Wer wird schuldig gesprochen, wenn die Ukraine verliert?

Wie ändert der Westen sein Narrativ und wem wird der Schwarze Peter zugespielt?

(Foto: Pixabay)

Seit Monaten siegt die Ukraine fast ununterbrochen – nach Darstellung der westlichen Meiden. Und seit Monaten laufen Russland die Truppen davon und Munition und Treibstoff gehen ihm aus. Mittlerweile ist klar, dass dieses Bild der Lage nicht der Realität entspricht und nun angepasst werden muss. Die grosse Frage: Wer muss für die drohende Niederlage der Ukraine die Verantwortung übernehmen?

In einem Krieg weiss man grundsätzlich wenig. Nicht nur wird gelogen und beschönigt, was das Zeug hält, selbst die Kriegsparteien wissen oft nicht genau, wie es um die Verluste steht, sowohl die eigenen als auch die der Gegner.

Man muss, um sich ein Bild der Lage zu machen, «logisch mutmassen»,Annahmen auf den Prüfstand stellen und allenfalls wieder verwerfen.

Tatsache ist: Die Ukraine ist zwar gelegentlich erfolgreich mit taktischen Gegenstössen. Aber im Grossen und Ganzen machen Russland und die Truppen der separatistischen Provinzen stetige Fortschritte und fügen der Armee der Ukraine schwere Verluste zu.

Die für die Ukraine bedrohliche Lage erklärt die ultimative Dringlichkeit, mit der weitere schwere Waffen gefordert werden. Sogar die Freigabe der verminten Häfen für Getreidelieferungen macht die Ukraine von der Lieferung spezieller Marine-Raketen abhängig. Ob die zusätzlichen Waffen vom Westen der Ukraine überhaupt auf dem 1200 Kilometer entfernten Schlachtfeld eintreffen, ist die eine Frage. Die andere ist, ob die teils komplexen Systeme, die monatelange Ausbildung erfordern, korrekt bedient werden können. Zweifel äussern selbst die westlichen Medien.

Trotzdem hält sich das Bild der siegenden Ukraine, gefördert von weltweit über 150 PR-Agenturen, hartnäckig in den Mainstream-Medien. Will man die Kampfmoral stärken? Weitere Waffenlieferungen erleichtern? Die Notwendigkeit von Verhandlungen reduzieren?

Sicher ist: Die Quellen der Nachrichten stammen zwar aus der Ukraine. Aber der vereinigte Westen hat sie nach Kräften verbreitet, offenbar ohne elementaren Faktencheck. Sicher ist auch, dass die Realität früher oder später auf die Illusion prallen und sie vernichten wird wie Russland die eingekesselten ukrainischen Elitetruppen im Donbass.

Der Moment der Wahrheit rückt nun beharrlich näher und zwingt zum Aufbau eines neuen Narrativs. Seit knapp drei Wochen häufen sich auch in den westlichen Leitmedien die Nachrichten über die Schwierigkeiten der ukrainischen Armee. Die Washington Post berichtete von heimkehrenden Söldnern, die wenig Erfreuliches zu erzählen hatten.
Selbst Präsident Selenskyi deutet an, täglich 100 Mann zu verlieren. Die Zahl dürfte wesentlich höher liegen.

Die Dinge laufen nicht gut für die Ukraine. Dies wurde sogar an einer öffentlichen Diskussion des eminent wichtigen Council on Foreign Relations vom 31. Mai ausgesprochen.
«Ich glaube, der Krieg im Donbas beginnt sich zu Gunsten der Russen zu wenden», sagte der frühere stv. Befehlshaber des Europäischen Kommandos der USA, General Stephen M. Twitty. Der Ukraine fehle die Kampfstärke, um die Grenzen vor 2014 wiederherzustellen und die Zeit werde knapp für eine günstige Verhandlungsposition.

Wer die Schuld trägt an der bevorstehenden ukrainischen Niederlage, ist natürlich eine komplexe Frage, die ohne Kenntnis der Provokationen und Kriegsvorbereitungen seitens der Ukraine, der USA und der NATO nicht zu beantworten ist.

Das Publikum an den westlichen Bildschirmen braucht aber eine einfache Antwort, einen Sündenbock, der die Fortführung des Krieges – «Russland schwächen» (US-Verteidigungsminister Austin) – auch nach einer ukrainischen Niederlage nicht gefährdet.

Wie das neue Narrativ aussehen könnte, dazu lieferte das Zentralorgan des «vereinigten Westens», die New York Times am 8. Juni eine aufschlussreiche Vorgabe:

«Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj hat in den sozialen Medien fast täglich über die russische Invasion berichtet. Virale Videos haben die Wirksamkeit westlicher Waffen in den Händen der ukrainischen Streitkräfte gezeigt, und das Pentagon hat regelmäßig Briefings zu den Entwicklungen des Krieges abgehalten.

Doch trotz der vielen Nachrichten, die an die Öffentlichkeit gelangen, verfügen die US-Geheimdienste über weniger Informationen zu den Operationen in der Ukraine, als ihnen lieb ist. Sie haben ein weitaus besseres Bild von Russlands Militär, seinen geplanten Operationen sowie seinen Erfolgen und Misserfolgen, wie aktuelle und ehemalige Beamte berichten.

Aus Gründen der operativen Sicherheit verschweigen Regierungen gegenüber der Öffentlichkeit oft Informationen. Diese Informationslücken innerhalb der US-Regierung könnten es der Regierung Biden erschweren, zu entscheiden, wie sie ihre Militärhilfe ausrichten soll, wenn sie der Ukraine Waffen im Wert von Milliarden Dollar schickt.

Natürlich sammelt der US-Geheimdienst Informationen über fast jedes Land, auch über die Ukraine. Aber die US-Spionagebehörden konzentrieren sich im Allgemeinen auf gegnerische Regierungen wie Russland und nicht auf aktuelle Freunde wie die Ukraine. Und während Russland für amerikanische Spione seit 75 Jahren oberste Priorität hat, haben sich die Vereinigten Staaten im Falle der Ukraine auf den Aufbau ihres Geheimdienstes konzentriert und nicht auf die Bespitzelung ihrer Regierung.»

Dieser Ausschnitt liefert die Kernelemente des künftigen Narrativs und offenbart gleichzeitig seine Lücken und möglichen Ziele:

  1. Die USA haben offenbar den ukrainischen Geheimdienst aufgebaut, wollen aber ungehinderten Zugang zu seinen Erkenntnisse versäumt haben. Das ist nicht glaubwürdig. Während einiger Wochen wurde die geheimdienstliche Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und den USA und ihre positive Wirkung auf den Kampfverlauf immer wieder hervorgehoben. Sogar wer als neutraler Staat ein US-Kampfflugzeug kauft, muss seine Daten mit den US-Leitsystemen austauschen.
  2. Einmal mehr werden die US-Geheimdienste wegen unvollständiger Informationen beschuldigt. Die grössten und teuersten Geheimdienste der Welt sollen offenbar nicht in der Lage sein, über den bedeutendsten Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg akkurat zu informieren. Das ist praktisch: Man braucht keine Namen zu nennen und Köpfe rollen zu lassen, und die Politiker sind fein raus. Es ist schwer vorstellbar, dass sich die USA ohne Kenntnis der Lage derart engagieren. Wobei: Die USA könnten sich auch einfach verkalkuliert oder irrtümlicherweise an das von ihnen selbst hergestellte Bild der mächtigsten Militärmacht der Erde geglaubt haben.
  3. Wie unglaubhaft die Beschuldigung der Geheimdienste ist, zeigt der ehemalige CIA-Agent Larry Johnson in einem Beitrag «Is US-Intelligence really this screwed up?». Nach seiner Darstellung werden rund zwei Jahre vor wichtigen Operationen Pläne für die Sammlung der Daten erstellt. Dazu muss man wissen, dass die USA bereits vor dem Euromaidan von 2014 Milliarden in den Aufbau der Ukraine als möglichen Gegner Russlands investiert haben. Seit Beginn des Krieges sind dutzende Milliarden dazu gekommen. Larry Johnsons Einschätzung: Die Geheimdienste durften nicht sagen, was sie wussten.
  4. Den Geheimdiensten den Schwarzen Peter zuzuspielen hat sich bereits im Irak-Krieg bewährt: Nachdem Außenminister Colin Powel den Sicherheitsrat und die Weltöffentlichkeit über irakische Massenvernichtungswaffen belogen und einen völkerrechtswidrigen Krieg mit mindestens 288’000 Toten begründet hatte, durften die viel gerühmten US-Geheimdienste die Schuld an der Fehlinformation übernehmen, die im Grunde eine Lüge war.
  5. Selenskyj wird bereits ins Visier genommen. Er hätte fast täglich über die russische Invasion berichtet, stellt der Artikel der New York Times-Artikel nüchtern fest. Dass die Informationen offensichtlich falsch waren, wird ihm dann in der weiteren Entwicklung des Narrativs vorgeworfen werden. Der Artikel ist ein frühes Zeichen für die kommende Demontage. Selenskyi, der bereits in Teilen der Armee höchst unbeliebt ist, weil er die Evakuation der im Donbass eingekesselten Truppen nicht erlaubte, wäre ein passender Sündenbock: er ist ja nur ein Komiker. Dumm nur für all die Politiker, die ihm den Hof gemacht und mit Geld und Waffen überschüttet haben.

Das dies nicht nur Spekulation sind, zeigte US-Präsident Joe Biden bereits ein paar Tage später am Rande einer Konferenz der amerikanischen Staaten in Los Angeles vom Freitag 10. Juni. Die USA verfügten bereits im Januar über Informationen, dass Russland in die Ukraine einmarschieren wolle. Aber «Selenskyj wollte das nicht hören», sagte Biden. Selenskyj appellierte sogar persönlich an Biden, Befürchtungen vor einer Invasion nicht weiter zu verbreiten.

Auch hier wird ein Doppelspiel sichtbar: Während die New York Times sagt, die Geheimdienste seien nicht ausreichend informiert, behauptet Biden, die Ukraine hätte die (offensichtlich zutreffenden) Warnungen der Geheimdienste nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Das Durcheinander der Informationen und die Widersprüche lassen eine fast beliebige Fortsetzung des Narrativs zu. Am wahrscheinlichsten erscheint, dass Selenskyj fallengelassen wird. Damit hat die Ukraine einen Märtyrer und der vereinigte Westen kann sein Gesicht waren und den Krieg mit anderen ukrainischen Akteuren fortsetzen – was ja auch sein Ziel ist.


Ich bin ungebrochen der Überzeugung, dass sich der Krieg in der Ukraine nur mit einer grundlegenden Kenntnis des westlichen Geldsystems verstehen lässt. Die Geldschöpfung aus dem Nichts der privaten Banken erzeugt exponentielles Schuldenwachstum, Umverteilung und einen Wachstumsdruck, der das westliche Geld zur Eroberung der Welt zwingt, auch von Russland. Einfach und übersichtlich erklärt sind die Mechanismen hier:

Christoph Pfluger: Die Strategie der friedlichen Umwälzung – eine Antwort auf die Machtfrage. edition Zeitpunkt, 2019. 122 Seiten, Fr. 12.00.-/€ 11.00.-. ISBN: 978-3-9523955-9-2
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