Wie viel trauen wir unseren Kindern zu?

Es gibt unendlich viele Erziehungsratgeber – zu viele. Doch die amerikanische Mutter und Journalistin Michaeleen Doucleff greift eine ganz neue Perspektive auf. Mit ihrer kleinen Tochter lebt sie eine Zeitlang bei verschiedenen indigenen Familien auf drei Kontinenten, um von deren Erziehungsmethoden zu lernen und für die westliche Welt zu übersetzen. Das Buch, das nun auf deutsch erschienen ist, ist viel mehr als ein Ratgeber. Es erzählt Geschichten, die das Leben schreibt, und stellt in Frage, wie gut die westlichen Erziehungsmethoden den Kindern und Familien tun.

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Die Frage, wie wir unsere Kinder erziehen sollen, kann wahrscheinlich nie abschliessend beantwortet werden. Traumatisieren wir sie, wenn wir allzu autoritär sind? Oder läuft alles aus dem Ruder, wenn wir zu wenig Grenzen setzen? Lernen Kinder eher unter Druck oder nach dem Lustprinzip? Muss auf den berühmten Klaps auf den Hintern wirklich verzichtet werden? Fragen über Fragen.

Insgesamt sind Kinder und Teenager in den vergangenen Jahrzehnten immer einsamer und ängstlicher geworden, sagt die Psychotherapeutin Janet Hibbs. Warum? Unter anderem, weil die Eltern früher eher die Autonomie der Kinder gefördert haben, heute aber dazu übergegangen sind, mehr Kontrolle auszuüben. «Dadurch sind Kinder weniger auf Unvorhersehbares vorbereitet.»

Es gibt unzählige Ratgeber, die werdende Eltern auf die Herausforderung vorbereiten; anderseits sparen die eigenen Eltern, Schwiegereltern und Grosseltern oft auch nicht mit Tipps. Doch heute wird die Erziehung ganz anders gestaltet als vor 50 oder 100 Jahren – und auch je nach Kultur gibt es grosse Unterschiede.

Die amerikanische Mutter und Journalistin Michaeleen Doucleff ist dem Thema in ihrem Buch «Kindern mehr zutrauen» auf dem Grund gegangen – doch aus einer ganz neuen Perspektive. Gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter Rosy – sozusagen als lebendiges Beispiel und Testperson – hat sie zeitweise bei indigenen Familien in verschiedenen Regionen der Welt gelebt, um deren Erziehungsmethoden kennenzulernen. Das Ergebnis ist ein Erlebnisbericht, der nicht nur spannend zu lesen ist, sondern auch konkrete alltagstaugliche Tipps für Eltern auf der ganzen Welt bietet.

Mayas in Mexiko, Inuit in der Arktis und Hadza in Tansania – auf diese Stationen nimmt uns das Buch auf fast 400 Seiten mit. «Maya-Mütter sind Meisterinnen im Grossziehen hilfsbereiter Kinder. Die Inuit verfügen über bemerkenswert effektive Methoden, Kindern emotaionale Intelligenz beizubringen. Und Hadza-Eltern sind Weltmeister im Grossziehen selbstbewusstser und selbstbestimmter Kinder. Bei ihnen kennt man keine kindlichen Angststörungen und Depressionen.»

In Mexiko erleben Michaeleen und Rosy zum Beispiel mit, wie Mütter ihre Kinder von Klein an im Haushalt helfen lassen, auch wenn sie dadurch ein Chaos anrichten. «Nur so bringt man Kindern etwas bei», so die Maya-Weisheit. Denn wenn man ihnen immer sagt, das kannst du noch nicht, gewöhnen sie sich daran, dass alles für sie gemacht wird, weil sie nicht fähig sind, die Dinge selber zu tun.

Mit solchen Geschichten und Reflexionen macht uns Michaeleen Doucleff auch darauf aufmerksam, wie westlich geprägt unsere Erziehungsmethoden sind – und wie viel Spielraum besteht, wenn man über den Tellerrand hinaussieht. «Es ist, als ob wir durch ein winziges Schlüsselloch auf die Erziehungslandschaftt spähen würden», schreibt sie. Und öffnet uns die Tür.

 

Buchcover «Kindern mehr zutrauen»

     «Kindern mehr zutrauen: Erziehungsgeheimnisse indigener Kulturen.
     
Stressfrei – gelassen – liebevoll».
      Kösel-Verlag, München 2021. ISBN 978-3-466-31152-1