Mini-Bots – eine gute, gefährliche Idee

Es ist eine mittlere Finanzbombe, die das italienische Parlament am 28. Mai gezündet hat. Nicht einmal die Opposition hat die Brisanz erkannt und der Einführung von Schuldscheinen mit Nennwerten ab fünf Euro zugestimmt. Der Clou: Diese sog. «Mini-Bots» können auch als Zahlungsmittel dienen. Eine Paralellwährung liegt in der Luft.

Claudio Borghi, Ökonom, Lega-Abgeordneter und Erfinder der Mini-Bots am «No Euro Day» 2013 in Mailand. (Foto: Fabio Visconti / Wikipedia)

Das Euro-System ist für Länder mit schwacher Wirtschaft ein Spiel, in dem sie fast nicht mehr gewinnen können. Nicht umsonst geht es vielen EU-Ländern mit eigener Währung besser – Polen mit dem Zloty (Wachstum 2018: 5,1 Prozent), Ungarn mit dem Florint (4,9) und Tschechien mit der Krone (2,9), alle mit einer Arbeitslosenrate unter 3,5 Prozent (Quelle Eurostat). Italien hat dagegen ein Wirtschaftswachstum von 0,9 Prozent und 10,7 Prozent Arbeitslose. Und mit Staatsschulden von 132 Prozent des Bruttoinlandprodukts wird es von der EU nun zum Sparen gezwungen. Da ist guter Rat teuer, selbst wenn man davon ausgeht, dass in Italien angesichts der mangelhaften Verwaltung und der Korruption grosses Verbesserungspotenzial besteht.

Ihrem Wesen nach sind Mini-Bots übertragbare Gutscheine auf staatliche Leistungen. Man kann mit ihnen Steuern bezahlen, Sozialversicherungsbeiträge oder Leistungen staatlicher Unternehmen.

Anstatt sich auf dem Anleihenmarkt oder bei den Banken teuer in Euro zu verschulden, soll der italienische Staat seine Rechnungen bei Unternehmen mit sog. mit Mini-Bots (von it. «buoni ordinari del Tesoro») bezahlen. Das jedenfalls will das Parlament. Mini-Bots sind kurzfristige zinslose Staatsanleihen mit einer Laufzeit von drei bis zwölf Monaten und niedrigem Nennwert von fünf bis 1000 Euro. Ihrem Wesen nach sind es übertragbare Gutscheine auf staatliche Leistungen. Man kann mit ihnen Steuern bezahlen, Sozialversicherungsbeiträge oder Leistungen staatlicher Unternehmen. Oder man kann sie nach Ablauf wieder in Euro umtauschen.

Die Mini-Bots sind am Ende ein Nullsummenspiel, aber dazwischen verändern sie die Geldflüsse durchaus. Der Bankensektor kann weniger Euro-Kredite verleihen und die Europäische Zentralbank weniger Geldschöpfungsgewinn erzielen, von dem Italien übrigens 12 Prozent erhält. Der Staat seinerseits spart Kreditzinsen und kann die Wirtschaft mit einem Zahlungsmittel mit hoher Umlaufgeschwindigkeit versorgen. Denn wer die Wahl hat, mit Euro oder mit Mini-Bots zu bezahlen, wird die Mini-Bots wählen, deren Marktwert tendenziell unter dem Nennwert liegen dürfte.

Ob die Mini-Bots der Umgehung der Schuldengrenze dienen, zur Belebung der Wirtschaft, als Druckmittel in den Verhandlungen mit der EU oder gar als erster Schritt zum Austritt aus der Eurozone, ist zur Zeit noch nicht klar. Alle vier Möglichkeiten sind denkbar. Zur Zeit werden sie vor allem als Gefahr für das Euro-System wahrgenommen, wozu ihr Erfinder Claudio Borghi wesentlich beigetragen hat. Der Ökonom, Lega-Abgeordnete und Präsident der Finanzkommission sagte schon vor zwei Jahren: «In dem Moment, in dem man entscheidet, aus dem Euro auszutreten, werden die Mini-Bots zum Bargeld der neuen Währung.»

Diese Absicht ist es wohl auch, die die Opposition am Wochenende wachgerüttelt hat. Parlamentarische Anträge haben in Italien allerdings keine bindende Wirkung. Das Finanzministerium kann nicht zur Herausgabe von Mini-Bots gezwungen werden. Der parteilose Finanzminister Giovanni Tria hat denn auch schon klar gemacht, es bestehe «nicht die geringste Notwendigkeit» dazu.

Der von verschiedenen Seiten vorgebrachte Vorwurf, die Mini-Bots verletzten EU-Recht, ist strittig. Gemäss Art. 128 des Vertrags über die Arbeitsweise der europäischen Union ist der Euro das einzige «gesetzliche Zahlungsmittel». Der Begriff ist allerdings im EU-Recht nicht definiert; Mini-Bots sind dies jedenfalls nicht. Art 14.4 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken ermöglicht den Zentralbanken eigene Geschäfte, solange diese nicht den Zielen des Eurosystems widersprechen. Selbst wenn die Mini-Bots diesen Zielen widersprechen sollten: Das italienische Finanzministerium ist keine Zentralbank.

Mini-Bots könnten aber auch Italiens Finanzen aus dem Gleichgewicht bringen. Wenn sie als Weg zum Euro-Austritt wahrgenommen werden, dürften die italienischen Staatspapiere als risikoreicher eingestuft werden. Das Rating würde sinken und der ohnehin hohe Schuldendienst steigen.

Was gewissen Kreisen aber mit Sicherheit sauer aufstösst, ist die Tatsache, dass die Mini-Bots das Geldschöpfungsmonopol der Zentralbanken und der Privatbanken ankratzen. Rund 90 Prozent des Geldes entstehen durch die Kreditvergabe der privaten Banken, die eine Sache verleihen, sie sie gar nicht haben. Die Spielregeln sind einfach: Kredit erhält, wer ohnehin schon Geld hat. Die anderen bezahlen wesentlich höhere Zinsen. Eine weitere, langfristig verheerende Folge dieses Systems: Die Forderungen der Banken liegen gezwungenermassen immer höher, als die Gelder, die sie schöpfen. Es hat also nie genug Geld, es müssen ständig neue und höhere Kredite vergeben werden und die Verschuldung steigt exponentiell.

Um sich aus dieser Zwickmühle zu befreien, hat schon der ehemalige griechische Finanzminister Yannis Varoufakis einen «Plan B» für den Fall einer Bankenschliessung ausgearbeitet. Der nie realisierte Plan sah vor, elektronische Schuldscheine der Regierung als Zahlungsmittel einzuführen, die über die vom Staat geführten Steuerkonten – also ausserhalb des Bankensystems – hätten transferiert werden können.

Die Mini-Bots haben aber einen Vorläufer, der tatsächlich funktioniert hat. Um dem Bankrott zu entgehen, hat Kalifornien 2009 seine Verpflichtungen mit IOUs genannten Schuldscheinen bezahlt (von «I owe you» – ich schulde dir). Diese IOUs konnten später in Dollar umgetauscht werden.

Parallel- und Komplementärwährungen machen das Geldsystem stabiler. Davon war der kürzlich verstorbene belgische Finanzwissenschaftler, Geldreformer und ehemalige Zentralbanker Bernard Lietaer überzeugt. Das Euro-System, das nur mit dauerhaftem «quantitative easing» (d.h. Gelddrucken) einigermassen stabil gehalten werden kann, wäre wesentlich besser dran, wenn die einzelnen Länder mit nationalen Parallelwährungen auf nationale Gegebenheiten reagieren könnten. Das aber wäre das Ende des Monopols des westlichen globalisierten Finanzsystems mit untereinander verbundenen Währungen unter der Herrschaft des Dollars.

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Christoph Pfluger

Submitted by admin on Do, 07/13/2017 - 08:33

Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".

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