Buchtipp: Unser Jahr unter Corona

Das neuste Buch der edition Zeitpunkt versucht festzuhalten, wie es uns im verrückten Jahr 2020 ergangen ist. Herausgeberin Prisca Würgler hat die ganz persönlichen Corona-Geschichten von 32 Menschen gesammelt.

So ein verrücktes Jahr muss man doch irgendwie festhalten, sagte sich Prisca Würgler im November 2020. Und begann zu schreiben. Zuerst nur für sich selbst, eine Art Tagebuch. Doch dann merkte sie: «Es ist nicht meine Geschichte allein, die ich erzählen will. Was da passiert, ist ein gesellschaftliches Phänomen, das ich für meine Enkel festhalten möchte. Ihnen erzählen, was die Menschen in dieser Zeit erlebt haben.» 

So entstand das Buch «Unser Jahr unter Corona – Ein Blick in 32 Tagebücher», das vor wenigen Tagen bei der edition Zeitpunkt erschienen ist. Es sind 32 ganz verschiedene Menschen, die da schreiben, und 32 ganz persönliche Erlebnisse. «Nicht die Meinungen, die Analysen und Kommentare sollen im Vordergrund stehen», betont Prisca Würgler. «Sondern einfach nur Lebensgeschichten. Das ist es schliesslich, was Geschichte interessant macht – nicht Zahlen und Daten.»

Viele der AutorInnen hat sie bei Debatten und Veranstaltungen rund ums Thema Corona kennengelernt, bei denen das kritische Hinterfragen der gesellschaftlichen und politischen Vorgänge erlaubt war. Denn in den Medien und in vielen Institutionen – so erlebte es Prisca Würgler am eigenen Leib – wurden alle, die in Sachen Corona gegen den Strom schwammen, schnell als Esoteriker, Verschwörungstheoretiker oder Corona-Leugner abgestempelt. In ihrem Buch möchte sie ein differenzierteres Bild zeichnen.

«Wer sind diese Menschen?», schreibt sie im Vorwort. «Was steckt hinter dem Antrieb, an Demonstrationen teilzunehmen, gegen den Fahrplan der Regierung aktiv zu werden und sich mit einer dezidierten Meinungsäusserung Konflikte im Umfeld einzuhandeln? Ich bin selber eine von ihnen und möchte mit diesem Buch eine Antwort darauf geben.» Und das, obwohl ihr kritischer Geist ihr grosse Probleme beschert hat: Weil sie keine Masken tragen wollte und konnte – und dafür auch ein ärztliches Attest hatte – hat sie ihren Job als Lehrerin verloren.

Doch die 32 Tagebucheinträge gehen weit über Themen wie Demonstrationen oder Maskenverweigerung hinaus. Da ist zum Beispiel Karin, die auf einem Winterspaziergang von einer Frau angeschrien wird: «Sie sind schuld daran, wenn ich sterbe!» Weil sie keine Maske trägt. Oder Andreas, der Arzt, der von einem Kind erzählt, welches von der Brücke springen will, weil er zum Abstandhalten gezwungen wird. Und Loretta, die mit ihrem Enkel einkaufen ging und sich am nächsten Tag in der Zeitung abgebildet fand, mit der Bildunterschrift «Die, die wir schützen wollen, drängen sich fröhlich an die Kassen der Geschäfte.» – und gehässigen Kommentaren.

«Jeder Mensch hat seinen 9/11-Moment, eine klare Erinnerung an den zeitgeschichtlichen Wendepunkt vor zwanzig Jahren», schreibt Christoph Pfluger im Nachwort. «Mit Corona wäre es ähnlich – wenn sich die Krise nur an einem einzigen Ereignis festmachen liesse. Aber das ist nicht so. Dieses Buch zeigt deutlich, dass jeder seinen eigenen Corona-Moment erlebte, einen Moment des Aufwachens und der Erkenntnis: Wir alle sind zutiefst betroffen.»

Buchcover

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Prisca Würgler (Hrsg.): «Unser Jahr unter Corona – Ein Blick in 32 Tagebücher». edition Zeitpunkt 2021. ISBN: 978-3-907263-05-1. 104 Seiten, Fr./€ 15.–