«Ein Krieg zwischen Grau und Grau und nicht zwischen Schwarz und Weiss»

Ist die Neutralität der Schweiz noch zu retten? Warum mischt sich unser Land mit Sanktionen in den Krieg ein? Diese und andere Fragen wurden am Zeitpunkt-Apero vom 2. Mai in Solothurn diskutiert, von der Soziologin Verena Tobler, dem Friedensforscher Daniele Ganser, dem Oberstleutnant i.Gst Ralph Bosshard und dem Autor Mathias Bröckers.

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Zwischen Russland und der Ukraine herrscht Krieg. Es ist ein «Konflikt zwischen Grau und Grau und nicht zwischen Schwarz und Weiss», wie sich Ralph Bosshard ausdrückte, der als Mitglied der «Special Monitoring Mission to Ukraine» der OSZE über Hintergrundwissen und direkte Anschauung vor Ort verfügt.

Trotz der unscharfen Ursachen und Parteien fühlte sich die Schweiz dazu berufen, ihre Neutralität aufzugeben und Wirtschaftssanktionen gegen Russland auszusprechen. Die Schweiz sei eine Nation, die «die Neutralität in der DNA hat», sagte Pfluger treffend. Im Podiumsgespräch kristallisierte sich der Tenor rasch heraus: Die Schweiz hätte sich nicht in den Krieg einmischen dürfen und neutral bleiben müssen. 

Podium Zeitpunkt-Apero
Es diskutierten (v.l.n.r.): Zeitpunkt-Herausgeber Christoph Pfluger, Ralph Bosshard, Verena Tobler, Mathias Bröckers und Daniele Ganser. 

 

Präzedenzfall geschaffen

Die Wirtschaftssanktionen wurden von der EU verhängt; kein Grund für die Schweiz, mitzuziehen. Mit den Sanktionen wurde ein Präzedenzfall geschaffen, ohne die Schweizer Bevölkerung miteinzubeziehen: «Ein tiefer Einschnitt; das Gewebe der Neutralität ist verletzt», betonte Ganser. Ferner gab es seitens des UN-Sicherheitsrats keinen Beschluss, Sanktionen zu verhängen. Die Schweiz zog mit der EU mit und verzichtete auf eigene Analysen und Lagebeurteilungen. Die Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass es sich hierbei um ein geopolitisches Spiel handle. Verfolgt werde das Ziel, dass die Ukraine der NATO betritt. Als Strippenzieherin geht klar die USA hervor. 

Dass die Schweiz die EU-Sanktionen nur vier Tage nach der Invasion übernommen hatte, liess ebenfalls aufhorchen. Ein voreiliger bundesrätlicher Entscheid. Damit sei die Schweiz in einen Krieg hineingezogen worden, betonte Pfluger. «Wir dürfen nicht zum Kriegsschauplatz werden», meinte Bosshard, der die Neutralität als wichtigste Strategie der Schweiz sieht.

Verteidigungsbündnis wird zum Angriffsbündnis

In der UN-Charta ist jedoch klar verankert, dass weder die Androhung noch die Anwendung von Gewalt erlaubt ist. Die NATO darf sich nur dann einmischen, wenn ein Mitglied angegriffen wird: «Das Verteidigungsbündnis hat sich zum Angriffsbündnis gewandelt», meinte Ganser. 

Laut Bröckers hat sich der Westen gegen Russland verschworen und katapultiere sich damit zurück in den zweiten Weltkrieg. Ferner zog er Parallelen zum Jugoslawienkrieg in den 90ern. Die Angriffe waren ausschlaggebend, dass sich die NATO-Staaten dazu verpflichteten, die Schutzverantwortung «Responsibility to protect» aufrechtzuerhalten.  

«Regime Change»

Russland als alleiniger Aggressor zu sehen sei falsch, meinte Bröckers. Es sei ein Krieg, der die USA gegen Russland führe, um ein «Regime Change» herbeiführen. Folgende Frage ist berechtigt: Was hat Russland, was die EU nicht hat? Eigentlich wäre die Grundlage für eine fruchtbare wirtschaftliche Zusammenarbeit gegeben: «Europa hat die Arbeitskräfte und das Knowhow und Russland die Rohstoffe», sagte Bosshard. 

Der Westen ist sich offenbar nicht bewusst, was es bedeutet, wenn Russland den Hahn zu den fossilen Energieträgern zudreht. «Deutschland müsste eigentlich eine Freundschaft zu Russland pflegen», betonte Ganser.

Der Krieg bringt das Russland-China-Gespann immer enger zusammen, was sich anlässlich der Olympischen Spielen in Peking verdeutlicht hat. Putin und Xi Jinping haben öffentlich mitgeteilt, sie hätten kein Interesse daran, dass die Ukraine in die NATO gezerrt werde, so Ganser. 

Einseitige Berichterstattung

Für Tobler trägt die einseitige Berichterstattung einen wesentlichen Teil dazu bei, dass die Menschen die aktuelle Lage nicht allumfassend begreifen und falsche Schlüsse ziehen. Man dürfe sich nicht von deinen eigenen Gefühlen leiten lassen; das Urteil müsse anhand von Fakten gefällt werden, sagte sie. 

Auf die ursprüngliche Frage zurückzukommend, wie die Schweiz ihre Neutralität zurückgewinnt, meinte Tobler, dass der Weg entweder über Allianzen oder eine Initiative führe. Pfluger knüpfte daran an und betonte, dass es sich hierbei nicht um die bequeme Neutralität handle, von der vorwiegend die Kapitalisten profitieren. Er wünsche sich eine aktive Neutralität, die sich am Frieden orientiert.