Gibt es den ersehnten Frieden?
Was ist Frieden überhaupt? Man munkelt von Erleuchteten, die ihn gefunden haben, in Höhlen oder auf den einsamen Gipfeln der Berge. Gesellschaftlich blieb er aus, schon so lang!
Wie haben sich unsere Eltern und Grosseltern im Zweiten Weltkrieg nach Frieden gesehnt! Wie hofften die Juden, die im KZ dicht zusammengedrängt in der Gaskammer endeten, auf die rettende Hand Gottes! Wie hungern heute die Menschen in Syrien, in der Ukraine, in Russland, in Afrika, Südamerika (die Liste würde kein Ende finden) nach Frieden! Und atmen erleichtert auf, wenn wenigstens für eine Weile der Waffenstillstand ausgerufen wurde.
Wenn ein neuer Krieg ausbricht, ist die Welt kurz erschüttert und empört, dann gewöhnt sie sich daran. Und das seit Jahrtausenden!
Gibt es überhaupt Frieden – oder handelt es sich um eine Illusion?
Hat jemals jemand das Land des Friedens mit Worten beschreiben können, die mehr im Inneren aufstehen lassen als eine prüde Lebensform, von Grund auf asketisch, seicht, langweilig, tapfer, auf alles verzichtend, was im Innern Freude bereitet – ohne jede Art von Begehren, Lust und Sinnlichkeit?
Kein Friede ohne Essenz der Liebe. Keine Liebe ohne die Entdeckung der Realität eines mächtigen Friedens.
Bedeutet Friede einfach Nirwana? Eine Einkehr in metaphysische Welten, in kosmische Lichtdimensionen, wo Materie, Eros, Sinnenfreude und sexuelles Begehren besiegt und für immer zum Schweigen gebracht wurden?
Wenn der Friede nur im Jenseits zu finden sein soll, warum wurden wir dann überhaupt geboren? Nur um die Hölle auf Erden zu erleben? Konnte jemals jemand Seelenbilder beschreiben, wo Lust und Friede sich miteinander vereinen, wo Frieden gewaltig ist, mächtig und berauschend, wo er satt macht und glücklich? Wo Liebende sich umarmen, ohne bald im Kleinkrieg der Beziehung landen zu müssen? Wo der Eros zur heiligen Feier wird und alles Leben auf dieser Erde zu einer Spiegelung eines erotischen Schöpfungsvorganges wird. Wo Gott und Göttin in liebender Vereinigung alle verschiedenen Ausdrucksformen von Eros und Liebe, die auf Kontakt und Vertrauen basieren, umarmen und bejahen?
Warum steht in Weisheitsbüchern und heiligen Büchern kaum ein Wort über die Wahrheit der Zeugung, über die biologischen Grundtatsachen des Lebens? Warum musste Jesus von einer Jungfrau geboren werden? Ist ihnen allen die tiefe und wollüstige Schönheit der Umarmung zweier Liebender, das Heiligste und Elementarste, aus dem alles Leben hervorging, entgangen?
Wo sind die Worte über die Schönheit, Fülle, Pracht und Tiefe der sinnlichen Wirklichkeit? Warum gibt es keine Beschreibungen und Lobpreisungen über den weiblichen Aspekt der göttlichen Fülle und Wahrheit des Lebens? Warum wurde Gott ins Jenseits katapultiert – ein einsamer Gott, ein strafender Gott?
Eva – die Urmutter – angeblich aus der Rippe Adams geschaffen, wurde beschrieben, als sei sie schlimmer und teuflischer als der Teufel selbst. Wegen ihr ist das ganze weibliche Geschlecht für immer mit der Erbsünde behaftet. Tertullian, ein früher Kirchenvater, sagt zur Frau: «Also muss auch deine Schuld fortleben. Du bist es, die dem Bösen Eingang verschaffen hat, du hast zuerst das göttliche Gesetz ausser Acht gelassen, du bist es auch, die den betört hat, dem der Teufel nicht zu nahen vermochte. So leicht hast du den Mann, das Ebenbild Gottes, zu Boden geworfen.»
Die Vertreibung aus dem Paradies, dem Garten Eden, überschattet die menschheitliche Geschichte bis heute. Sie war der Beginn einer langen traumatischen Menschheitsgeschichte, einer Kriegsgeschichte, der Beginn des Patriarchats, wo Männer wie Frauen ihre gesunde Identität verloren haben. Krieg wurde zum Vater aller Dinge.
Krieg, Gewalt, auch sexuelle Gewalt nehmen weltweit zu. Der wachsende sexuelle Missbrauch zeigt uns die falschen Strukturen einer globalisierten Gesellschaft, in der es keine geschützen Räume für Vertrauen und Wahrheit gibt. Me-too ist der Aufschrei einer globalen Krise, die aufzeigt, dass wir alle gemeinsam in eine Sackgasse gelaufen sind.
So langsam tauchen einige aus der Hypnose der letzten Jahrtausende wieder auf. Und immer noch sehnen wir uns nach Frieden. Ist es wahr, dass wir uns nur nach etwas sehnen können, was in seiner Latenz schon existiert? Ich sehne mich nach einem Frieden, wo die Wildheit des Lebens selbst wieder eine Existenzberechtigung hat.
Friede beginnt mit der Akzeptanz alles Lebendigen. Langsam, aber sicher zieht das Wort «heilig» in einer neuen Bedeutung wieder in unser Bewusstsein. Hier geht es nicht um einen Gott, sondern um die Heiligkeit des Lebens selbst. Wenn wir diesen Anker wieder in uns selbst gefunden haben, haben wir keine Angst mehr vor der Gegensätzlichkeit des Lebens.
Ich glaube nicht an einen globalen Frieden, solange wir uns nicht aus der unbewussten Hypnose der Verbannung befreien.
Kein Friede ohne Essenz der Liebe. Keine Liebe ohne die Entdeckung der Realität eines mächtigen Friedens.
«Ich sehe nur einen Ausweg, die globale Tragödie zu beenden: das verlorene Vertrauen in der Liebe möchte wiedergefunden werden. Dann wird ein neues Kraftfeld entstehen. Freiheit, Vertrauen und Wahrheit in der Liebe brauchen ein entsprechendes soziales Umfeld, sie brauchen die Einbettung in einer Gemeinschaft von Menschen, die sich vertrauen. Sie sind das Ferment für die neuen Stämme, Gemeinschaften und sozialen Strukturen, in denen der Mensch wieder Heimat findet.» Das schrieben mein Partner Dieter Duhm und ich im Buch «Und sie erkannten sich». Manchmal sind die Wahrheiten so einfach, dass wir sie übersehen.
Dieses ist sicher kein leichter Weg, denn die Last der Geschichte lastet auf denjenigen, die diesen Weg betreten. Aber ich halte es für einen notwendigen Weg. Und da das Leben auf Heilung ausgerichtet ist, wird uns das Leben die Antworten zeigen, die wir für die Heilung brauchen, wenn wir offen für sie sind.
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