Der Missionar der freien Meinung …
… oder das Phänomen Roger Köppel. Aus dem Podcast «5 Minuten» von Nicolas Lindt.
Wenn ich einen Menschen als Phänomen bezeichne, dann ist es ein erstaunlicher Mensch – dann meine ich damit, dass mich dieser Mensch durch seine Aussergewöhnlichkeit beeindruckt. Ein solches Phänomen ist zweifellos Roger Köppel, seines Zeichens Chefredaktor der Weltwoche und SVP-Nationalrat. Und er ist es deshalb, weil er seit praktisch fünf Jahren täglich von Montag bis Freitag frühmorgens um 6.30 Uhr eine geschlagene Stunde lang das aktuelle Geschehen in der Schweiz und in der Welt kommentiert.
Dabei beschränkt er sich nicht auf die Äusserung seiner Meinung, wie wir uns dies von journalistischen Kommentaren gewohnt sind, sondern er startet mittendrin und meistens spontan zu historischen Exkursen und philosophischen Höhenflügen, die ihn als profunden Geschichtskenner und philosophisch versierten Zeitgenossen auszeichnen.
Natürlich gibt es auch andere, ähnlich begnadete Publizisten. Das Phänomenale an Roger Köppel ist aber, dass er praktisch manuskriptfrei ins Mikrofon spricht und sich dabei einer Sprache bedient, die sich durch einen immensen Wortschatz und verblüffende Redewendungen auszeichnet. Sein Redefluss könnte mehr oder weniger eins zu eins in die schriftliche Form übernommen werden. Die erste halbe Stunde ist «Weltwoche daily Schweiz» gewidmet, die zweite halbe Stunde «Weltwoche daily international», wo er sich speziell auch an seine deutschen und österreichischen Zuhörer wendet.
Eine ganze Stunde und jeden Tag: Selbst seine politischen Gegner müssten ehrlich gestehen, dass ihm das keiner nachmachen kann. Aber so viel Grösse haben sie nicht. Sie «putzen die Schuhe an ihm», wie er selber es sagen würde. Ihr Köppel-Bashing ist um so lächerlicher, weil der Angegriffene selbst die Arbeit seiner Kollegen respektvoll behandelt. Auch wenn er den Kommentar eines anderen Journalisten polemisch zerzaust, so zeigt er ihm doch zunächst seine Wertschätzung.
Pauschale Urteile hört man selten bei Roger Köppel – während der Mainstream nichts anderes tut, als ihn von vornherein und aus Prinzip zu verspotten. Köppel bemüht sich auch um Verständnis für die Beweggründe seiner Gegner, und er betont immer wieder, dass auch er selbst nicht vor Irrtum gefeit sei. «Der Mensch irrt, solange er strebt», ist eines der vielen Zitate, die Köppel häufig verwendet.
Er kann auch über sich selbst lachen. Sein zweifellos vor Gesundheit strotzendes Selbstbewusstsein hält ihn nicht davon ab, mit Selbstironie in den eigenen Spiegel zu schauen. Der Humor ist eine wichtige Komponente seiner täglichen Sendung. Und wenn er rhetorisch ins Ausschweifen kommt und noch einmal dasselbe ausführt, was er gestern schon sagte, kann er mich damit trotzdem fesseln. Denn er sagt es mit einer Dringlichkeit, der man die Wiederholung verzeiht.
Diese Eindringlichkeit ist nicht inszeniert – soviel Menschenkenntnis besitze ich. Roger Köppel ist ernsthaft besorgt um das, was gegenwärtig geschieht, und er hält sich nicht vornehm zurück, er klagt an, appelliert und beschwört, er ringt um den Frieden, die Neutralität, die Demokratie, die Freiheit des Marktes, die Freiheit der Meinung. Wenn er sich leidenschaftlich in sein Credo hineinredet, dann kommt er in Höchstform, dann überzeugt er allein schon durch seine emotionale Hingabe.
Man hört ihm gerne zu. Köppel ist ein Intellektueller, doch er spricht wie ein Mensch mit gesundem Menschenverstand, er redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, zwar auf hochdeutsch, aber mit ausgeprägtem Schweizer Akzent und immer wieder mit Redensarten in Mundart, die uns allen vertraut und sympathisch sind: «S’isch gnueg Heu dune», «Blased mer doch i d Schueh», «Das schläckt e kei Geiss eweg».
Ich bin ein kritischer Mensch, aber ich gebe es zu: Ich hege eine gewisse Bewunderung für Roger Köppel. Und ich befinde mich damit in bester Gesellschaft, denn allein auf YouTube hat «Weltwoche daily» inzwischen 124’000 Abonnenten. Und die grosse Mehrheit all dieser Menschen würde wohl meine Bewunderung teilen. Das zeigt sich allein schon daran, dass Roger Köppel täglich unzählige Mails und Briefe erhält – mit kritischen Voten, mit Anregungen, doch vor allem mit Worten der Dankbarkeit. Und der Dank gilt seiner Zivilcourage.
Köppel äussert seine Meinung auch dann, wenn sie ketzerisch ist und aus Sicht seiner Gegner verboten gehörte. Doch in seiner Ehrlichkeit ist er unbestechlich. Auch seine eigene Partei, die SVP, kritisiert er, wenn er es für notwendig hält, und selbst ein SVP-Bundesrat ist vor seinem Urteil nicht sicher. Wenn Roger Köppel glaubt, etwas sagen zu müssen, dann sagt er es. Damit wird er für ganz viele Menschen zu einem Hoffnungsträger in dieser gegenwärtigen Zeit, in der die Meinungsfreiheit, die «freie Rede und Gegenrede» in Köppels Worten, akut bedroht ist.
Aber das ist noch nicht alles. Zu einem Phänomen wird Roger Köppel auch durch seinen aussergewöhnlichen Tagesablauf. Er steht unter der Woche regelmässig um halb drei Uhr morgens auf, während wir alle noch schlafen, und informiert sich über das aktuelle Geschehen. Seine Tagwache mitten in der Nacht erklärt er damit, dass er sich all den Menschen, die ihm zuhören wollen, verpflichtet fühlt. Und für die Vorbereitung der täglichen Sendung bleiben ihm nur die Stunden am frühen Morgen.
Denn dann beginnt sein Arbeitstag als Chefredaktor und Nationalrat, und wenn er am Rande jeweils erwähnt, was er in einer Woche so alles macht und wo er überall hinreist, kann es Normalsterblichen schwindlig werden. Er findet auf wundersame Weise sogar noch Zeit, Bücher zu lesen und zu empfehlen, historische und philosophische Wälzer, die sich einer schnellen, diagonalen Lektüre verweigern. Aber Köppel gibt sich mit dem, was er schon weiss, nicht zufrieden. Seine Neugier und sein Hunger nach neuen Erkenntnissen sind für ihn wie ein Lebenselixier, wie eine Droge, ohne die er nicht leben kann. Was ich sehr gut verstehe.
Man könnte nun denken, dass ein Mensch, der um halb drei Uhr morgens aufsteht, diszipliniert früh zu Bett geht. Doch berufshalber ist Roger Köppel auch abends und an den Wochenenden viel unterwegs. Und verbringt er den Abend zuhause, dann kommt es vor, dass er sich ein Fussball-Länderspiel oder einen Film mit seiner Familie anschaut. Denn Roger Köppel ist auch Familienvater. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.
Bei der Familie hört die Bewunderung auf. Wie kann ein derart ausgebuchter Mensch wie er neben all seinen Engagements Zeit für eine so grosse Familie haben? Das fragen sich viele, die Roger Köppel sonst gegen jede Diffamierung verteidigen würden. Aber was es bedeutet, vier Kinder grosszuziehen, das weiss auch ich, und so müsste der Vielbeschäftigte ehrlicherweise zugeben, dass die Familie zu kurz kommt. Seine drei Söhne, der Jüngste dreijährig, und seine Tochter erleben einen Vater, der sogar in den Ferien auf Sendung geht. Wenn «Weltwoche daily» – wie zuletzt in den Weihnachtsferien – pausiert, moderiert der Familienvater aus seinem Urlaub in St. Moritz eine Spezialserie zur Geschichte des Kurorts.
In der Leidenschaft für seine Arbeit kennt der 57-Jährige mit dem ewigen Bubengesicht hinter der Brille kein Halten. Und er zitiert seinen ältesten Sohn, der zu ihm gesagt haben soll: «Nicht wahr, Papi, du würdest deine Sendung auch dann machen wollen, wenn niemand zuhören würde.» Sein Sohn hat recht. Roger Köppel knüpft sein «Daily» nicht an die Zahl seiner Zuhörer. Er macht die Sendung aus Überzeugung. Er kann gar nicht anders.
Für mich ist er kein Workaholic, sondern ein Missionar im besten Sinne des Worts. Christliche Missionare beschrieben ihre Mission als eine Stimme Gottes, die zu ihnen sprach. Und deshalb gewichteten sie ihren Auftrag höher als alles andere. Höher selbst als ihre Familie. Niklaus von der Flüe hat die Seinen sogar verlassen, als ihn der göttliche Ruf erreichte. Auch Frauen haben dies schon getan, wenn sie glaubten, es tun zu müssen. Unter besonderen spirituellen Umständen kann es gerechtfertigt sein, wenn der höhere Auftrag vor der Familie kommt.
Diese Entschuldigung, finde ich, darf auch Roger Köppel in Anspruch nehmen. Denn auch er hat die «Stimme Gottes» erfahren. Doch nicht aus den Wolken sprach sie zu ihm, sondern aus seinem Inneren. Aus seinem Herzen. Ohne dass er sich dessen bewusst ist.
Der vermeintliche Kopfmensch Roger Köppel vollführte in der Corona-Zeit einen weltanschaulichen Quantensprung. Er wandelte sich vom gemässigten Impfbefürworter zum entschiedenen Kritiker des Corona-Irrsinns. Und dahinter steht eine offensichtliche Wandlung vom Expertengläubigen zum Expertenskeptiker. Er ging sogar noch einen Schritt weiter: Er, der Intellektuelle, äussert sich in letzter Zeit über seine akademische Zunft immer abfälliger. Er macht die Intellektuellen geradezu verantwortlich für die negative Entwicklung der westlichen Welt, für Cancelculture und Denkverbote. Und vor einigen Tagen, nachdem er die Klimakatastrophenprediger als «moderne Schamanen» bezeichnet hatte, sagte er wörtlich: «Die Schamanen möchte ich damit nicht beleidigen. Ich glaube, Schamanen sind in vielerlei Hinsicht rationaler als die angeblich so rationalen und wissenschaftlichen Apokalyptiker.»
Diese fast schon revolutionäre Aussage eines ehemaligen Medienmannes des Mainstreams hat mich dazu bewegt, über das Phänomen Roger Köppel zu schreiben. Denn er ist nicht nur ein Phänomen, weil er jeden Tag eine ganze Stunde frei ins Mikrofon spricht. Er ist es auch deshalb, weil er in einer Welt der Politik und der Medien, die sich immer gewissenloser gebärdet, auf die Stimme seines Gewissens hört, das ihm sagt: Kämpfe für das Recht auf die freie Meinung, kämpfe für die Demokratie.
Aus dem Kopfmenschen Köppel ist ein Herzensmensch geworden, ohne dass er es selber gemerkt hat. Doch er geht seinen Weg unbeirrt weiter, und es wird ihm geholfen. Wie allen Menschen, die eine höhere Aufgabe haben, schenkt das Leben auch ihm die Kraft und die Standhaftigkeit, seinen Job zu erfüllen. Er wird weiterhin tief in der Dunkelheit aufstehen und sich den Schlaf aus den Augen reiben, damit er uns Morgen für Morgen begrüssen kann mit den Worten: «Weltwoche Daily, die andere Sicht. Unabhängig, kritisch und gut gelaunt.»
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