Rituale im Alltag
Hochzeit, Umzug, Todesfall – für Rituale müssen es nicht immer die grossen Übergänge sein. Vielmehr können Rituale uns helfen, auch den kleinen Wandlungen im Leben entspannter zu begegnen. Über den Wert von Ritualen und ihre Grenzen.
Vor drei Jahren habe ich versucht, meinen Ex-Freund mit einem Ritual loszuwerden. Damals waren wir schon zwei Jahre getrennt und ich trauerte ihm immer noch nach. So führte ich ein Ritual auf einer Wiese durch. Ich gestaltete einen Kreis, nahm einen Stein für meinen Ex-Freund mit hinein, bedankte mich bei ihm, verabschiedete ihn, legte den Stein bewusst aus dem Kreis – und nahm an, dass jetzt alles weg wäre. Keine Trauer mehr, keine schwierigen Gefühle. Damals habe ich gelernt, dass Rituale so nicht funktionieren.
Und dennoch: Sie haben mich nicht mehr losgelassen. Heute begleite ich beruflich Frauen in Übergangszeiten auf ihrem Weg und vor allem immer wieder mich selbst. Dabei merke ich: Rituale und ihre Wirkung lassen sich nicht machen. Ich kann mich nur auf sie einlassen – und somit zulassen, dass Wandlung geschieht.
Für mich geht es nicht um den grossen Hokuspokus, nicht um zehn Räucherstäbchen zu klangvoller Trommelmusik und mystischen Zaubersprüchen. Vielmehr geht es um die Frage: Wie können Rituale mich in meinem Alltag unterstützen? Bei all den grossen und kleinen Übergängen, denen ich jeden Tag begegne. Seien es die grossen wie Geburt, Umzug, Hochzeit oder Tod. Oder die kleinen wie der Abschied von einem Ferienort, der Wechsel in ein neues Jahr oder auch einfach der Start in einen neuen Morgen.
Ich merke: Rituale geben mir Struktur und Halt, helfen mir, mich zu fokussieren und mich klar ausgerichtet durch mein Leben zu bewegen. So nehme ich mir viermal im Jahr einen Abend Zeit, um den Jahreszeiten nachzuspüren: Was verändert sich vom Herbst zum Winter? Welche Themen sind jetzt aktuell? Was steht in meinem Leben an? Das gibt mir einen Rahmen. Wenn der Rahmen klar ist, kann sich darin das Leben frei bewegen.
Das sind meine grossen Rituale. Im Kleinen sind es die 20 Minuten Yoga am Morgen und die Kurzgeschichte am Abend, die ich lese. Beides hilft mir, mich wieder bei mir und in meinem Körper einzusammeln. Wichtig ist mir dabei, dass diese Rituale nicht starr werden. Dass ich nicht für die nächsten zehn Jahre auf meiner Kurzgeschichte am Abend beharre. Dass sie auch mal ausfallen kann, wenn es schon zu spät ist oder ich bei einer Freundin übernachte – und ich am nächsten Abend im Buch weiterlesen kann. Und: dass sich die Rituale, die ich für mich nutze, wandeln dürfen, um lebendig zu bleiben.
Für mich geht es um die Einfachheit, also darum, Rituale so in mein Leben einfliessen zu lassen, dass sie mich unterstützen. Etwa dann, wenn ich in einer öffentlichen Einrichtung ein Seminar gebe. Meist haben am gleichen Tag schon viele Menschen vor mir den Raum benutzt. Bevor ich ihn betrete, sage ich daher bewusst innerlich zu mir: Mit dem Schritt über diese Türschwelle wird dieser Raum vom allgemeinen Seminarraum zu meinem Seminarraum für diesen Abend. Und ich gehe über die Türschwelle. Das Gleiche mache ich am Ende des Abends und wandle den Raum somit wieder zurück.
Das ist für mich so, wie wenn ich am Morgen Kleidung für meinen Arbeitstag anziehe und sie am Abend gegen die gemütliche Hose für daheim tausche. Damit gestalte ich bewusst die Räume, in denen ich mich bewege. Mache mir und meinem Kopf klar: Jetzt bin ich gerade im Arbeitsmodus. Jetzt im Freizeitmodus.
Nutze ich Rituale auf diese Weise für mich, wird mein Leben klarer, einfacher. Weil es gewisse Strukturen gibt, die mir helfen, innerlich klar zu bleiben. Weil ich weiss, dass ich jederzeit einfache Mittel zur Hand habe, mit denen ich mich selbst unterstützen und ausrichten kann.
Vor vier Wochen bin ich umgezogen und habe mich bewusst von der alten Wohnung verabschiedet, ein kleines Ritual gemacht. Das hat gut getan, die Veränderung entspannt möglich gemacht. Dann kam der Umzug selbst. Und mit ihm das Durcheinander in der neuen Wohnung. Ich war kurz davor, ein Ritual zu machen, damit ich keine Mühe mehr mit dem Chaos habe. Doch ich habe mich erinnert an das Ritual mit dem Ex-Freund. Daran, dass manche Dinge neben einem Ritual auch Zeit brauchen, um sich zu entwickeln.
Statt eines Rituals, mit dem ich das Chaos wegzumachen versuche, habe ich jetzt eines für mich entdeckt, das mir dabei hilft, gut bei mir zu bleiben in all dem Wirrwarr. Das tut unglaublich gut. Weil es alltagstauglich ist und funktioniert. Und mich so auf wertvolle Weise in meinem Leben unterstützt.
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Sabrina Gundert begleitet Frauen ein Stück ihres Weges, mit Coachings und Seminaren, Büchern und Botschaften. Sie lebt und arbeitet in Engen im Hegau. www.sabrinagundert.de
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