Nicht Arbeit, sondern Lebensstil

Teehändler, Ladenbesitzer, Schauspieler, Hostelbetreiber, Politiker und mehr – das ist Thomas Grimm. Steckt hinter seiner Vielseitigkeit die Suche nach Erfüllung und Leidenschaft?

Tausendsassa Thomas Grimm in seinem Burgdorfer Teeladen: «Ich bin ein Suchender.» (Foto: Camilla Landbø)

Als Schauspieler trifft man ihn in Bern, Zürich oder Basel – in Cafés. In diesem Theaterstück ist der öffentliche Raum die Bühne, und er spielt einen angeberischen Mafioso. Als Stadtrat entscheidet er abends über die Geschicke in Burgdorf mit. Als Hostelbetreiber empfängt er in seinem Haus Pilger, Studenten, ausländische Temporärarbeiter und Touristen. Am meisten aber findet man ihn in seinem Teehaus mitten in der Burgdorfer Altstadt, zwischen Kräutern und blumigen Düften. So wie jetzt. Thomas Grimm sitzt am Tisch und trinkt Tee. Hinter ihm ein Regal mit roten und gelben Tüten, Tassen und Teekannen, die er verkauft. «Als ich feststellte, dass ich als Angestellter nichts tauge und die Ausbildung zum Diplomaten aus finanziellen Gründen nicht in Frage kommt», erzählt der 50-Jährige spitzbübisch, «entschied ich mich, die Welt zu mir in den Laden zu holen – mit Tees aus der ganzen Welt.»

Thomas Grimm ist ein umtriebiger Mensch, tanzt auf vielen Bühnen, arbeitet hier und dort, organisiert kulturelle Events, denkt sich neue Projekte aus und liebt es, über Dinge zu sinnieren und sie in Worte zu fassen. Manchmal beflügelt ihn die Arbeit, manchmal quält sie ihn. «Zum Beispiel wenn ich das Ausgedachte umsetzen soll. Ich bin eher der Entwickler. Oder wenn alles so sehr perfekt sein muss –, was in der Schweiz der Fall ist, im Unterschied zu anderen Ländern.» Ausserdem stellt er sich immer wieder Fragen wie «Welche Arbeit erfüllt?», «Wie sollte Arbeit aussehen, damit ein Mensch zufrieden ist, besser noch: damit er gesund bleibt?» oder «Was ist heute in der Arbeitswelt anders als früher?».

Was er selber macht, nennt er nicht arbeiten, sondern einen Lebensstil. «Seit über zwanzig Jahren bin ich täglich mit vielen verschiedenen Sachen beschäftigt», sagt der hochgewachsene Emmentaler. «Ich versuche einfach vorwärtszukommen.» Arbeit macht also glücklich? «Nun, sie macht insofern glücklich, als dass man durch sie ein Glied in der Kette der beschäftigten Gesellschaft ist. Aber jene Menschen, die drei Jobs machen müssen, um zu überleben, die sogenannten Working Poors, die arbeiten so viel, dass sie gar keine Zeit mehr haben, darüber nachzudenken, ob sie glücklich sind oder nicht.»

Grimm ist ein gesellschaftlicher Mensch, in Burgdorf kennt er jeden. Er ist immer für einen Schwatz zu haben. Deswegen erfährt er viel über die Leute, über ihr Leben, ihre Ängste und Wünsche. Auch als Politiker hat er immer wieder Einblicke in aktuelle Themen, die auch mit der Arbeitswelt zu tun haben. «Ich bin seit vielen Jahren Mitglied der Sozialkommission», fügt er an. «Die Schraube ist in den letzten Jahren überall angezogen worden. Es heisst zwar, dass es der Schweiz noch nie so gut gegangen ist, die Leute noch nie so glücklich waren und noch nie so viele Möglichkeiten hatten», zählt Grimm auf. «Für mich sind das Fake News.» Er frage sich ernsthaft, wie in diesen Statistiken oder Berichterstattungen das Glücklichsein definiert würde. «Dass du jeden Abend zwischen 700 verschiedenen Fernsehprogrammen auswählen kannst? Dass du für 20 Euro nach Amerika fliegen oder All-Inclusive-Ferien in der Türkei buchen kannst?»

Burnout hier, Burnout dort. Wo er hinhöre, erfahre er von Leuten, die vom «Stängeli» gefallen seien. Die kurzfristige Gewinnmaximierung von den Unternehmen, das sei das Problem von heute, und mache krank. «Der Mensch ist keine Maschine.» Aufwand und Ertrag sollten stimmen. «Noch besser ist es, wenn man morgens gerne zur Arbeit geht, weil man in ihr aufgeht.»

Ob es ihm wohl langweilig werden würde, wenn er sich nur einer Sache widmete? Er überlegt. Es scheint eine Frage zu sein, die er nicht leicht zu beantworten weiss. «Eine monotone Arbeit würde mich umbringen.» Er druckst ein wenig herum, räumt schliesslich ein: «Ich habe meine Erfüllung noch nicht gefunden, sondern nur Teilerfüllungen.» Deswegen quält ihn die Arbeit wohl auch zeitweise. «Ich bin nach wie vor ein Suchender.» Er schenkt sich Tee nach, trinkt, sagt dann: «Das Glück liegt am Ende im Einfachen, zum Beispiel in einer feinen Tasse Tee.»   
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