Ohne Pieks #8: 3 Fragen an den andalusischen Gesundheitsexperten Gonzalo Aranda
Als Gesundheitbeauftragter der autonomen Region von Andalusien, ähnlich eines Kantons oder Bundeslandes, hatte er Einblick in die Planung und in die Abläufe des Gesundheitswesens während der Coronakrise in Südspanien. Dem Zeitpunkt.ch beantwortet der 63-Jährige, wieso sich in Spanien rund 90 Prozent der Bevölkerung hat impfen lassen und es kaum Gegenwehr gibt. Dass die Schweizer so wenig impffreudig sind, verwundert ihn. Gonzalo Aranda kann sich das nur mit einer «wohl nicht sehr optimalen Kommunikaton von Seiten der Schweizer Regierung» erklären.
Zeitpunkt: Beachtlich, die Zahl der Geimpften in Spanien beträgt schon bald 90 Prozent. Woher diese Bereitschaft fürs Impfen in Ihrem Land?
Gonzalo Aranda: Das ist korrekt, es fehlt nur noch ganz wenig, bis diese Ziffer erreicht ist. Hier im Süden Spaniens, in Andalusien, haben wir wegen dieser hohen Zahl an Geimpften keine Restriktionen mehr. Null. Nun... doch, die Masken, die schon noch, die müssen in Innenräumen wie Läden oder öffentliche Verkehrsmittel nach wie vor getragen werden. Aber ansonsten leben wir wieder völlig normal, alles ist offen. Eine Zertifikatspflicht, um irgendwo reinzukommen, gibt es nicht. Protestaktionen gegen Massnahmen gab es lediglich aus wirtschaftlichen Gründen. Mir liegen die aktuellen Zahlen der Infizierten vor: In den letzten sieben Tagen sind auf 100´000 Einwohnern nur noch 20 Personen positiv getestet worden. Das ist sehr tief.
Die Bereitschaft ist unter anderem historisch bedingt. Die gut finanzierte Reform des spanischen Gesundheitssystem in den 1980er- und 1990er-Jahren führte dazu, dass vieles modernisiert wurde und die Grundversorgung in Spanien seither überwiegend öffentlich ist. Die Bevölkerung hat Vertrauen ins Pflegepersonal, in die Ärzte, ins Gesundheitssystem. Wenn in der Vergangenheit eine neue Impfung eingeführt werden musste, war dies in der Regel kein Problem. So verhielt sich das auch mit der jetzigen Impfung, gegen Corona.
Oder könnte es auch mit der strikten Quarantäne zu tun haben? Am Anfang der Coronakrise waren die Menschen in Spanien rund zwei Monate in ihren vier Wänden eingesperrt. Dorthin will niemand mehr zurück.
Keinen Zweifel, das hat die Bereitschaft beeinflusst, sich impfen zu lassen. Diese Totalquarantäne war für die spanische Bevölkerung wirtschaftlich und sozial gesehen sehr hart. Die Strassen waren leer, die Läden geschlossen. Menschen wurden arm. Und andere, die bereits arm waren, wurden noch ärmer. Die wirtschaftlichen Auswirkungen waren brutal.
Aber die hohe Zahl an Geimpften hat einen weiteren Grund: Niemand musste sich fürs Impfen anmelden oder bemühen. In Spanien wurden die Menschen aufgeboten. Das heisst: Der öffentliche Dienst war proaktiv. Wir schickten SMS oder riefen an, um den Menschen einen Termin zu geben. Damit wir alle Leute erreichen konnten, schrieben wir sogar private Krankenkassen und Spitäler an, um die nötigen Kontaktdaten zu erhalten. Denn rund 20 Prozent der spanischen Bevölkerung sind privat versichert. Wenn sich allerdings jemand nicht impfen lassen wollte oder will, wird das akzeptiert. Genau genommen sind es beinahe nur noch die Kinder, die nicht geimpft sind, die machen etwa 10 Prozent der Bevölkerung aus.
In der Schweiz sind erst 63 Prozent der Bevölkerung voll geimpft, viele wollen nicht. Regelmässig finden Protestaktionen gegen die Massnahmen und das Impfzertifikat statt.
Wir waren alle nicht auf Corona vorbereitet. Wir dachten, wir sind unverwundbar, dass die Pest und die spanische Grippe Dinge aus dem Mittelalter sind. Und plötzlich erscheint ein Virus, so ein kleines Viech, und stellt alles auf den Kopf. Das ist es, was ich glaube, dass die Menschen unter Schock standen und zum Teil immer noch stehen – und deswegen denken sie, dass dies alles eine Erfindung sei. Wenn es in einem Land wie der Schweiz – ein solch weit entwickeltes Land – so viele Ungeimpfte gibt, überrascht mich das. Dann muss ich davon ausgehen, dass die Regierung nicht optimal gehandelt und kommuniziert hat.
Dass Zahlen, zum Beispiel diejenigen der Toten, angezweifelt werdem, dazu kann ich nur sagen: Hinter jeder Ziffer ist ein Toter, ein Mensch. Immer. Das wird nicht erfunden. Ich habe als Gesundheitsbeauftragter in Andalusien während der Coronakrise die Spitäler besucht und die Menschen auf den Intensivstationen auf dem Bauch liegen sehen, Hunderte.
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