Rauf und runter auf der Härteskala
Ein kleiner Spaziergang durch die Materialkunde
I. Experten fürs Löchern
An der Blechwand hängen hunderte von Bohrern, die mit dem Versprechen «komfortabel» oder «höchste Präzision» um die Aufmerksamkeit der Kundschaft buhlen. Abgesehen von der Grösse sehen sie auf den ersten Blick alle gleich aus. Doch der Verkäufer in einem Berliner Baumarkt gibt rasch Orientierung: «Je härter, desto weiter oben.» Die Eisenbohrer sind auf Augenhöhe präsentiert und eignen sich dafür, in weiche Metalle wie Kupfer oder Aluminium einzudringen oder Hartkunststoffe zu bearbeiten. Edelstahl dagegen ist mit Kohlenstoff angereichertes Eisen und dadurch härter und spröder – und wer solches Material bearbeiten will, benötigt natürlich ein Werkzeug, das noch härter ist: Cobalt. In der fast unerreichbaren obersten Reihe befinden sich die Titanium-Bohrer. «Sowat brauchen Se fürn Panzer oder wenn Se ne Brücke baun wollen», grinst der freundliche Mann im Overall. Meist verkauft er diese Werkzeuge allerdings Menschen, die Tür- oder Fensterstürze in ihr Eigenheim selbst einbauen möchten.
Metall wird abgeschält – Steine rüttelnd zerschlagen
Braucht man für die Bearbeitung von Wänden weichere oder härtere Bohrer als für Metall? «Falsche Frage», antwortet der geduldige Mann. Während Metall zerspant – also quasi abgeschält – wird, müssen die Löcher in Steine oder Beton gemeisselt, das Material also quasi durch rüttelnde Bewegungen zerschlagen werden. Hierfür benötigt man einen Bohrer, in dessen Spitze ein besonders hartes Plättchen eingelassen ist, das je nach Bedarf ebenfalls aus Stahl, Cobalt oder Titanium besteht. «Geht am besten mit nem Bohrhammer», rät der Baumarktmitarbeiter: Der benötigt nur ein Drittel der Kraft eines Schlagbohrers und macht nicht so nervige Jaulgeräusche.
Die Bindekraft der Atome
Wie hart ein Stein oder Mineral ist, liegt physikalisch betrachtet an der Bindekraft der Atome. Bis heute wird eine Härteskala von eins bis zehn verwendet, die der Wiener Fiedrich Mohs schon 1812 entwickelt hat. Dabei kann das Material mit der höheren Ordnungszahl diejenigen mit niedriger Mohshärte ritzen. Talk ist das weichste aller bisher bekannten Mineralien: Schon Grundschulkinder können Specksteine in Figürchen verwandeln. Auch Gips lässt sich noch mit dem Fingernagel abkratzen. Dagegen erreicht Quarz Härte 7, was ausreicht, um eine Fensterscheibe anzuritzen. Soll die allerdings sauber zerschnitten werden, empfiehlt sich der Einsatz des unübertroffen härtesten Materials auf der Erde: Diamanten, die aus reinem Kohlenstoff bestehen. Natürlicherweise sind sie in einigen hundert Kilometern Tiefe unter enormem Druck und bei Temperaturen zwischen 1200 und 1400 Grad im Erdmantel entstanden, bevor sie durch vulkanische Schlote an die Erdoberfläche geschleudert wurden.
II. Experten für Tote
Inzwischen sind Diamanten als Quasi-Lifestyle-Produkte auch in Beerdigungsinstituten angekommen. «Ja, dafür haben wir jetzt einen Prospekt», bestätigt der Herr im dunklen Anzug, der einen Familienbetrieb in Berlin Wedding betreibt. Doch bisher hat noch keiner seiner Kunden das Angebot wahrgenommen, sich selbst oder einen toten Verwandten in einen Kluncker verwandeln zu lassen.
Werkzeugfresser Granit
Ein paar Strassenzüge weiter beschäftigt sich Steinmetz Matthias Heinz ebenfalls mit dem, was jemand früher einmal gewesen ist. Die meisten Grabsteine, die der kräftige, grosse Mann in seiner Hinterhofwerkstatt auf einem alten Berliner Fabrikgelände bearbeitet, sind Sedimentgesteine – entstanden vor Jahrmillionen aus Kalk-, Sand- und Muschelablagerungen, die durch hohen Druck zusammengepresst wurden. Die sind viel weicher als zum Beispiel Findlinge aus Granit, die aus der heissen Tiefe der Erde stammen, beim Erstarren extrem hart geworden sind und später von kilometerdicken Gletschern rundgeschliffen wurden. Erst zwei oder drei solcher Urgesteine hat der 51-Jährige in seinem Leben bearbeitet. Granit sei ein echter «Werkzeugfresser» – genau wie glitzernder Quarz, der allerdings auch in vielen Sedimentgesteinen anzutreffen ist.
Kurzer Abstecher ins Einkaufszentrum
Der Bio-Käseverkäufer ist mir zugewandt. Hart- und Weichkäse? Alles eine Sache des Wassergehalts und des Alters. Sein härtester Käse wurde vor 28 Monaten hergestellt, aber es gibt noch viel ältere Sorten. «Menschen mit Laktoseintoleranz können Käse essen, wenn er mindestens sieben Monate gelagert wurde», ist ihm noch wichtig zu ergänzen, auch wenn das gar nicht die Frage war. Der nächste Kunde guckt bereits ungeduldig, der Verkäufer empfiehlt eine vertiefte Recherche bei Wikipedia.
Harte oder weiche Matratze? «Machen Sie einen Termin und kommen Sie zum Probeliegen. Bringen Sie mindestens eineinhalb Stunden mit, dann erkläre ich Ihnen alles. Jetzt habe ich keine Zeit. Wirklich sorry.»
III. Experten fürs Holz
Für Eckehard Körber ist ein Stück Holz niemals nur ein Stück Holz. Der Kunstdrechsler kann Dutzende von Sorten ohne Nachdenken auseinanderhalten – und meistens weiss er auch noch genau, wo das Holz herkommt und wie es in seine Werkstatt gelangt ist. Gerne verarbeitet er für seine massiven Schüsseln Mooreiche – tiefschwarze Stämme, die zum Teil mehr als tausend Jahre ohne Sauerstoff in sumpfigen Gebieten gelagert haben und dabei noch härter geworden sind als Holz eines artgleichen Baums, der erst vor wenigen Jahren geschlagen wurde.
Was hart ist, ist noch lange nicht haltbar
Hart und weich seien aber nur Akzente der Beschaffenheit von Holz, hinzu komme Festigkeit, Fasrigkeit, Sprödigkeit und Homogenität, erklärt Körber, dessen Werkstatt im kleinen sächsischen Örtchen Colditz liegt. «Und hart heisst nicht unbedingt besonders haltbar», ergänzt er. Dafür entscheidend sei vor allem, ob das Holz Gerbstoffe enthalte, die das Material wenig angreifbar für Pilze, Bakterien und Insekten machen. Deshalb sei die Eiche beispielsweise widerstandsfähiger als Esche – bei ähnlicher Härte. Härte wird bei Holz meist mit dem Brinellverfahren geprüft. Dabei werden Stahlkugeln in ein Material gedrückt – eine Messtechnik, die ein schwedischer Ingenieur Anfang des vergangenen Jahrhunderts entwickelt hat. Weil aber Bäume Lebewesen sind, ist ihre Härte nicht überall gleich: Äste sind härter als der Stamm und die Wurzeln sind am weichsten. Hinzu kommt, dass der Widerstand senkrecht zum Faserverlauf am grössten ist. So eignet sich das Verfahren vor allem dafür, verschiedene Arten zu vergleichen.
Grenadill sinkt im Wasser wie ein Stein
Entgegen landläufiger Meinung zählt Eiche keineswegs zu den härtesten Holzarten. Viele exotische Bäume, die in extrem trockenen Regionen oder im Regenwald wachsen, sind weitaus härter. Grenadill aus südostafrikanischen Savannengebieten beispielsweise wiegt bis zu 1400 Kilogramm pro Kubikmeter und sinkt im Wasser wie ein Stein auf den Grund. «Phänomenal ist Pockholz, sehr faserig, sogar seewasserfest und kaum zerstörbar,» schwärmt Körber. Früher wurde dieses harzreiche Holz aus Lateinamerika oft für die Unterseite von Hobeln benutzt, weil es wunderbar gleitet und abriebfest ist, erzählt der 60-Jährige.
Extrem weich und leicht ist dagegen Balsaholz. Es wiegt manchmal nur 40 Kilogramm pro Kubikmeter und wird von Modellbauern geliebt. Auch Lindenholz ist weich und lässt sich gut schnitzen. Für Drechsler kommt es dagegen nicht infrage, weil es zu schnell Kerben und Dellen bekommt.
Was die Härte angeht, gibt’s bei Nadel- und Laubbäumen einen prinzipiellen Unterschied, klärt Drechsler Körber interessierte Zeitgenossen auf, weswegen er nur Laubhölzer verwendet. Fichte und Tanne legen jedes Jahr etwa gleich viel dunkles Spätholz zu. Und weiches Frühholz wächst unter günstigen Umweltbedingungen besser als in karger Umgebung.
Für Körbers Kollegen im Erzgebirge hat sich der Klimawandel bereits ausgewirkt. Die Ringe, aus denen später Tierfiguren für Weihnachtskrippen hergestellt werden, wurden früher aus Fichtenholz gedrechselt. Weil die Fichten aus ihrer Umgebung immer weicher und unbrauchbarer geworden sind, müssen sie Stämme aus höheren Lagen in Österreich importieren.
Bei Eichen, Eschen und Buchen dagegen ist es genau umgekehrt: Der Zuwachs an porösem Frühholz, durch das der Baum das Wasser nach oben transportiert, schwankt nur wenig. Der Zuwachs des festen Spätholzes je nach Lage und Jahr hingegen stark. Rasches Wachstum bedeutet bei Laubbäumen also härteres Holz – und ist für Eckehard Körber daher besonders attraktiv.
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von:
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Annette Jensen
Annette Jensen (* 1962) ist freie Journalistin in Berlin. Sie schreibt schwerpunktmässig über Wirtschaft, Umwelt und Arbeit. Seit ein paar Jahren interessiert sie sich insbesondere für konkrete enkeltaugliche Ansätze und die Möglichkeiten ihrer Verbreitung. [email protected]
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