Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg
Friedensforscherin Laura Condrau wünscht sich eine Friedensbewegung, die nicht erst reagiert, wenn Krieg ausbricht. Sondern, dass sie kollaborative Schulen und Wirtschaftsweisen fordert und weiss, dass Abrüstung nicht nur im Aussen stattfindet. Kolumne.
Als der Ukrainekrieg vor etwa einem Monat ausbrach, beobachtete ich das Geschehen im Fernsehen. Nachrichtensprecher*innen und Interviewte waren geschockt über den «Krieg in Europa». Man war entsetzt über den Völkerrechtsbruch sowie darüber, dass diplomatische Beziehungen scheiterten. Schnell entstanden Demonstrationen für den Frieden. Letzten Samstag waren sogar über zehntausend Teilnehmende an der nationalen Friedensdemo in Bern. Und obwohl ich schon seit längerer Zeit in der Friedensbewegung aktiv bin, ging ich nicht hin.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Kriege sind schrecklich, und ich setze mich schon seit mehreren Jahren dafür ein, dass sie beendet werden mögen. Aber ich bin noch immer irritiert, dass man erst jetzt sieht, dass Verträge, Gesetze und Worte nicht reichen, um Frieden herbeizuführen. Frieden muss grundlegend vom Menschen erlernt, gelebt und kultiviert werden.
Mit der Zeit verstand ich mehr und mehr, dass viele Menschen nicht das gleiche Verständnis von Krieg haben wie ich. Man ihn sich wie einen Eisberg vorstellen. Der sichtbare Teil davon ist der physische Krieg. Darunter befinden sich Traumatisierungen, Kulturen, Persönlichkeiten, Emotionen, Verhaltensweisen, Verletzungen und Weiteres. Die Friedensbewegung sollte also nicht nur sichtbar sein, wenn Krieg ausbricht. Sondern sich auch in dessen Abwesenheit für eine Kultur des Friedens einsetzen, damit sich Krieg unter der Oberfläche gar nicht erst entwickeln kann.
Eine Kultur des Friedens? Was die Coronakrise und deren zahlreiche Konflikte auch in meinem engsten Umfeld gut zeigte, ist, dass viele offenbar Mühe damit haben, den auf dem Papier gewollten Frieden in die eigene Kultur zu integrieren. Den meisten ist es nicht möglich, friedlich zu bleiben, wenn sie Andersdenkenden begegnen. Wir verurteilen und nennen sie «Schwurbler» oder «Herdentiere». Wir wollen die Anderen von unserer Meinung überzeugen, noch bevor wir seine eigene wirklich gehört haben. Zusätzlich bestätigen wir unsere Meinungen bei Gleichdenkenden und verschliessen uns damit noch mehr vor den Anderen und werten sie ab.
Tatsächlich, wahrhaftig zuhören können die wenigsten Menschen. Und es scheint rückblickend, als ob sich der Westen auf den Errungenschaften der Demokratie und des dazugehörigen Friedens zu stark ausruhte und beinahe einschlief. Wir sind jetzt zwar aufgewacht, aber es ist noch ungewiss, ob wir diese Gelegenheit nutzen, um noch tiefer zu gehen.
Ich wünsche mir eine Friedensbewegung, die beispielsweise kollaborative Schulen und Wirtschaftsweisen fordert. Eine, die an zukunftsfähigen Arbeitsmodellen interessiert ist und weiss, dass Abrüstung nicht nur im Aussen stattfindet. Die Friedensbewegung muss sich neu begreifen. Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Frieden ist auch mehr als Verträge, Gesetze, Gedanken und Worte. Frieden und Gewalt sind beides Dinge, die von Menschen kultiviert und gelebt werden. Von da aus weiten sie sich aus.
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Laura Condrau schloss nach einem Studium in Soziologie im Januar 2021 den Masterstudiengang in transrationaler Friedensforschung an der Universität Innsbruck ab. Sie arbeitet im Flüchtlingswesen, unterrichtet Kundalini-Yoga und ist Co-Präsidentin des «Global Ecovillage Network Suisse». Am 26. April 2022 ist sie um 19 Uhr Gastgeberin für einen online Workshop von Dr. Cordula Reimann zum Thema 'Intergenerationelles Trauma und der Umgang mit Corona'. Mehr Infos: https://friedensfestival.ch/veranstaltung/zwischentoene-zu-corona-und-t…
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Mit dem Frieden im eigenen Herzen beginnen
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