Stieg Larssons Erbe, ein wahrer Krimi
Die Handlungen und Intentionen eines Menschen werfen Licht auf seine Persönlichkeit. Was wir dadurch sehen, kann uns zum Vorbild werden. Aus der Serie «Warum Pippi Langstrumpf keinen Lockdown braucht – allting nu är bra – eine Spurensuche auf vier Fährten». Fährte 2.
Auf dieser Fährte verfolge ich mein schwedisches Gesellschaftsbild. Dieses ist beträchtlich gefärbt durch zwei schwedische Persönlichkeiten. Einerseits durch den ehemaligen Politiker und UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld. Er ist für mich ein Vorbild für Zivilcourage, Weisheit und Authentizität: also ein wirklicher Politiker. Und anderseits durch den politisch engagierten Journalisten und Kriminalromanautor Stieg Larsson, der im Roman «Stieg Larssons Erbe» von Jan Stocklassa sehr eindrücklich dargestellt wird.
«Wo sind nur die Menschen in dieser grossen Stadt?», denke ich erstaunt. Gerade habe ich die Fenster meines Hotelzimmers aufgestossen und blicke hinunter in das erwachende Stockholm. Es ist Montagmorgen um 8:00 Uhr und ich bin noch im Pyjama. Die leuchtende Morgendämmerung legt ihr Licht auf die alte Hafenpromenade. Auf dunklem Wasser liegen weisse Schiffe wie im Schlaf versunken. Die menschenleeren Alleen erwecken den Eindruck eines stillen Sonntagmorgens.
Die langen Dämmerungszeiten liegen wie ein dunstiges Flies in den Gassen von Gamla Stan, der Altstadt Stockholms. Ein Spaziergang dort, in den frühen Morgenstunden, führt mich ich an die Strassenecke Sveavägen und Tunnelgatan. Der kalte Ostwind weht mir ins Gesicht. Ich glaube den Schnee zu riechen, die weissen Flocken tanzen zu sehen, welche in der Nacht des 28. Februars 1986 genau hier auf den in einer Blutlache liegenden Mann sanken. «Der Mörder schoss nur ein einziges Mal, aber mit einer der stärksten Handfeuerwaffen der Welt: einer 357 Magnum.» So Stieg Larsson in einem Brief vom 20. März 1986 an seinen in London lebenden Freund und Journalisten Gerry. Der Tote im Schnee war der schwedische Premierminister Olof Palme.
Ich stehe immer noch am Tatort des Mordes von Olof Palme und denke: Wie damals sind für eine Grossstadt wie Stockholm erstaunlich wenig Menschen unterwegs, jeder für sich, den anderen kaum wahrnehmend. Eigentlich ein idealer Ort für einen Mord, öffentlich und doch anonym. Die Hintergründe sind trotz etlicher Zeugenaussagen bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Stieg Larsson hat in der Zeit bis zu seinem Tod aufschlussreiche Recherchen dazu betrieben.
Die Bevölkerung in Schweden ist multikulturell. Ich begegne hier Menschen aus aller Welt. Den typischen Skandinavier, wie ich ihn mir vorstellte, finde ich sehr selten. Die zurückhaltende, den direkten Blickkontakt vermeidende Begegnungsart der Menschen erscheint im ersten Moment oft unfreundlich. In der näheren Begegnung erweist sie sich jedoch meist als eine achtsame, freilassende Geste. Mehr Raum im Aussen schafft vielleicht auch mehr Distanz im Innern, denke ich so bei mir.
Stieg Larsson und Dag Hammarskjöld waren Herzensmenschen mit Mut und grosser Zivilcourage. Ihre Intentionen und Handlungen versickerten in diesem kühlen weiten Gesellschaftsraum. Die Frage, ob sie typische Schweden waren, macht für mich keinen Sinn mehr. Sie waren eigenwillige Persönlichkeiten, die in Schweden geboren und aufgewachsen sind.
«Allting nu är bra?» zu deutsch: «Alles ist schon gut?» Ja, aber nur wenn wir in der Begegnung stets aufmerksam Raum lassen für den anderen, und uns dadurch besser spüren. Dann erst entsteht menschliche Nähe durch Wärme und Offenheit.
Bereits erschienen:
Fährte 1: Astrid Lindgren und das Land meiner Träume
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Andreas Beers aus Bern ist Landwirt, Arbeitsagoge und Lehrer. Er kultiviert die Erde, sät und erntet, er denkt, spricht und schreibt über: Mensch, Erde und Himmel, oder was wir zum Leben brauchen.
«Was du wagen musst – du selbst zu sein. Was du erreichen kannst – in dir des Lebens Größe nach dem Maß deiner Reinheit zu spiegeln». (Dag Hammarskjöld)
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