Bis vor kurzem war es noch so: Die Natur war draussen, während ich drinnen war und so getan habe, als würd ich arbeiten. Ab und zu hab ich geguckt, was sie so treibt. Meistens war sie immer noch draussen. Bei dieser Gelegenheit hab ich dieses Jahr auch erstmals Bärlauchpesto gemacht.
War schon verletzend, wie viele Leute da meine botanischen Kenntnisse offen hinterfragt haben: «Und du bist sicher, dass das keine Maiglöckchen waren?» Und ich habe ihnen starr in die Augen gesehen und gesagt: «Probier doch mal. Du darfst als erster.»
Aber die Pflanzen kann man wirklich nicht verwechseln. Das Maiglöckchen ist ein echter Streber, schiesst stramm aus dem Boden und steht da wie ein US Marine. Ein Captain America der lichten Waldböden. Der Bärlauch dagegen lümmelt sich eher gechillt an die Oberfläche, so wie jemand, der andere Pflanzen nicht isst, sondern lieber raucht.
Und dieses Pesto hat wohl auch den Ausschlag gegeben, dass ich meinen eigenen Backstage-Pass zu Mutter Natur bekommen habe. Ein Parzellen-Paradies mit Blick auf den Olympiaturm. Mein persönliches urbanes Arkadien. Das ist, wie die Kulturchecker wissen, nicht nur eine griechische Landschaft, sondern auch der «liebliche Ort» der Glückseligkeit in der antiken Literatur. Da, wo Hirten hinter Herden und Nymphen hinter Pan herjagen. Bis der alte Geissengott dann erschöpft in der Mittagshitze unter einen Olivenbaum sinkt und die Nymphen Bier holen schickt.
Ich habe jetzt also ein Outdoor-Kreativbüro, wo ich Oden an mein Gemüse schreiben kann, wie Ringelnatz einst auf die Kartoffel und Wilhelm Busch auf die Bohne (daher auch der Name «Buschbohne»). Goethe, der alte Poser, hatte sich auf die Artischocke eingeschossen, obwohl er sie anfangs noch für eine hässliche Distel hielt. Das erinnert ein wenig daran, wie ich neulich in der Berufsschule für Gartenbau stand mit einem Topf mit rot-grünem Blattwerk in der Hand und fragte, ob es sich dabei um Pflücksalat handle. Der Verkäufer lachte herzhaft – und lang – und sagte, es sei Mangold. Ich erklärte, dass ich noch nicht lange dabei sei. Er daraufhin: «Das wär mir jetzt nicht aufgefallen.» Doch im Garten ersetzt Enthusiasmus konkretes Sachwissen. Das ist jetzt in anderen Bereichen, etwa der Medizin oder der Politik, idealerweise anders. Oder eben auch nicht, und dann fehlt beides. Und es gibt ja auf Youtube Videos für schlichtweg alles: Hochbeete aus Kinderspielzeug, Lobotomie selbst gemacht mit einfachem Küchengerät, Wärmekissen aus Nachbars Katze.
Inzwischen spreche ich fast fliessend botanisch, kenne Wörter wie Grünschnitt und Karbidstein und nenne Unkräuter brav Beikräuter, weil politisch korrekt. Ich pflanze übrigens sehr viele Beikräuter an und kann nicht jäten, weil ich sie von den anderen, den Nutz- oder Erstkräutern, noch nicht unterscheiden kann. Das verkaufe ich den Nachbarn gegenüber als gewollt und ebenfalls politisch korrekt. Ich bin halt tolerant. Nur Nacktschnecken verdienen kein Erbarmen.
Früher hat meine Mutter vor der Gartenarbeit noch zu mir gesagt: «Versuch halt, nicht ganz so laut zu schreiben, wenn du einer Schnecke begegnest.» Heute zücke ich die Gartenschere, ohne mit der Wimper zu zucken. Nur noch selten wird mir hinterher übel, wenn das Gedärm aus dem Tier herausquillt. Dermassen animiert, überlege ich mir, dass ich jetzt permanent mit potentiell tödlichen Tatwaffen hantiere: Draht, Gartenkralle, Mistgabel... von den Sägen für Astschnitt und Häcksler-Maschinen ganz zu schweigen. Das Heckenscheren-Massaker von München ist nur eine dumme Bemerkung des Gartenbau- Verkäufers entfernt.
Ich denke, dass ich mit Leichtigkeit vier oder fünf Leichen in meinem Schrebergarten entsorgen könnte: Da, wo der Teich war. Im Kompost. Im Hochbeet. Im Kühlloch. Im Geräteschuppen. Die Blicke meiner Nachbarn jenseits des Maschendrahtzauns gewinnen proportional mit diesen Überlegungen an Bedrohlichkeit, und ich denke: «Der hat doch sicher nur deshalb so schöne Rosen, weil er jemanden darunter verbuddelt hat.»
Als er neulich Besuch hatte, gingen zwei in die Gartenlaube – doch nur einer kam wieder heraus. Und dann denke ich, dass ich statt Gemüseprosa vielleicht lieber Krimis schreiben könnte, im Stil von: Nur die Wühlmaus war Zeuge - Der Rettich von Baskerville - Der Name der Stockrose oder auch: Das Böse unter der Hecke. Und Spionagethriller wie «Der Kürbis, der aus der Kälte kam» oder sozialkritische Romane à la «Wer die Kohlmeise stört».
Oder vielleicht auch Erotika? Erfolgsbewährte Titel wie «In der Laube der Lüste», Neo- Klassiker wie «Neuneinhalb Gurken», zeitgemässe Neuinterpretationen wie «Unterm Tomatendach wird gejodelt» oder der bewährte Gärtnermädchenreport. Gemüse-Sex wäre im nachhaltigen, glutenfreien Bio-Zeitalter sicher auch eine lohnenswerte Nische: Topinambur ohne Tabus, Erbsen in Ekstase, lüsterner Lauch, zügellose Zucchini und williger Wirsing.
Es böten sich natürlich auch Ratgeber voll Lebensweisheiten an, denn wir gärtnern, um zu lernen, wie wir auch leben, um irgendwann auf dem Kompost der Ewigkeit zu landen. Willst du den Planeten ändern, so fange beim Garten an – so oder ähnlich hat sich garantiert irgendein fernöstlicher Weiser schon einmal geäussert, Jahrtausende vor der Zeit, als Martin Luther im Glauben, dass morgen die Welt unterginge, Apfelbäumchen gepflanzt hat. Und dann ging die Welt doch nicht unter, und er bekam Probleme mit dem Kleingartenvereinsvorstand, weil die Pflanzung nicht den Vorschriften entsprach. Neuesten Erkenntnissen zufolge stammt der Spruch übrigens nicht von Luther.
Anderen Erkenntnissen zufolge war der alte Untergangs-Paranoiker für 80 % der Obstgärten in und um Wittenberg verantwortlich. Im Schrebergarten üben wir für eine bessere Welt en miniature. Und wir spielen Gott – an den Tagen wenigstens, an denen wir giessen müssen: Entscheiden, was stehenbleiben darf und was geschreddert wird, was wir düngen und was wir verdursten lassen, wo wir Rasen heilsam über alte Wunden sähen und wo wir mit Marmorkies alles ins Unbewusste verdrängen. Runter von der Couch und rein in den Garten, kann man da nur sagen.
Die Natur wirkt ja auf viele kreativ. Schiller hat seinerzeit geschrieben:
Auch ich war in Arkadien geboren / Auch mir hat die Natur An meiner Wiege Freude zugeschworen / Doch Tränen gab der kurze Lenz mir nur.
Und ich schreibe jetzt: Die eigene Kartoffel ist nur dann grösser, wenn die des Nachbarn kleiner ist.

Für ihren ersten Gartenkrimi erhielt Martina Pahr den Deutschen Gartenbuchpreis.
Mehr zu den Büchern und die Termine für die Lesungen während des ganzen Sommers (viele davon in Bayern) hier: emons-verlag.de/p/pahr-martina-7090