Nichts ist mächtiger, als Feindschaften hinter sich zu lassen.

Harte Macht prägte viele tausend Jahre lang die Geschichte und war das Kennzeichen männlich geprägter Gesellschaften. Weiche Macht löst Konflikte im Umgang mit Natur und Mensch anders. Sie sucht das Gemeinsame und löst die Widersprüche ohne Kampf auf. Sie kann die harte Macht besiegen.

Weich ist nicht gleich schwach, so viel wusste ich bereits. Aber dass Weichheit eine Macht sein kann, machten mir die Bücher zweier wunderbarer Frauen bewusst: «Mit sanfter Macht» von Scilla Elworthy und «Weiche Macht» von Sabine Lichtenfels. Letztere schreibt: «Weiche Macht ist ein Ordnungsprinzip, dem sich auf Dauer auch die härtesten Männer fügen, wenn sie merken, dass es darin keine Rache, keine Bestrafung und keine Hintergedanken gibt. Weiche Macht ist ein Prinzip der Evolution, das sofort in Kraft tritt, wenn sich das Prinzip des Vertrauens durchsetzt.»

Seit damals schaue ich bei vielen Ereignissen anders hin:
Eine biegsame Jungtanne übersteht den Orkan, während ringsum Betonpfeiler zu Bruch gehen.
Ein Mensch kann einen Eisenturm zum Einstürzen bringen, indem er ihn in Schwingung versetzt.*

Macht hat einen schlechten Ruf – aber wir brauchen sie, um zu helfen
Ich habe Ähnliches erlebt: Im Kampfsport unter Frauen war ich die beste in der Übung, mit schierer Kraft mein Gegenüber niederzuringen – bis eine viel ältere Kollegin mich einfach nur zart umarmte, und mir so meine ganze Körperkraft und Entschlossenheit raubte. Ich mag zwar stärker gewesen sein, sie aber war mächtiger. Kann diese Macht helfen, eine humanere Kultur aufzubauen?
Macht hat einen schlechten Ruf. Als Aktivisten sind wir auf der Seite der Ohnmächtigen und Unterdrückten. Aber um ihnen zu helfen, brauchen wir Macht: Nicht gegen etwas oder jemanden, nicht die harte Macht.
Harte Macht prägte viele tausend Jahre lang die Geschichte. Ihr Kerngeschäft war das Brechen von Widerständen: Ob in Eroberungszügen oder Religionskriegen, in Erziehungsmethoden, in der Technik oder im Umgang mit der Natur. Harte Macht war das Kennzeichen männlich geprägter Gesellschaften.

Die harte Macht mit weicher Macht besiegen
Wer aber das Brechen von Widerständen für männlich hält, liegt falsch. Männer die das glauben, brauchen weibliche Solidarität und Unterstützung, um die weichen, kraftvollen, schützenden und umsichtigen Männer zu werden, die wir uns alle wünschen. Weiche Macht bekämpft nicht den Gegner, sondern bezieht ihn ein. Politischer Widerstand im Sinne der weichen Macht bedeutet, uns vor Augen zu führen, dass auch wir uns in der Lage des «Gegners» befinden könnten.
Es macht also keinen Sinn, ihn zu verurteilen oder persönlich anzugreifen. Vielmehr sollten wir uns fragen: Was haben wir gemeinsam?

Nichts ist radikaler, als die Feindschaft hinter uns zu lassen
Neben einem klaren Nein – z.B. gegen eine Waldrodung – steht dann ein Ja. Steht die Frage: Wie muss das Ziel aussehen, damit es auch den Gegnern zugutekommt, so dass sie nachgeben können, ohne ihr Gesicht zu verlieren? Wie kann man der Industrie (der Polizei, der Politik) vermitteln, wie sehr auch sie z.B. von alternativen Technologien profitieren? Mit diesen Prinzipien arbeitet Scilla Elworthy seit Jahrzehnten erfolgreich.
Für radikale Aktivisten sind das herausfordernde Gedanken. Aber was ist radikaler (im Sinne von «an die Wurzel gehend»): Den Feind zu vernichten oder das Konzept der Feindschaft hinter uns zu lassen?

Zurückschlagen oder weglaufen?
Weiche Macht taugt auch zur Verteidigung gegen Angriffe. Schlage ich zurück oder laufe ich panisch weg, schüre ich die Energie des Angreifers. Doch ich kann Angriffen – sei es vom politischen Gegner oder vom Liebespartner – ausweichen wie ein Schwan. Ich muss mich nicht mit dem identifizieren, was der andere in mir angreift. Die Wut des anderen läuft ins Leere, wenn ich keine Angriffsfläche biete. Anschliessend kann man sich wieder als Menschen begegnen.

Die Macht der Resonanz
Weiche Macht ist die Macht der Resonanz. In der Physik ist Resonanz das «Mitschwingen eines Körpers mit einem anderen». Das bedeutet: Wir verschliessen uns nicht vor dem Gegenüber oder dem Widerstand, sondern öffnen uns, nehmen ihn – hinter seinen Masken und seinem Emotionalkörper – wahr. So gehen wir in Resonanz mit seiner Wahrheit.
Eine Gesellschaft, der dies bewusst ist, die das berücksichtig, im Schulsystem, in der Konfliktlösung, im Umgang mit Natur und Mensch, ist eine Kultur der weichen Macht.

Sabine Lichtenfels: Weiche Macht – Perspektiven eines neuen Frauenbewusstseins und einer neuen Liebe zu den Männern. Meiga Verlag, 2018, CHF 19.60.

Scilla Elworthy: Das weibliche Prinzip, Droemer Verlag, 1999, CHF 8.–.

 

  

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