Nach dem Krieg ist der Krieg nicht vorbei

Zurück bleiben die Witwen und Waisen, die traumatisierten Soldaten und Zivilisten, die Kriegsinvaliden, die Flüchtlinge, die Vertriebenen, die zerstörten Dörfer und Städte und die durch Minen, Streubomben und Uranmunition verseuchten Landstriche.

Screenshot von Al Jazeera

Mindestens 60 Staaten sind heute durch explosive Kriegsrückstände verseucht, durch Antipersonen- und Fahrzeugminen, durch Sprengkörper in Häusern und Massengräbern, in Ländern des Balkans, den Golanhöhen, im Iran und im Irak, Afghanistan, Syrien, Vietnam, Laos, Kambodscha, Myanmar, in der Ukraine und vielen anderen Ländern. Tausende Menschen werden jährlich durch Minen verletzt und getötet. Landwirtschaftlich nutzbare Gebiete liegen brach, weil sie vermint sind.

Genfer Internationales Zentrum für Humanitäre Minenräumung (GICHD): Kein Licht am Ende des Tunnels: Die Landminen sind wieder zurück

Barbara Haering (1) hielt am Montag, den 24. Juni 2024 im Café de la paix, an der Gartenhofstrasse 7 in Zürich beim Schweizerischen Friedensrat einen Vortrag zum Thema: «Kein Licht am Ende des Tunnels: Die Landminen sind wieder zurück». Frau Haering, ehemalige sozialdemokratische Zürcher Nationalrätin, ist Präsidentin des Stiftungsrates des Genfer Internationalen Zentrum für Humanitäre Minenräumung in Genf. (GICHD). Dieses Zentrum ist eine internationale Organisation, die sich für die Beseitigung von Antipersonenminen einsetzt und mit den humanitären Auswirkungen von anderen Landminen und explosiven Kriegsmunitionsrückständen befasst.

Café de la Paix

Das Zentrum in Genf, hilft ihren Partnern mit den Kenntnissen ihrer Experten, Gebiete von Minen zu befreien: beimErfassen der Minenfelder, der Entschärfung, der Freigabe der gesäuberten Felder und der Übergabe der früheren Minenzonen an Landwirte oder andere Benutzer. Das Zentrum vermittelt auch Kenntnisse, wie Minensucher ausgebildet und rekrutiert und welche Geräte bei der Minensuche eingesetzt werden können. Wichtig ist auch, betonte Frau Haering, dass nach dem Abschluss eines Minensäuberungsprogrammes, die Minensucher und Sucherinnen nach ihrer gefährlichen Arbeit wieder eine andere Beschäftigung finden.

Schweiz finanziert zu 60 Prozent das Zentrum für Humanitäre Minenräumung

Das Genfer Internationale Zentrum für Humanitäre Minenräumung in Genf (GICHD) wurde im April 1998 von der Schweiz und anderen Staaten gegründet und schloss 2003 mit der Schweizer Regierung ein Sitzabkommen ab, das ihm Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit garantiert. Ungefähr 20 Staaten und internationale Organisationen finanzieren das Zentrum, das heute 120 Angestellte hat. Zu 60 Prozent wird die Einrichtung durch das EDA (Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten) finanziert, anfänglich sogar zu 95 Prozent vom VBS, (Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport), wie Frau Haering sagte.

Weniger Minenopfer, aber neue Minen und Streubomben

Die Entminung einer Region ist eine Arbeit, die oft Jahrzehnte in Anspruch nimmt. Immerhin sind heute weniger Opfer zu beklagen, wie Barbara Haering ausführte. 2021 wurden 4710 Minenopfer gezählt, davon 85 Prozent Zivilpersonen, die Hälfte davon Kinder. Bis zum Jahr 2000 waren es jährlich 26'000 Opfer.

Aber es werden leider wieder neue Minen verlegt und Streubomben abgeworfen, in den Kriegen in der Ukraine, im Gazastreifen, im Jemen, im Sudan und in anderen Konflikten. Nichtstaatliche Akteure setzen heute vermehrt selbst gebastelte Minen ein, oft versteckt in Häusern. Die von Armeen verlegten Minen sind leichter zu orten. Es bestehen oft auch Verlegpläne von Armeen der Minenfelder. (Ich wurde in der Schweizer Armee als Minenzeichner ausgebildet. Wir zeichneten Pläne der verlegten Minenfelder, so dass man sie nach einem Krieg wieder hätte orten und entfernen können.)

USA hilft Vietnam bei der Räumung von Minen und Clusterbomben

Die Vereinigten Staaten unterstützen Vietnam bei der Minenräumung. 2025 ist der Vietnamkrieg fünfzig Jahre vorbei. Die USA haben im Vietnamkrieg Millionen Antipersonen- und Fahrzeugminen sowie Streubomben eingesetzt und das Land mit giftigen Entlaubungschemikalien verseucht.

Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden

Wie Frau Haering ausführte, hat sich auf dem Balkan gezeigt, dass für Angehörige von Opfern nicht nur die Mediation wichtig ist, sondern auch die Rechtsprechung. Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Durch DNA-Analysen können heute verscharrte Opfer identifiziert werden, was für die Angehörigen der Ermordeten sehr wichtig ist.

Bisher wurden nach den Kriegen auf dem Balkan noch keine Lieferanten von Kriegsgeräten am Internationalen Strafgerichtshof in den Haag zur Rechenschaft gezogen und auch keine Geldhäuser die Waffendeals finanzierten, auch nicht Politiker die solche Geschäfte absegneten.

Krieg in der Ukraine von 2014 bis heute

In der Ukraine sind das Ausmass und die Konzentration von Landminen und Blindgängern in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg am grössten. Mehr als 144.000 Quadratkilometer sind nach Angaben der ukrainischen Regierung potenziell kontaminiert. Diese Fläche ist 3,5-mal grösser als die Schweiz.

In der Ukraine haben die russischen Streitkräfte seit 2014 Streumunition eingesetzt und Minen verlegt. Auch die ukrainische Armee hat Minen verlegt und Streumunition eingesetzt, darunter von Grossbritannien gelieferte Uranmunition. Im Zweiten und Dritten Golfkrieg kam Uran-Munition zum Einsatz, ebenso in Syrien und auch 1990 im ehemaligen Jugoslawien. In diesen Gebieten werden noch heute viele Krebserkrankungen registriert, nach dem Einsatz der giftigen Uranprojektile.

Verbot von Antipersonen-Minen

Die Ottawa-Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Sie verbietet Einsatz, Lagerung, Herstellung und Weitergabe von Antipersonen-Minen und verpflichtet die Mitgliedsstaaten zur Opferhilfe.

Die Konvention zählt über 160 Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland. Wichtige Länder wie die USA, Russland und China fehlen. Die Antipersonen-Minen Konvention trat 1999 in Kraft - nach einem langen und erfolgreichen Kampf durch die internationale Zivilgesellschaft.

Im Mai 2014 wurde in Bosnien befürchtet, dass einige der 120.000 Landminen, die aus dem Bosnienkrieg übriggeblieben sind, durch die Überschwemmungen weggeschwemmt wurden.

Das Übereinkommen über Streumunition ist am 1. August 2010 in Kraft getreten. Es ist ein Verbot über den Einsatz, die Herstellung und Weitergabe von Streumunition. Als Streu- oder Clustermunition bezeichnet man Bomben, Granatenoder Gefechtsköpfe, die nicht als Ganzes explodieren, sondern eine Vielzahl an kleineren Sprengkörpern freisetzen. Besonders heimtückisch ist, dass bis zu 40 Prozent der Minibomben (auch Submunition genannt) beim Aufprall nicht zünden. Die geringste Berührung reicht dann, um sie explodieren zu lassen – auch noch Jahre später. Die im Boden lauernden Sprengsätze sind eine schreckliche Gefahr, ob für spielende Kinder oder Bauern bei der Feldarbeit.

Nicht zu den Unterstützern der Streubombenkonvention zählen unter anderem die Vereinigten Staaten, Russland, die Ukraine, die Volksrepublik China, Israel, Indien, Pakistan und Brasilien. Diese Länder gehören zu den weltweit wichtigsten Herstellern beziehungsweise Anwendern von Streumunition.

Das Europaparlament hat im Mai 2009 in einer Resolution alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Unterzeichnung des Streubomben Abkommens aufgefordert. Unter den EU-Ländern haben noch nicht unterzeichnet: Finnland, Estland, Lettland, Polen, Rumänien, Griechenland; unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert wurde das Abkommen durch die Republik Zypern.

Die USA feuerte während des Vietnamkrieges 260 Millionen Streubomben ab. Im Libanonkrieg warf Israel 1982 in nur wenigen Tagen über vier Millionen Clusterbomben ab.

Seit der Verabschiedung des Vertrags im Jahr 2008 haben die Streubomben-Vertragsstaaten gemeinsam 99% der von ihnen gemeldeten weltweiten Streumunitionsbestände und damit fast 1,5 Millionen Streubomben und 178 Millionen Submunitionen vernichtet. Im Berichtsjahr 2022 wurden ca. 75.000 Submunitionen gesichert und zerstört. Insgesamt bleiben weltweit 29 Staaten bzw. Regionen mit Submunitionsrückständen kontaminiert.

Finnland

Rückblick auf die Folgen des Winter- und Fortsetzungskrieges in Finnland (1939-1944)

Wie lange Kriege furchtbare Spuren hinterlassen können, zeigte sich zum Beispiel in Finnland: «40'000 Kriegsinvalide brauchen deine Unterstützung», konnte man in Finnland 1992 auf Eisenbahnwaggons lesen, neben Reklame für Kaffee, für Schiffsreisen und Warnungen vor Aids.

50 Jahre nach dem Winterkrieg und dem Fortsetzungskrieg – mörderische Konflikte, die zwischen 1939 und 1944 stattgefunden haben – wurde in Finnland immer noch Geld gesammelt für die noch lebenden 40'000 Kriegsinvaliden des Landes. Zur gleichen Zeit, in der eine private Hilfsorganisation für die Kriegsinvaliden betteln musste, kaufte der finnische Staat für Milliarden neue Kampfflugzeuge.

Die Schweiz müsste alles tun, damit in Zukunft nicht wieder Kriege Zehntausende oder Hunderttausende Menschen töten, verwunden, zu Flüchtlingen und zu Invaliden machen. Das heisst: Stopp der Kriegsmaterialexporte und Waffenschiebereien von der Schweiz aus. Stopp der Finanzierung von Rüstungskonzernen durch den Finanzplatz Schweiz.


Fussnote: 

(1) Barbara Haering früher auch Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft für Rüstungskontrolle und für ein Waffenausfuhrverbot (ARW).


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