Stiefel waren einst Männerstiefel. Heute tragen sie nur noch die Frauen. Was ist aus den Männern geworden? Die Kolumne aus dem Podcast «Mitten im Leben».

«Stiefel, wie sie früher die Herren trugen» (Bildcollage NL)
«Stiefel, wie sie früher die Herren trugen» (Bildcollage NL)

Wenn ich heute die weibliche Hälfte der Menschheit in ihren hohen, bis zu den Knien reichenden Stiefeln sehe, muss ich jedesmal lächeln. Und ich muss daran denken, dass noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts, wenn von Stiefeln gesprochen wurde, nicht von Damenstiefeln die Rede war. Solche gab es zwar, doch sie verschwanden unter den Röcken. Stiefel waren damals Männerstiefel.

Es gab Bauernstiefel, Soldatenstiefel, Matrosenstiefel und Kutscherstiefel, und es gab die Herren unter den Stiefeln, die Offiziers- und die Reiterstiefel. Ein Mann, der auf sich hielt, stolzierte in Stiefeln daher. Sie waren nicht primär praktisch, nicht pflegeleicht, sie bedurften sogar der Hilfe beim Anziehen, doch sie galten als stattlich und männlich. 

Möchte ein Mann heute Stiefel tragen – keine halben Portionen, keine Bottinen, sondern richtige kniehohe Stiefel –, wird er kaum etwas finden. Kaum etwas ausser Westernstiefel, die ihn zum Cowboy machen, oder Reiterstiefel, die ihn zum Pferdenarr machen. Und würde er doch ein spezielles Paar in einer speziellen Boutique entdecken – die Jeans dazu würden ihm fehlen.

Männerhosen sind heute nicht mehr für Stiefel gemacht. Und die Männer selbst auch nicht. Die Stiefel gehören den Frauen. Aus den Männern sind Stiefelknechte geworden, domestiziert von Dominas, die vor ihnen, in schwarze Lederstiefel gekleidet, auf und ab paradieren. Nicht im Rotlicht der Nacht, sondern nach Büroschluss in der S-Bahn. 

Bereits Teenagermädchen schmücken sich mit dem Selbstbewusstsein der Stiefel, wie sie damals die Herren trugen. Neben ihnen im Pendlerzug sitzen die Herren von heute. Sie sitzen in ihren Halbschuhen da, und es scheint, als würden sie nichts vermissen.