Macht und Hierarchie in Gemeinschaft

Ein Zitat von Robert Schumann veranlasste unsere Autorin, sich – wieder einmal – mit dem Thema «Macht und Hierarchie» zu beschäftigen.

«In egalitären Gemeinschaften zählt jede Stimme und wird gehört.» Foto: Tima Miroshnichenko
«In egalitären Gemeinschaften zählt jede Stimme und wird gehört.» Foto: Tima Miroshnichenko

Wenn alle die erste Geige spielen wollen, 
kommt kein Orchester zusammen.
Robert Schumann

Zu Hierarchie gehört natürlich die Hierarchie in unserer bestehenden sogenannten parlamentarischen Demokratie und ihrem ständigem Machtmissbrauch. Die Wähler geben ihre Stimme ab, und die Gewählten machen damit, was sie wollen (siehe dazu auch Transition News).

Und selbst wenn die so Gewählten eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen bekommen haben, bleibt eine grosse Minderheit der Menschen (die zusammengerechnet oft sogar die eigentliche Mehrheit ist), die entweder gar nicht gewählt haben oder ihre Stimme einem anderen gegeben haben, völlig aussen vor und werden gar nicht berücksichtigt. Kann man mit einem solchen System zufrieden sein? 

Aber heute bewegt mich dieses Thema in erster Linie in Bezug auf bestehende und im Aufbau befindliche Lebensgemeinschaften. Wie kann hier Egalität gelebt werden, ohne dass alle die erste Geige spielen wollen? Kann Egalität gelebt werden, wenn demokratische Mehrheitsentscheidungen eine Minderheit unterdrücken? 

 

Schauen wir zunächst mal die beiden Begriffe an: 

Macht kommt von machen, etwas machen können. Ohne Macht wären wir ohnmächtig. Ich glaube, dass es ein menschliches Grundbedürfnis ist, mit der eigenen Macht Einfluss auf bestimmte Situationen nehmen zu können und etwas in der Welt zu bewegen. Entscheidend ist, wie diese Macht gebraucht wird, ob sie für eine sinnvolle Gestaltung benutzt wird, oder ob sie als Macht über andere missbraucht wird.

Das Wort Hierarchie stammt aus dem Griechischen und bedeutet heilige Führung. Sie bezog sich zunächst nur auf die Religion und die Führerschaft der Hohenpriester. Später wurde es auch säkularisiert, und meint nun generell eine Rangordnung die vertikal pyramidal von unten nach oben verstanden wird und mit "Macht über» verbunden ist.

Hierarchie kann man aber auch als Kompetenzverteilung sehen: Bestimmte Angelegenheiten bedürfen gewisser Fähigkeiten, und die verschiedenen Bereiche werden nicht pyramidal gesehen, sondern auf einer Ebene liegend, vielleicht kreisförmig und gleichwertig. Derjenige, der die grösste Kompetenz in einem bestimmten Bereich hat, übernimmt die Führung, ist also das Zugpferd – das aber auch wieder abgelöst werden kann, wenn es jemand besser kann oder es mit besonderer Liebe machen möchte.

In der Natur geschieht alles von selbst: Die Rose blüht, weil sie blüht; sie fragt nicht nach dem Sinn ihres Blühens oder einer Rangordnung im Vergleich mit anderen Pflanzen. 

In der Tierwelt sieht es schon etwas anders aus: Da hat jede Tiergruppe eine gewisse «naturgegebene» Struktur. Und genauso braucht auch die Menschenwelt in allen Bereichen des gemeinschaftlichen Lebens Strukturen, Regeln und Ordnungen, die sie sich aber selbst schaffen muss, damit nicht das grosse Chaos ausbricht. 

Seit der Mensch seinen Individualismus immer weiter entwickelt hat, treten die Unterschiede der einzelnen Individuen immer stärker in den Vordergrund. Und da die einzelnen Menschen ganz unterschiedliche Begabungen und Kompetenzen haben, sollte man diese auch sehen, anerkennen und entsprechend einsetzen. 

Je grösser Gruppen oder Institutionen sind, umso schwieriger wird das natürlich. Darum ist es so wichtig, im Kleinen, an der Basis, mit selbstbestimmten echten demokratischen Entscheidungen anzufangen – wie wir es z.B. in der CHARTAbeschreiben. 

In jeder kleineren Lebens- oder anderen Gemeinschaft mit vielleicht 30 Menschen, gibt es Prozesse «wie im richtigen Leben»: Strukturen müssen geschaffen, Entscheidungen getroffen, Aufgaben verteilt, Konflikte bereinigt werden. In egalitären Gemeinschaften zählt jede Stimme und wird gehört. 

Das Prinzip, das in unseren patriarchalen Strukturen meistens angewendet wird, um zu Entscheidungen zu kommen, ist das Mehrheitsprinzip (s.o.), das viel zu oft zu grosser Unzufriedenheit der Minderheiten führt. 

Eine Möglichkeit, zu wirklich gerechten Entscheidungen zu kommen, ist das Konsensprinzip, das heute immer mehr in Gemeinschaften zum Einsatz kommt. Ein gutes Werkzeug, das man dafür gefunden hat und anwenden kann, ist das sog. systemische Konsensieren. Dabei geht es darum, Widerstände zu erkennen und daran zu arbeiten, zu einer Lösung oder einem Kompromiss zu kommen, mit dem alle leben können. 

Diese Methode erfordert allerdings oft sehr viel Zeit, Zeit, die für manche Entscheidungen einfach nicht da ist, weil manche Dinge sofort entschieden oder beauftragt werden müssen. Dann ist es wichtig, eine Hierarchie zu haben, in der ein oder mehrere kompetente Sprecher das Sagen haben, um schnell eine Entscheidung zu treffen. 

In meiner Gemeinschaft, die eine Genossenschaft ist, ist das die Aufgabe des Vorstands, der aus mindestens drei Mitgliedern besteht. Für die einzelnen Bereiche haben sich Arbeitsgemeinschaften gebildet, die jeweils entsprechende Vorschläge ausarbeiten. 

Und natürlich gibt es auch in Gemeinschaften Konflikte, die aus persönlichen oder aus sachlichen Themen entstehen und nicht zuletzt häufig durch Rangkonflikte eskalieren. In einem «Rangkonflikt» ist es meist so, dass sich beide Seiten eines Konflikts gefühlt in einem niedrigeren Rang sehen, aber der anderen Seite keine «Macht» zugestehen wollen.

Die erfahrene Gemeinschaftsaktivistin und Projektberaterin Eva Stützel beschreibt es in ihrem Gemeinschaftskompass so: 

Rang hat verschiedene Wurzeln und ist sehr situativ, er kann sich je nach Situation sehr stark unterscheiden. Ich unterscheide zwischen «sozialem Rang», der aus dem sozio-ökonomischen Hintergrund einer Person kommt, «persönlichem Rang», der sich aus den Kompetenzen, der psychischen Stabilität und Erfahrungen und der persönlichen Energie zusammensetzt, und dem »strukturellen Rang», der aus der Position in der Struktur der Organisation / Gruppe, in der die Person sich befindet, resultiert.

Für alle Menschen ist es unterstützend, wenn sie bereit sind, Feedback anzunehmen. Gerade um Rangbewusstsein zu entwickeln, ist es unerlässlich, Feedback einzuladen: 

  • Wo wirke ich dominant und vielleicht einschüchternd, wo ich es gar nicht sein will und auch nicht von mir erwarte? 

  • Wo fühle ich mich schwach und wie nehmen mich meine Mitmenschen in dieser Rolle wahr? (…)

  • Wo würden sich Menschen wünschen, dass ich spreche, obwohl ich es mir gar nicht zutraue? (…)

Die Einladung, über Rangthemen zu sprechen, über die Rangposition, die Menschen in einer bestimmten Position einnehmen, im Sinne eines Forschungsraumes sich auszutauschen, ohne negativ zu urteilen, ist ein wichtiger Schritt für das individuelle und das gemeinschaftliche Wachstum.

Um dahin zu kommen, in dem grossen Weltenorchester der Menschheitsfamilie mitzuspielen, bleibt uns nur die Möglichkeit, in kleineren Gruppen das Zusammenspiel zu üben – ohne die erste Geige spielen zu wollen. Jede Stimme im Orchester hat ihren Platz, jede Stimme ist wichtig. Und nur im Zusammenspiel erreichen wir den Frieden in der Welt. 

Ein erster Schritt dahin ist das Einsetzen der Kraft unserer friedfertigen Gedanken. Am Anfang steht der Gedanke «Frieden». Daraus entstehen Worte und Handlungen, die die Welt verändern. Sei auch heute Abend um 21 Uhr wieder dabei, durch gleiche Gedanken vieler Freunde synergetisch verstärkt, diese Gedanken an eine neue, friedliche, liebevolle Welt ins morphogenetische Feld zu schicken. Nur so kann sich eine neue Welt aus den bestehenden Strukturen ent-wickeln.

Ich wünsche uns allen eine schöne Woche mit guten Gedanken für eine friedliche Welt.

Eva-Maria Gent

Eva-Maria Gent
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