Warnung vor der Biodiversität
Aus dem Podcast «Fünf Minuten» von Nicolas Lindt.
Eine Wiese, auf der ein paar Kühe weiden, ist ein schönes Bild. Aber wir wissen auch, dass das Bild möglicherweise schon morgen bedroht sein wird. Weil vielleicht morgen schon ein Baugespann auf der Wiese steht. Auch dieses Bild kennen wir. Ein Jahr später gibt es die Wiese nicht mehr. Weil sie überbaut worden ist.
Doch dem Bild einer Wiese, auf der ein paar Kühe weiden, erwächst eine neue Bedrohung. Die Wiese verschwindet diesmal nicht aus dem Bild. Nur die Kühe. Weil die Wiese unter Schutz gestellt wird. Unter Naturschutz. Kühe sind dann nicht mehr erwünscht. Menschen im Prinzip auch nicht. Die Wiese gehört jetzt ganz der Natur. Sie gehört den Blumen, den Libellen und Schmetterlingen. Sie ist jetzt eine biodiverse Wiese. Weil Biodiversität dem Klimaschutz dient. Sie speichert Treibhausgase und mildert die Folgen des Klimawandels: Das sagt uns die Wissenschaft. Die staatlich geförderte Wissenschaft. Eine Wissenschaft, die etwas anderes sagt, wird nicht staatlich gefördert.
Vor die Wiese stellt der Staat dann ein Schild hin. Auf dem Schild wird erklärt, dass die Wiese jetzt keine gewöhnliche Wiese mehr ist. Ohne das Schild würde ein Wanderer an der Wiese vorbeigehen, ohne sie speziell zu beachten. In ihrer Mitte blühen zwar vielleicht schönere Blumen als in einer anderen Wiese, aber abgesehen davon ist es immer noch eine Wiese wie vorher. Nur der Text auf der Tafel macht sie zu etwas Besonderem. Die Tafel ist wichtiger als die Wiese selbst. Das findet vor allem die kluge Person, die den Text auf der Tafel verfasst hat. Die kluge, studierte Person sitzt in ihrem Büro in der kantonalen Verwaltung, Abteilung Naturschutz. Ihr Studienfach war Ökologie oder Biologie, darüber weiss sie viel mehr als wir, und ihr Wissen darf sie jetzt kundtun auf dieser Tafel.
Dann fährt sie in ihrem Auto, das der Verwaltung gehört, mitten ins Naturschutzgebiet, um das Schild in die Wiese zu stellen. Vorne im Auto liegt ein Passierschein, damit jeder Wanderer sofort erkennt: Die kluge Person darf das, denn der Staat bestimmt jetzt über das Ried. Begleitet wird sie von einem nicht so studierten Mitarbeiter aus der Verwaltung. Von einem Arbeiter. Er bringt alles Nötige mit, um das Schild korrekt zu platzieren. Das kann die kluge Person nicht allein. Dafür braucht es zwei starke Hände. Die Naturschutzbeamtin steht dann daneben, mit bescheidenem Stolz, sich für die Natur engagiert zu haben, und schaut dem Arbeiter zu, wie er das von ihr so schön gestaltete Schild in den Boden rammt.
An den Bauern, dem die Wiese gehörte, verschwendet sie keinen Gedanken. Früher verdiente der Bauer sein Geld, indem er die Milch seiner Kühe verkaufte. Oder indem er ihr Fleisch verkaufte. Das machte ihn unabhängig. Wenn er die Wiese für sein Vieh nicht mehr nutzen darf, verdient er weniger Geld. Stattdessen darf er sie mähen. Dafür bekommt er eine Entschädigung. Auch für den Hof bekommt er staatliches Geld. Doch wie man weiss, bekommt er es nur, wenn er alles so nachhaltig und naturnah bewirtschaftet, wie der Staat es verlangt. Die Direktzahlungen machen ihn abhängig. Er ist dann kein freier Bauer mehr, sondern ein staatlicher Angestellter.
Das gefällt den Behörden. Sie wollen keine freien Bauern, denn finanziell unabhängige Landwirte fügen sich nicht den ökologischen Plänen, die sich die Menschen im Staat für sie ausdenken. Agronomen, Ökologen und Biologen, sie alle wollen zum Staat, weil sie dann ihre grünen Träume nicht nur hegen und pflegen, sondern auch durchsetzen können. Als Beamte haben sie Macht, und wer möchte nicht seine Weltanschauung verwirklicht sehen?
Von einer Enteignung der Wiese sprechen sie nicht. Das kommt in der Schweiz nicht gut an. Ihre Methode ist viel raffinierter. Sie kennen sich aus im Gesetzesdschungel, den niemand durchschaut ausser sie. Die Paragrafen sind ihre Stärke. Sie interpretieren alte Beschlüsse neu, stellen neue Berechnungen an, drohen mit Unterstützungsentzug, bestreiten, was sie versprochen haben und informieren so freundlich und unverbindlich, dass niemand sie angreifen kann. Auf diese Weise erobern sie Wiese für Wiese, Fläche für Fläche - und die Rekurse bleiben erfolglos.
Ihr grösster Trumpf jedoch ist der Zeitgeist. Denn Biodiversität, ein gesundes Ökosystem, Artenvielfalt und Klimaschutz sind Begriffe, die niemand in Frage stellt. Ausser jene, die davon betroffen sind. Ausser die Bauern, denen die Existenz kaputtgemacht wird, wenn sie dem Staat nicht gehorchen wollen.
Wer an einem sonnigen Herbsttag mitten in der Natur, vielleicht am Rand einer Wiese mit ein paar Kühen auf einen Menschen trifft, der einen Laptop in seiner Hand hält und sich fachmännisch umblickt – wer einer solchen Person begegnet, darf davon ausgehen, dass dieser Mensch kein Wanderer ist. Sondern ein kantonaler Naturschutzbeamter, für den diese Wiese ein Ärgernis ist. Weil sie einfach nur eine Wiese ist, auf der ein paar Kühe weiden.
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Kommentare
Die Wahl der Wörter
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...also geht es eigentlich darum
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