Neuorientierung scheitert an fehlenden Qualifikationen
Einerseits hat die Coronakrise den Arbeitsmarkt geschwächt. Andererseits ist der Fachkräftemangel kein neues Phänomen; schon vor dem Lockdown waren Qualifizierte rar gesät. Wie haben sich die zweieinhalb Jahre auf die Stellenvermittlung ausgewirkt? Ein Insider erzählt.
Mit der Coronakrise ist auch die Arbeitswelt ins Wanken geraten. Die Stellenangebote sind während des Lockdowns im Frühling 2020 um 40 Prozent zurückgegangen. Damals stoppten viele Arbeitgeber ihre Rekrutierungsprozesse per sofort. Die geschwächte Wirtschaft hatte Zwangsschliessungen zur Folge. Darüber hinaus hat die Ausnahmesituation bei vielen Arbeitnehmern eine Sinnkrise hervorgerufen. Die Frage: «Bin ich noch am richtigen Ort?» ist ins Zentrum gerückt und damit auch der Wunsch nach einem Branchen- oder sogar Berufswechsel.
Diese Neuorientierung bringt jedoch ein Problem mit sich: Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung bewerben sich oftmals Menschen, die die erforderlichen Qualifikationen nicht vorweisen können. «Wenn du keinen Lohn mehr hast, musst du kreativ werden», sagt ein Insider gegenüber dem Zeitpunkt. Der Rekrutierer für hochqualifizierte Arbeitskräfte will anonym bleiben. Diese Entwicklung macht die Personalbeschaffung nicht einfacher. In Krisenzeiten sind die Unternehmer weniger bereit, Quereinsteiger unter Vertrag zu nehmen. Interne Schulungen sind zeitintensiv und - mit Ausnahme von Produktschulungen - kaum mehr möglich. «Teilweise entsprechen die Bewerber nicht einmal ansatzweise dem Anforderungsprofil.»
Mittlerweile hat sich der Stellenmarkt etwas erholt; eine gewisse Zurückhaltung ist dennoch zu spüren: «Die Unternehmer überlegen sich gut, ob sie die Stelle wirklich besetzen wollen.» Krieg, Inflation und die Energiekrise versetzen Firmen in einen fortlaufenden Krisenmodus. Das führt zu einem weiteren Erschwernis: Die Arbeitgeber suchen nach dem perfekten Kandidaten. «Eingestellt wird nur, wer das hohe Anforderungsprofil erfüllt.»
Auf der anderen Seite stehen qualifizierte Bewerber, die zwar aus ihrem Job rauswollen, aber trotzdem nichts Passendes finden. Die Vorstellung einer idealen Arbeitsumgebung hat sich gewandelt. «Viele wollen gar nicht mehr ins Büro zurück und geniessen die Vorteile des Homeoffice. Ist dieses nicht Bestandteil des Arbeitsvertrages, wird nicht unterzeichnet.»
Während der Homeofficepflicht haben viele Eltern realisiert, dass sie so einiges vom Familienalltag verpassen. Qualifizierte Fachkräfte wünschen sich nun, Teilzeit zu arbeiten. Passende Stellenangebote gibt es hingegen kaum. Dazu kommt der Wunsch nach flexiblen Arbeitszeiten, um dann arbeiten zu können, wenn die individuelle Effizienz am höchsten ist. «Diesbezüglich fehlt den Vorgesetzten das Vertrauen in ihr Personal. Sie haben das Gefühl, wer im Homeoffice sitzt, tut nichts. Ein grosser Irrtum.» Ein gesunder Mix aus Büropräsenz und Homeoffice wäre ideal. «Bei den Jüngeren schafft nicht das Geld, sondern die Wertschätzung am Arbeitsplatz und eine sinnstiftende Tätigkeit den Anreiz für die Zusage.»
Es wäre jetzt falsch zu behaupten, dass der Fachkräftemangel ausschliesslich der Coronakrise zuzuschreiben sei. «Die Vermittlung von Fachkräften war schon vorher schwierig; Hochqualifizierte sind rar gesät.» Mit den Frühpensionierungen kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Ältere Generationen sind sich oftmals eine andere Arbeitsweise gewohnt. Sie identifizieren sich stärker mit dem Unternehmen und sind bereit, unaufgefordert - und somit unentgeltlich - einen Zusatzeffort zu leisten. «Fallen diese Mitarbeiter weg, merken die Chefs, dass die Tätigkeit ein höheres Pensum erfordert.» Demnach braucht es mehr Personal, das derzeit Mangelware ist. Also bleiben die Stellen vakant.
Hinzu kommt, dass gute Fachkräfte über Fünfzig - trotz hervorragenden Qualifikationen - keine Anstellung mehr finden. «Dabei geht viel Know-how verloren. Meistens sind genau diese Bewerber hochmotiviert. Doch ihnen wird weder Leistungs- noch Anpassungsfähigkeit zugetraut. Zu Unrecht. Gerade ältere Generationen sind krisenerprobt. Zudem ist die Karriere kein Thema mehr; Vorgesetzte müssten sich also nicht sorgen, dass an ihrem Stuhlbein gesägt wird.»
Um auf die Auswirkungen der Coronakrise zurückzukommen, hat diese den Arbeitsmarkt alles andere als befruchtet. Ausgrenzungen aufgrund des Impfstatus haben dazu geführt, dass Menschen ihre Stelle kündigten. So ist beispielsweise der Fachkräftemangel in Staatsbetrieben und im Gesundheitswesen selbstverschuldet. «Wer sich ausgeschlossen fühlt und dem Impfdruck nicht standhält, verlässt seinen Arbeitsplatz», betont der Rekrutierer und fügt hinzu: «Diese Ausgrenzung vergiftet das Betriebsklima.» Wenn ein Ungeimpfter am Arbeitsplatz eine Maske tragen muss, kommt das einer Stigmatisierung gleich. «Greifen Menschen aus Angst zur Maske, sobald jemand hustet, trägt auch dieses Verhalten zur innerbetrieblichen Spaltung bei.»
Gegengewicht geben die Firmen, die sich explizit ungeimpfte Mitarbeiter wünschen: «Diese Arbeitgeber wollen keine Menschen, die mit Masken herumlaufen, Angst schüren und darauf bestehen, dass der Abstand eingehalten wird.» Zudem wird mit wiederholten Krankheitsausfällen aufgrund von Nebenwirkungen gerechnet.
Doch für beide Seiten gilt: Der Impfstatus dürfte im Bewerbungsprozess gar nicht erfragt werden; trotzdem ist es vielerorts Usanz. Einige Arbeitgeber sehen sich sogar gezwungen, die Corona-Impfung vorauszusetzen, weil es die Kunden verlangen: «Oftmals ist die Impfung für Angestellte im Gesundheitswesen oder in Reinigungsfirmen Pflicht. Andernfalls werden die Dienstleister erst gar nicht ins Haus gelassen.» Insofern ist die Injektion Bestandteil des Anforderungsprofils. Vermehrt stösst man auf der Vernetzungsplattform «LinkedIn» auf Nutzer, die ihren Impfstatus propagieren; Name des Herstellers inklusive.
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