona vier Monate auf meiner Yacht eingesperrt.»
«Es war eine Katastrophe», sagt der Berner. «Ich war vier Monate auf meiner Yacht eingesperrt, durfte erst gar nicht Land betreten und dann nur an gewissen Tagen, um Essen einzukaufen.» Es sei so eng gewesen, auf diesem kleinen Schiff. «Ich geriet vorübergehend in eine Depression.» Dann der Lichtblick: Lockerungen. Reichenbach durfte Anfang Juli zurückfliegen in die Schweiz. Das Schiff jedoch musste er erst mal auf der anderen Seite des Atlantik stehen lassen.
«Die 1000 Würfel habe ich noch nicht zusammengebracht», sagt er. «Aber symbolisch gesehen ist die Weltumseglung abgeschlossen, ich bin von Karibik zu Karibik gereist.» Viele der Würfel hätten bereits vor Corona die Schweiz erreicht. «Und die restlichen sollen jetzt in Zusammenarbeit mit Schulen auf der ganzen Welt gepresst werden und ebenso per Versand hierher gelangen.»
Reichenbach ist mittlerweile seit bald einem Jahr in Bern. Sein Glück: Er ist auch Kunstmaler. «Nach beinahe fünf Jahren Malpause wegen G-Cubes, fühle ich mich im ‹Lockdown› eigentlich fast ein bisschen verwöhnt. Ich kann wieder malen, ohne jegliche gesellschaftliche Verpflichtungen oder Ablenkungen zu haben.» Und private Kunden könnten auch weiterhin Bilder aus seinem Atelier kaufen. «Das ist wunderbar.» Unter anderem aus diesem Grund muss sich Reichenbach während der Krise nicht mit finanziellen Problemen herumschlagen.
«Ich will die Demokratisierung der Kunst.»
Was er mit seinem Kunstschaffen will? «Mit der Malerei etwa möchte ich mir ein eigenes Universum aufbauen, eine eigene Bildsprache entwickeln.» Aber dann – seit seinen frühsten Anfängen – gehe es ihm zudem um die «Demokratisierung der Kunst». «Es ist eine Tatsache, dass sich der Kunstmarkt über die Jahrzehnte immer weiter von den Betrachtenden entfernt hat. Was heute zählt, sind investitionsorientierte Namen, nicht das eigentliche Werk. Dass dabei die Mehrheit der Kunstschaffenden ausgeschlossen wird, ist äusserst befremdlich.»
Eher schlecht sehe es nach wie vor für G-Cubes aus, da der Hauptpfeiler des Projektes die Schulen sind. Diese seien aber immer noch mehrheitlich geschlossen. «Deshalb ist G-Cubes momentan in einer Art Corona-Winterschlaf.» Da Reichenbach das Projekt künftig aus Bern weiterführen wird, will er bald schon sein Schiff nach Europa zurückholen. Bis dahin wird er weiter an den den Vorbereitungen für die Fortführung von G-Cubes arbeiten und malen. Dasselbe empfiehlt er auch anderen Künstlern: «Weitermachen, durchhalten und immer munter und mit Freude das Fähnchen der Kunst hochhalten.»
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