Ich komme selten genug in die Stadt, um sie jedes Mal als fremde Welt zu betrachten: Die Ströme von Arbeits-, Konsum- und Unterhaltungstierchen, die sich zu Fuss, auf der Schiene oder Rädern ihren Platz suchen, der immer irgendwo anders zu sein scheint als dort, wo sie sich gerade befinden.

Was mir auffällt: Man begegnet sich nicht in einer Stadt. Man vereinbart ein Date und trifft sich dann. Aber die zufällige Begegnung wird meist mit einem «Wir sehen uns!» vertagt. Sie sehen sich gar nicht, erst später – vielleicht. Umso mehr Zeit braucht das Management der Kontakte am Smartphone. Das Hier und Jetzt findet auf einem kleinen Bildschirm statt, im Dann und Dort. Das Mobilfunknetz müsste dringend zusammenbrechen, damit sich die Menschen wieder einmal gegenseitig wahrnehmen.

Überhaupt scheint mir die Wahrnehmung eines der grossen Probleme in Städten zu sein. Angelegt wurden sie ja in einer Zeit, als man zu Fuss ging und kein Mangel an Musse herrschte, all die Menschen und die Dinge wahrzunehmen, die einem begegneten. Heute kommen dank Bahnen und Autobahnen so viele Menschen in die Städte, dass das Individuum in der Masse verschwindet. Dazu buhlen all die brüllenden und blinkenden Botschaften von Leuchtreklamen und Schaufenstern um Aufmerksamkeit. Wie stark ihre Wirkung ist, merkt man beim Versuch, beim Schlendern bewusst nicht in die Auslagen zu gucken. Hier wird man zum Grossstadt-Zombie.

Kein Wunder, wird der Mensch in einer solchen Umgebung zum Überkonsumenten, der so viel verbraucht, dass er mit grüner Gesetzgebung zur Nachhaltigkeit gezwungen werden muss, die für uns im Dorf selbstverständlich ist. Ich kaufe, was ich brauche und nicht, um Aufmerksamkeit zu erregen. So werden wir auf dem Land von den Städtern wegen eines Problems bevormundet, das sie selber verursachen. Darum setzen die links-grünen Stadtregierungen auf Zwang und darum sind die SVPler in den Gemeinderäten oft viel menschlicher und naturverbundener als die Polterer vom Albisgütli.

Deshalb wünsche ich mir, dass sich die Städte in Quartiere und Nachbarschaften zerkleinern, wo man sich kennt und hilft, wenn’s nötig ist, und wo alles da ist, was man braucht – nicht weniger, aber vor allem auch nicht mehr. Und ich wünsche mir, dass die Städter in der Stadt bleiben und aufhören, unsere Dörfer in Schlafgemeinden umzubauen.

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Die Autorin schreibt unter einem Pseudonym

Die Gegenposition finden Sie hier

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