Die Kolumne aus dem Podcast «Fünf Minuten» von Nicolas Lindt.

Ein Wort beginnt sich zu ändern. / © SWR Wissen

Ich kenne das Wort, wie wir alle, seit meiner Kindheit. Woher die Abkürzung genau stammt, ist immer noch ungeklärt. Auch damals wusste ich nur, dass das Wort aus Amerika kommt. Es stand für Kaugummi und für Cowboys, es stand für das aktive, kurzentschlossene westliche Leben. Wer «Ok sagte, deutete an: Ich bin ein unkomplizierter moderner Mensch, für den alles klar ist. Nachdenkliche oder gemütliche Menschen sagten nicht okay, und auch Frauen sprang es nicht so leicht von den Lippen. Das hingeworfene, geradezu ausgespuckte Wort passte nicht so recht in einen weiblichen Mund. Es war ein Männerwort.

Als dann auch Frauen die Ärmel hochkrempelten und das Tempo der Männer eroberten, sagten alle Okay. Und alle brauchten das Wort auf dieselbe Art, alle sprachen es aus, um zu zeigen: Ich bin dabei. Ich fackle nicht lang, sondern handle. Packen wirs an.

Doch dann, eines Tages, vor etlichen Jahren, fiel es mir zum ersten Mal auf. Ich hörte in einem Lokal einen Mann zu einer Frau sagen: «Wir können uns am Wochenende nicht treffen. Ich muss fürs Geschäft nach London

«Okay», sagte die Frau. Aber sie sprach das Wort nicht auf die gewohnte Weise bestätigend, sondern fragend aus. Sie betonte die zweite Silbe. Sie legte ein Erstaunen in ihr Okay»,v ein Befremden gar, eine Spur von Ungläubigkeit, in der ein Hauch von Misstrauen schwang. Geschäftlich nach London – am Wochenende?

Dem Diktat der Firma des Mannes konnte die Frau nichts entgegensetzen. Sie musste die Geschäftsreise schlucken und Okay dazu sagen. Doch sie gab dem Okay ihren Zweifel mit. Ein Wort begann sich zu verändern.   

Seither begegnet es mir immer wieder, und interessanterweise sind es vor allem Frauen, die das Wort mit dieser leichten Verwunderung in der Stimme versehen. Sie scheinen damit ausdrücken zu wollen: Ich bin zwar flexibel und sportlich, multikulturell offen und vielseitig einsetzbar, aber ich lasse mir eine Tür offen. Die Tür zu mir selbst. Mit mir kann man jederzeit Pferde stehlen, doch ich persönlich würde die Pferde nicht stehlen. Wenn es nach mir ginge, dürften sie in ihrem Stall bleiben.

Aus dem O.K., das kein Problem kennt, wird ein Okay mit Vorbehalt, aus dem Männerwort wird ein Frauenwort, und inzwischen brauchen es auch die Männer. Ich höre sie Okay sagen, wie es die Frauen tun, fragend, leicht zweifelnd, gestehend, dass sie nicht sicher sind. So haben Männer früher nicht gesprochen. Entweder sie waren dagegen oder sie waren dafür. Okay, Schluss jetzt – und los ging’s. Jetzt sind sie manchmal nicht mehr so sicher, ob es schon losgeht.

Die stille Metamorphose des kleinen Wortes spiegelt die grosse Metamorphose der Zeit. Wir wollen noch immer modern sein und noch immer allzeit bereit. Doch in der beschaulichen Art, wie wir das kleine Wort heute aussprechen, liegt eine Prise Nachdenklichkeit.

Mir gefällt es, wenn Menschen dem Wort, das eigentlich gar keines war, diese neue, sanfte Farbe verleihen. So klingt es schön. Manche sprechen das Okay fast melodiös aus, sie lassen es klingen. Und bei einigen kommt es ganz sinnlich über die Lippen. Dann schwingt es noch einen Flügelschlag lang in der Luft – und bleibt als zögernde Frage im Raum.

Über

Nicolas Lindt

Submitted by admin on Di, 11/17/2020 - 00:36

 

Nicolas Lindt (*1954) war Musikjournalist, Tagesschau-Reporter und Gerichtskolumnist, bevor er in seinen Büchern wahre Geschichten zu erzählen begann. In seinem zweiten Beruf gestaltet er freie Trauungen, Taufen und Abdankungen. Der Autor lebt mit seiner Familie in Wald und in Segnas.

Bücher von Nicolas Lindt

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