Was der Bundesrat jetzt tun müsste
Er braucht eine Strategie, um ohne Gesichtsverlust aus den verfehlten Pandemie-Massnahmen auszusteigen. Das Schweizer Volk muss ihm helfen.
Das Management einer Pandemie wird von Computermodellen bestimmt, und natürlich von den Daten, mit denen sie gefüttert werden. Sind die Ansteckungsrate und die Mortalität hoch, sind viele schwerwiegende Fälle zu erwarten, die das Gesundheitssystem belasten. Wenn die Bettenzahl nicht reicht, ist dies nicht nur tragisch für die Betroffenen, sondern auch ein Image-Problem für die Gesundheitsbehörden. Fehler sind in dieser Branche nur erlaubt, wenn sie wissenschaftlich «begründet» sind.
Solche Fehler gibt niemand gerne zu, Politiker schon gar nicht.
Die Bettenzahl ist hochrelevant und politisch kritisch. Je mehr Plätze, desto mehr Seuche verkraftet ein Land. Aber die Betten hat man durch die Umwandlung der Spitäler in Aktiengesellschaften weggespart, damit andere an den trotzdem steigenden Krankheitskosten mehr verdienen können. Zudem wurden in der Schweiz sieben von acht Militärspitäler geschlossen, weil sowieso kein Krieg mehr drohte – ausser ein Krieg gegen ein Virus (mit dem nach den Seuchen der Nullerjahre natürlich zu rechnen war). Solche Fehler gibt niemand gerne zu, Politiker schon gar nicht.
Wenn eine Seuche ausbricht, wird man mit Sicherheit zunächst zwei Dinge feststellen:
- Die Mortalität ist hoch – es begeben sich vor allem Schwerkranke in die Spitäler, wo sie getestet werden und von denen ein relativ hoher Prozentsatz stirbt.
- Die Ansteckungsrate ist hoch, weil es fast nur Unangesteckte gibt und fast keine, die bereits immun sind.
Das Bild ist bedrohlich. Es gleicht einer Lawine, die sich gerade gelöst hat und von der man noch keine Ahnung hat, wie mächtig sie ist und wie weit sie kommen wird.
Aber: Mortalität und Ansteckungsrate sinken mit der Zeit, ein ganz normaler Vorgang. Die Sterberate sinkt, weil jetzt auch leicht Erkrankte zum Testen ins Spital gehen und im Falle eines positiven Befunds behandelt und gesund werden. Zudem werden auch Gesunde getestet.
Eine Pandemie besteht nicht nur aus einem Virus, sondern aus vielen Ko-Faktoren.
Und die Ansteckungsrate sinkt, weil es weniger Menschen gibt, die noch nicht angesteckt und mehr, die immun sind. Zudem gibt es klinische Daten: Man weiss genauer, wo welche Risikogruppen betroffen sind und welche anderen Krankheiten auch noch mitspielen. Zu beachten wären auch Nebenwirkungen von Medikamenten, Antibiotika-Resistenzen, Spitalkeime und Umwelteinflüsse – aber das will man lieber gar nicht wissen, weil das eine Politik der harten Hand nicht unterstützt. Gefragt wäre aber grade ein ganzheitlicher Ansatz. Denn eine Pandemie besteht nicht nur aus einem Virus, sondern aus vielen Ko-Faktoren.
Vor allem aber entwickelt sich die so genannte «Herdenimmunität». Das Virus rauscht durch die Population, verbreitet Schnupfen, Husten, wirft einige ins Bett und ein paar wenige – darüber möchte ich keine Witze machen – ins Grab. 2015 waren es in der Schweiz 2500, 2018 in Deutschland 25‘000 Menschen, die meisten alt und mit geschwächtem Immunsystem. Auch mein Grossvater starb an Lungenentzündung, vielleicht sogar an Corona. Aber das wolle damals niemand wissen.
Es ist diese Durchseuchung, die eine Population immun macht. Die meisten Menschen kommen mit dem Erreger in Kontakt und entwickeln Abwehrkräfte. Dadurch kann sich das Virus nicht mehr verbreiten. Die Herde wird immun und kann sich, wenn sie etwas gelernt, auf die nächste Welle mit einem neuen Virus vorbereiten und ihre Immunkraft stärken.
Auf all diese Erkenntnisse können die Pandemie-Manager nicht warten, denn: Je schneller sie handeln, desto erfolgreicher sind sie möglicherweise, aber desto schlechter ist ihre Datenbasis. Wenn sie auf robuste Zahlen warten, könnte sich die Seuche – wenn sie sich denn als gefährlich erweist – so weit ausbreiten, dass sie nicht mehr zu stoppen ist. Das ist es, was man Italien vorwirft. Das ist das Argument für einschneidende Massnahmen.
Also will der Pandemie-Manager früh und massiv eingreifen. Weil das unpopulär ist, warten die Politiker noch ein bisschen. Und wenn er dann die Politiker zum Handeln überredet hat, ist es für die einen zu früh und für die andern zu spät. Das dürfte einer der Gründe sein, warum Pandemie-Manager bis vor kurzem ein unbeliebter Beruf war.
Das hat sich dank dem Vorbild Chinas jetzt geändert. Als das neue Corona-Virus dort ausbrach, kam das Land sofort unter Druck – es herrschte ja Handelskrieg. Die Konzernmedien, gefüttert mit Informationen der paar wenigen internationalen Nachrichtenagenturen, schlugen zu und produzierten dramatische Schlagzeilen und emotionale Bilder.
China handelte schnell und massiv. Als kommunistisch-kapitalistisches Land – eine doppelt gefährliche Mischung – setzte es Wuhan und seine elf Millionen Einwohner unter Quarantäne. Man rechnete mit einer Mortalität von 6 Prozent und setzte alle Hebel in Bewegung.
Weil die Politiker recht behalten müssen, beharren sie auf ihren Massnahmen.
Diese drastischen Massnahmen waren der Standard der Pandemie-Manager, als das Virus auf Europa und andere Kontinente übergriff. Und so kam es zum Stillstand – neudeutsch lock-down oder shut-down –, der bereits so viel wirtschaftlichen Schaden ausgelöst (nicht bewirkt!) hat, dass niemand mehr verlieren darf und deshalb schliesslich alle verlieren. Weil die Politiker – von den jetzt so mächtig gewordenen Pandemie-Managern gesteuert – recht behalten müssen, beharren sie auf ihren Massnahmen und richten allgemeinen Schaden an.
Selbst immer mehr Ärzte halten die Massnahmen für unangemessen. Sie meinen, man sollte die Risikogruppen besser schützen, anstatt das öffentliche Leben lahmzulegen. Inzwischen hat sich nämlich gezeigt, dass die Mortalitätsrate höchstwahrscheinlich nicht höher sein wird als in einem leicht übernormalen Grippewinter wie 2015/16 und Covid-19 nur für alte, bereits kranke Menschen gefährlich ist, bei ihnen aber für eine überdurchschnittliche Mortalität sorgt.
Die Pandemie-Manager haben also vermutlich zu schnell und zu heftig reagiert. Das weiss auch der Bundesrat. Der informiert sich ja nicht über die Massenmedien, sondern schaut sich die wichtigen Statistiken selber an. Hoffentlich!
Die Frage ist nicht, ob die Massnahmen wirken – das tun sie zweifellos. Die Frage ist, ob sie nötig waren und welche Nebenwirkungen sie haben. Eine Analogie: Das Tragen von Helmen beim Autofahren wird die Zahl der Kopfverletzungen mit Sicherheit senken. Der Beweis ist ein Kinderspiel für jeden Hobby-Statistiker. Aber: Ist eine solche Massnahme sinnvoll und was sind die Nebenwirkung einer derartigen Einschränkung des Gesichtsfeldes?
Der Bundesrat hat jetzt ein eigenartiges Problem: Er weiss, dass er einen Fehler begeht, der ihm allerdings nicht schaden wird. Wenn die Pandemie in der Schweiz nicht ausbricht, dann haben die Massnahmen gewirkt, egal ob sie nötig waren oder nicht. Das lässt sich hinterher nicht mehr feststellen. Beispiel: Ist ein Einbruch wegen den Sicherheitseinrichtungen nicht erfolgt oder weil kein Einbrecher gekommen ist. Das kann niemand wissen.
Falls die Pandemie doch noch ausbricht, was wir nicht hoffen, hat der Bundesrat sowieso richtig gehandelt. Er hat also keinen Anlass, die Massnahmen zu lockern. Zudem würde er sein Gesicht verlieren.
Der Bundesrat müsste nicht einmal einen Fehler zugeben.
Gibt es einen Ausweg aus dieser Falle? Ja! Der Bundesrat könnte sich mit seinem Volk gewissermassen an einen Tisch setzen und seine Lage erklären. Er müsste nicht einmal einen Fehler zugeben. Wir würden ihn sofort verstehen, weil wir in seiner Situation vermutlich ähnlich gehandelt hätten, nämlich etwas übervorsichtig. Man weiss ja nie.
Und dann würde er die Massnahmen lockern, die Kinder wieder in die Schule, die Fleissigen an die Arbeit und Restlichen vor die Beizen schicken. Und die Gefährdeten wirksam schützen. Man müsste keine Angst mehr haben, dürfte sich wieder umarmen und wäre glücklich. So viel Wahrheit ist leider auch in der Schweiz nicht möglich.
Der Bundesrat müsste einen Trick anwenden. Er müsste seiner Radio- und Fernsehgesellschaft befehlen, die beruhigenden Statistiken (die es in Fülle gibt!) publik zu machen und besonnene Ärzte zu Wort kommen lassen, die massvolle Eingriffe empfehlen. Die anderen Medien müssten mitziehen, da sie es sich mit dem Bundesrat nicht verderben wollen – man will ja auch in Zukunft privilegierten Zugang zu Informationen, mit denen man dann als erste Schlagzeilen ins Land hinaus werfen kann.
Schon bald würde ein Klima entstehen, in dem Bundesrat gefahrlos erklären könnte: «Die neusten wissenschaftlichen Studien über den Verlauf der Pandemie haben ergeben, dass sich die Ansteckungsgefahr deutlich verringert hat. Wir führen schrittweise wieder das normale Leben ein, schützen aber die Risikogruppen konsequent.»
Alle würden erleichtert aufatmen, dass die Angst ein Ende genommen hat. Die Schweiz würde von der globalen Wirtschaftskrise viel weniger betroffen und allen ginge es gut. Nur der Wert des Schweizer Franken würde im Wert steigen, sodass die Nationalbank zur Bekämpfung der Spekulationsseuche die Pandemie-Manager um Rat fragen müsste. Und dann würde das Spiel auf einer anderen Ebene von Neuem losgehen. Davor müssten wir dann wirklich Angst haben.
Aber selbst für die Finanzseuche – das Virus des illusionären Geldes, welches das globale Finanzsystem total infiziert hat – gibt es ein probates Gegenmittel, das der Nobelpreisträger Albert Camus beschrieben hat: «Die einzige Art, gegen die Pest zu kämpfen, ist die Ehrlichkeit.»
Im Ernst: Was der Bundesrat unverzüglich tun müsste, ist Folgendes:
- Die Gärtnereien sofort öffnen, damit die Menschen ihre Balkone, Gärten und Brachflächen bepflanzen könnten. Beschäftigung mit der Natur ist extrem sinnvoll und heilsam. Und man weiss ja nie, ob ein bisschen Selbstversorgung in ein paar Monaten eine gute Sache sein könnte.
- Die Baumärkte sofort öffnen, damit die Menschen, die jetzt fast alle mehr Zeit haben, eine sinnvolle Beschäftigung haben.
Diese beiden Sektoren gehören ebenso zum Lebensnotwendigen wie Lebensmittel und Medikamente. Da die Wahrscheinlichkeit klein ist, dass der Bundesrat diesen Text liest (im Geheimen vielleicht schon), empfehle ich Ihnen, ihm diese Forderung brieflich mitzuteilen. Adresse: Bundesrat, 3003 Bern.
Schreiben Sie dem Bundesrat auch, dass Sie ihm verzeihen, dass er überreagiert hat. Das wird ihm die Einsicht erleichtern und die Angst vor einem Machtverlust in der Post-Corona-Zeit nehmen.
Ich wünsche ihm so viel Briefe und Postkarten, dass er in einer Woche bekannt geben muss: «Wir haben 2,34 Tonnen Post bekommen, die uns zur Vernunft auffordern. Wir geben nach und folgen Volkes Stimme. Die Angst ist zu Ende.»
von:
Über
Christoph Pfluger
Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".
Kommentare
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