Arbeiten, wo andere Urlaub machen
Sie sind immer unterwegs, arbeiten mal von hier, mal von dort aus. Wie das geht? Bericht einer digitalen Nomadin.
Noch liegt Morgennebel zwischen den Teeplantagen des Bergtals, in das sich das erfreuliche Städtchen Nuwara Eliya schmiegt. Ich tippe gerade auf Sri Lanka vor mich hin – warum auch nicht? Laptop und ich können überall arbeiten, wo es Internetzugang gibt, und wir sind 2018 gerade mal fünf Monate daheim gewesen. Dass manche Leute meinen, ich könne mir als Freiberuflerin so viel Urlaub leisten, finde ich amüsant und gleichzeitig bedenklich realitätsfremd. Geoarbitage (in meinem Fall die niedrigen Lebenshaltungskosten in Asien) macht es möglich, dass ich für besseres Essen und schöneres Wetter anderswo nicht mehr zahle, als wenn ich daheim fröre, Anreise inklusive. Damit qualifiziere ich mich – trotz Schrebergarten-Wartelistenplatz – als «digitale Nomadin»: verwende zur Arbeit «fast ausschliesslich digitale Technologien» (gelegentlich auch das Gehirn) und führe ein Leben, das «eher als nicht sesshaft zu bezeichnen ist». So definiert es die Seite digitalenomaden.ch, die über ebendiese informiert und deren Interessen vertritt.
Uns digitale Nomaden und Nomadinnen, kurz DNs, gibt es sowohl in angestellter wie auch selbständiger Variante. Unsere natürlichen Lebensräume sind Cafés mit gutem Cappuccino (das Nomadengetränk schlechthin) und Coworking Spaces vor meist exotischer Kulisse. Ortsunabhängiges Arbeiten – wir nennen es «multilokal» – ist uns Privileg und Pflicht. Einige von uns haben ihre Zelte daheim völlig abgebrochen und ihr Hab und Gut in Containern oder dem Keller der Eltern untergestellt. Ihren Wohnsitz oder das Offshore-Unternehmen melden sie dann in Panama, auf Zypern oder Malta, um Steuerzahlungen im Herkunftsland zu vermeiden.
Manche von den DNs arbeiten in klassischen ortsungebundenen Jobs wie Grafik- und Webdesign, Softwareentwicklung oder E-Commerce, viele schreiben Blogs über das, was sie tun, und einige sind unternehmerisch tätig mit Services, die sich viel zu oft an Mitglieder derselben Zunft wenden: Online-Coaching, Webinare, E-Books zu Unternehmensgründung, Branding und Nomadentum. Andere verkaufen den «Daheimgebliebenen» einen Traum: vom lässigen Arbeiten dort, wo andere Urlaub machen. Wer das nicht stemmen kann, weil es familiäre Pflichten oder die Berufswahl unmöglich machen, kauft vielleicht wenigstens den Rucksack für 200 Euro, der speziell für DNs entwickelt wurde, oder ein E-Book als Ersatz.
DNs bestätigen sicherlich einige Klischees, die über sie und ihren beneidenswerten Lifestyle im Umlauf sind: Sie sind permanent online, wo sie reflexhaft auf Blogposts mit Überschriften wie «Die zehn besten Hotspots weltweit, Tools, Auslandskrankenversicherungen ... für digitale Nomaden» klicken, träumen vom «passiven Einkommen», das sie mittelfristig «generieren» wollen, prahlen damit, mit wie wenig im Rucksack sie auskommen, verachten Sesshaftigkeit und umgeben sich gern mit Gleichgesinnten.
Wenn sie davon leben können, sind sie aber nicht, entgegen aller Vorurteile, weltfremde Träumer, die buchhalterische Details aus den Augen verlieren. Keine Strandgammler, die nur den ganzen Tag in der Sonne faulenzen, oder Schmarotzer, die überall nur nehmen, ohne sich miteinzubringen. Jeder von ihnen weiss, dass die 4-Stunden-Woche, die Timothy Ferriss so verführerisch als Urban Myth in Umlauf brachte, nicht realisierbar ist. Jede weiss, dass zeitweise Einsamkeit und auch Heimweh als Preis für das Privileg des Reisens zu zahlen sind. Und alle von ihnen haben erkannt, dass jetzt die Zeit für neue Lebens- und Arbeitsentwürfe ist, da konventionelle Konzepte nicht einmal mehr eine Illusion von Sicherheit bieten. Die Gründe für eine «sichere» Berufswahl schwinden zusammen mit der Aussicht auf gerechte Löhne, gleiche Karrierechancen und faire Rente.
Digitales Nomadentum ist ein guter Lehrmeister. Man muss da Ängste überwinden, um dort überleben zu können, die eigenen Bedürfnisse wie auch Fähigkeiten kennenlernen, flexibel sein und sich intensiv mit den Erwartungshaltungen auseinandersetzen, die man als Souvenir des alten Lebens mitgebracht hat. Ich selbst habe mich zuerst daheim als selbständig etabliert, bevor ich anfing, die Winter im Warmen zu verbringen. Umgekehrt ist es garantiert schwieriger, weil es dann gleich zwei neue Herausforderungen zu bestehen gilt: das Unterwegssein und das Strukturieren der selbständigen Arbeit samt Akquise, Buchhaltung und oft mangelnder Arbeitsmoral (was wir «Zeitmanagement» nennen). Jetzt geniesse ich jede Minute – solange ich nicht die Abgabetermine aus den Augen verliere. Wie nachhaltig der Entwurf ist, wird die Zeit zeigen.
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Tipps für digitale Nomaderei:
www.planetbackpack.de
www.um180grad.de
www.WebWorkTravel.com
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Mehr zum Schwerpunktthema «da | dort» in Zeitpunkt 160
von:
Über
Martina Pahr
Martina Pahr ist Magister der Literaturwissenschaft, verausgabte Fernsehredakteurin, ehemalige Reiseleiterin und leidenschaftliche Schrebergärtnerin. Nebenher veranstaltet sie diverse Lesebühnen in München (wo sich kaum jemand etwas unter diesem Begriff vorstellen kann - im Grunde «Poetry Slam» ohne Wettbewerb.) Im Sommer schreibt sie gern in Schottland, im Winter in Asien und zwischendrin im Garten - wo sie sich überlegt, warum sie nichts Anständiges gelernt hat.
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