Der Krieg gegen die Ukraine beelendet und schmerzt mich. So viel Zerstörung, Tod und Leid! Die Verzweiflung wird mit jedem Tag grösser. Hoffnung macht nur der Widerstandsgeist der Ukrainer:innen. Besonders beeindruckten mich die Bilder von unbewaffneten Menschen, die sich russischen Soldaten und Fahrzeugen in den Weg stellen.

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Diese Bilder von gewaltfreiem Widerstand sind unterdessen verschwunden. Die Angriffe auf Wohnhäuser und Zivilist:innen werden immer brutaler. Wer kann, flieht oder greift zu den Waffen.

Und doch wage ich es zu träumen. Viel Anderes bleibt mir nicht übrig. Was wäre, wenn sich viel mehr Ukrainer:innen in den Weg gestellt hätten? Zu Beginn, als Putin sein Narrativ, die Ukraine befreien zu wollen, noch aufrechterhalten wollte und sich mit rücksichtsloser Gewalt gegen Zivilist:innen vor den Augen einer digitalen Welt noch zurückhielt? Wäre es möglich gewesen, damit die russische Armee aufzuhalten? Und gibt es jetzt noch Raum für gewaltfreien Widerstand? Wohl kaum. Und schon gar nicht vom fernen Schreibtisch aus.

Und dennoch: Gewaltfreier Widerstand hat sich schon mehrfach bewährt, um eine Besatzung zu erschweren, zu verhindern oder zu beenden. Es wäre naiv zu glauben, dass damit die angestrebten Ziele immer und allein erreicht werden könnten. Aber koordiniertes, couragiertes und kompetentes gewaltfreies Handeln stellt eine Ressource dar, auf die keine Gemeinschaft verzichten sollte. Auch in Krisenzeiten nicht.

Die Schweiz diskutiert gerade mal wieder die Zukunft der Dienstpflicht. Armee und Zivilschutz sind besorgt, dass sie nicht mehr genügend junge Menschen rekrutieren können. In der jetzigen Situation dürfen sie wieder mit grossem Rückhalt und mehr Mitteln rechnen.

Zwei Varianten werden weiterverfolgt. Erstens: Der Zivildienstes wird dem Zivilschutz untergeordnet. Zweitens: Dienstpflicht auch für Frauen, es würden aber nur so viele Personen rekrutiert, wie Armee und Zivilschutz benötigen. Beide Varianten bedeuten das Ende des Zivildienstes.

Die Schweizer Sicherheitspolitik verengt sich nicht erst heute, mit der aktuellen Situation in der Ukraine, auf militärische Optionen. Der Wert und die Wichtigkeit von zivilem Widerstand, gewaltfreier Konfliktlösung, präventiver Konflikttransformation und integraler Friedensförderung werden vernachlässigt.

Vor 15 Jahren habe wir eine «Friedens-Schule» für Zivildienstleistende organisiert: Als Pendant zur Rekruten-Schule haben Zivis eine Woche lang die Grundlagen der gewaltfreien Konfliktlösung erlernt: Kommunikation, Deeskalation und Intervention. Zivilcourage ist lernbar, und kann vieles bewirken.

Elemente des Kurses für gewaltfreie Konfliktlösung wurden in die Zivi-Grundausbildung integriert. Einsätze zur Konfliktprävention im öffentlichen Raum wurden getestet und Einsätze zur Konfliktdeeskalation an Grossveranstaltungen angedacht. Es blieb bei Ansätzen und Gedanken. Die Schweiz war – und ist – noch nicht bereit, ernsthaft über zivile Konfliktprävention nachzudenken.

Doch auch ohne aktive Konfliktprävention leistet der Zivildienst bereits Grosses für die Gemeinschaft. In den letzten Jahren leisteten Zivis gut 1.7 Millionen Diensttage pro Jahr. Sie unterstützen Berg-Bäuerinnen, pflegen Biotope und Senioren, bauen Trockensteinmauern und betreuen Kinder, Geflüchtete, Behinderte und Betagte.

Der Zivildienst verbindet Landesteile, Generationen und Lebenswelten und fördert gemeinsame Identitäten und Zusammenhalt. Und damit genau den sozialen Kitt, der die Grundlage für zivilen und militärischen Widerstand darstellt.

Stellen Sie sich vor, wir würden Jahr für Jahr junge Menschen nicht nur im Kriegshandwerk, sondern auch in zivilem und gewaltfreiem Widerstand trainieren? Zivilcourage wäre Teil des Lehrplans? Und wir würden eine zivile Friedenstruppe aufbauen, ihren strategischen Einsatz planen?

Nur ein Traum. Doch wir entscheiden, ob er Realität wird.

 

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Nicolas Zogg (40) war lange in der ehemaligen Gemeinschaft Schweiz Zivildienstleistender GSZ und später im Zivildienstverband CIVIVA aktiv. Er hat die Zivildienst-Kurse und Einsätze für gewaltfreie Konfliktlösung initiiert und geleitet. Heute ist er Vater von zwei Kindern, Umweltingenieur, Gärtner, Coach und Väterberater. Im Mai kandidiert er für die GRÜNEN für den Grossen Rat Graubünden. www.nicolaszogg.ch