Wer die Guten sind. Und wer die Gutmenschen
Was wir empfinden, darf uns niemand ausreden. Die Kolumne aus dem Podcast «Mitten im Leben».
(Bild Netzfund)
«Ich glaube ihm, dass wir von Russland nichts zu befürchten haben.» (Bild Netzfund)

Ich brauche eine Pause. Eine Pause von der Weltpolitik. Als sich Putin und Trump in Alaska trafen, keimte bei mir die Hoffnung auf, der Ukrainekrieg könnte ein Ende haben, und der Westen respektiere die russischen Sicherheitsinteressen. Doch inzwischen scheint der Friede weiter entfernt denn je. Immer noch mehr junge Ukrainer müssen sterben in einem Töten, das ihre Mütter niemals gewollt haben. Und auch immer mehr junge Russen werden Opfer eines Konflikts, der am Verhandlungstisch fast gelöst worden wäre.  Hätte der Westen, so wie es aussieht, eine Einigung nicht verhindert.

Drei Jahre später hetzt derselbe Westen noch immer und noch viel aggressiver gegen die Russen. Hier als Beispiel die dramatischen Titel und Untertitel eines einzigen Tages in einer einzigen Zeitung:

«Mögliche Luftraumverletzungen durch russische Flugobjekte», «'Wir betrachten die Situation als sehr ernst’», «NATO warnt Russland vor weiteren Provokationen», «Russland rüstet vor den Toren Europas massiv auf», «Satellitenbilder entlarven Putins Aufrüstung», «Kriegsgefahr: 100 %».

Permanent schürt der westliche Mainstream die eingebildete Glut eines imperialistischen Russlands, das Europa bedroht. Jeder militärische Zwischenfall wird als russische Provokation denunziert. Und der russische Präsident, auf den sich der tägliche Russenhass konzentriert, ist zum Inbegriff des Bösen geworden.

Ich mag es nicht mehr hören und nicht mehr lesen. Und ich kann mich nur retten in mein Empfinden, meine Intuition.

Diese Intuition, dieses Gespür aber sagt mir, dass Putin keine «bösen» Absichten hat. Auch wenn die ganze westliche Welt ihn verteufelt, weiss ich für mich, dass seine Zielsetzungen gerechtfertigt sind. Keine Grossmacht würde es akzeptieren, dass jenseits ihrer Grenzen die Kanonen einer anderen Grossmacht bereitstehen. Viele Jahre lang, seit dem Wiederauferstehen Russlands, hat Wladimir Putin auf friedlichem Weg vergeblich versucht, mit dem Westen eine Übereinkunft zu finden. Viele Jahre lang haben die Russen zugesehen, wie die russische Minderheit in der Ostukraine benachteiligt wurde.

Ob es zur militärischen Lösung, für die sich Putin vor drei Jahren entschied, keine Alternative gab, kann ich nicht beurteilen. Eine andere Lösung als Krieg müsste es immer geben. Doch Putin stand mit dem Rücken zur Wand, je mehr der Westen die Ukraine missbrauchte, um bis an die russischen Eingeweide heranzurücken. Würden die USA es den Russen erlauben, nach Kuba zurückzukehren und wieder wie damals im Kalten Krieg Raketen zu installieren, die bis nach Washington reichten?

Ich weiss, das sind Überlegungen eines Schweizers, der weit weg vom Geschützdonner lebt. Aber ich darf mir solche Gedanken machen. Ich darf eine andere Sichtweise haben, von der ich weiss, dass viele, die diese Zeilen lesen, dasselbe denken. Niemand darf mir das Recht auf meine Empfindung nehmen, dass ich Putin für einen Staatsmann halte, der das «Gute» will, auch wenn er sich dazu hinreissen liess, einen Krieg als letzte Friedensoption zu beginnen. Niemand darf mir ausreden, dass er wohl bis zuletzt hoffte, richtig zu handeln.

Denn meine Haltung zu Putin beruht nicht nur auf dem, was ich weiss und während der letzten drei Jahre gelesen, gehört und dazugelernt habe.  

Was ich über ihn denke, gründet auch in meiner «sinnlichen» Wahrnehmung. Ich habe den russischen Herrscher schon viele Male im Bild erlebt. Einmal war es ein Vortrag, den er gehalten hat, ein anderes Mal hat er sich vor den Medien geäussert. Ich betrachtete ihn und hörte ihm zu, viele Minuten lang, so unvoreingenommen wie möglich. Und jedesmal war mein Eindruck derselbe. Was er sagt und wie er es formuliert, überzeugt mich. Er wirkt ehrlich auf mich, glaubwürdig, vertrauenserweckend. Seine besonnene, ruhige Ausstrahlung findet sich bei Politikern selten. Ich kann mir nicht helfen: Wenn ich an Putin denke, habe ich «gute» Gefühle.

«Gut» ist nicht dasselbe wie «lieb». Ein lieber Mensch ist Putin bestimmt nicht, wenn ich mich nur schon erinnere an seinen schärfsten Kritiker, Alexej Nawalny, den er mitleidlos in Sibirien versenken liess. Aber selbst dazu gibt es nicht nur eine Betrachtungsweise. Nawalny war in Russland politisch umstritten. Er war nicht der Held, als den er im Westen dargestellt wurde. Natürlich hätte Putin trotzdem menschlicher mit ihm umgehen können. Aber Russland ist nicht die Schweiz, deshalb messe ich auch den Russen Putin nicht an unserem demokratischen Feingefühl. In einem Imperium wie Russland werden immer andere, rauhere Regeln herrschen als im behüteten Kleinstaat.

Was also macht einen «guten» Menschen aus, obwohl er möglicherweise nicht «lieb» ist? Dass er in seiner Grundhaltung «gut» ist. Dass er uns nicht betrügt. Dass er tut, was er sagt. Dass er integer ist. Ich habe Vertrauen in Putins Integrität, auch wenn das vielleicht naiv klingt. Ich glaube ihm, dass wir von Russland nichts zu befürchten haben. Niemals würde er Europa angreifen wollen - selbst wenn er die Waffen und die Potenz dazu hätte.

*
Zu befürchten haben wir mehr von der anderen Seite. Von der eigenen Seite. Vom Westen. Der Westen will nicht, dass der Ukrainekrieg endet. Denn solange dort Krieg herrscht, sind die Russen die «Bösen». Und gegen das «Böse» darf man zu Feld ziehen. Gegen das Böse darf man immer mehr Waffen liefern. Das Böse darf man immer mehr provozieren. Und der ukrainische Bluthund des Westens darf immer bissiger kläffen.

Ich habe Selenskyi, den Bluthund, vom ersten Moment an nicht leiden können. Es erstaunte mich nie, wie er sich vom Westen hofieren lässt. Ich glaube ihm kein einziges Wort. Das sind sehr subjektive Empfindungen. Doch eine gewisse Menschenkenntnis, die ich mir im Laufe meines Lebens erworben habe, gibt mir die Sicherheit, dass ich möglicherweise «richtig» empfinde.

Wie ist es möglich, frage ich mich, dass jemand einen Falschmünzer wie Selenskyj «gut» finden kann? Solche Menschen, glaube ich, hören nicht auf ihr Inneres. Sie lassen sich - vielleicht auch in anderen Dingen - nur von ihrem Intellekt leiten. Das ist nicht wertend gemeint. Sie denken nun einmal so. Und ihr Intellekt informiert sich allein aus dem Mainstream. Dort lesen und hören sie täglich, dass der ukrainische Präsident «gut» ist, weil er den Westen gegen das böse Russland verteidigt.

Selensky, der überall, wo er auftritt, als tapferer David gefeiert wird, fühlt sich auch selber als «guter» Mensch. Seine Selbstgerechtigkeit lässt daran keinen Zweifel. Und seine westlichen Freunde bestärken ihn darin, weil auch sie davon überzeugt sind, «gute» Menschen zu sein.

«Gut» sind sie alle nicht. Sie sind Gutmenschen. Gäbe es den Begriff nicht - man müsste ihn auf der Stelle erfinden. Denn keine Umschreibung passt besser zu ihnen, den Merzens, Macrons, Starmers, Von der Leyens & Co. als ihr Gutmenschentum. Kein Zweifel, sie möchten die Welt verbessern. Daran wäre nichts auszusetzen. Doch sie finden den Westen besser, moderner, emanzipierter und demokratischer als den Osten. Deshalb möchten sie den Osten mit ihrem westlichen Denken beglücken. Sie möchten die ganze Welt beglücken, und niemand darf sich ihnen verweigern. Sie glauben, die «Guten» zu sein. Sie wissen es besser.

Um ihre Ziele aber erreichen zu können, brauchen sie Macht. Möglichst viel Macht. Dafür tun sie alles. Dafür rüsten sie auf. Dafür würden sie sogar in den Krieg ziehen. Sie reden von westlichen Werten, doch vor allem wollen sie herrschen. Genau das spüre ich, wenn ich diese Machtmenschen sehe, wenn ich sie reden und lügen höre. Deshalb sind sie für mich keine «Guten». Deshalb sind sie gefährlich. Deshalb habe ich Angst vor ihnen und nicht vor Putin.

Auch Putin will Macht. Selbstverständlich. Aber nur für sein grosses, mächtiges Land. Für das russische Volk. Macht über uns will er nicht. Er will es auch deshalb nicht, weil er uns nicht mit russischen Werten beglücken will. Ich glaube, wir könnten von den Russen viel lernen. Doch darüber dürfen wir selber entscheiden. Genau das ist der Unterschied. Wir glauben «besser» zu sein als die Russen – aber die Russen glauben nicht besser zu sein als wir.

Obwohl sie es vielleicht sind. Gerade deshalb. 
 

Nicolas Lindt

Nicolas Lindt

Nicolas Lindt (*1954) war Musikjournalist, Tagesschau-Reporter und Gerichtskolumnist, bevor er in seinen Büchern wahre Geschichten zu erzählen begann. In seinem zweiten Beruf gestaltet er freie Trauungen, Taufen und Abdankungen. Der Autor lebt mit seiner Familie in Wald und in Segnas.

Bücher von Nicolas Lindt

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Kommentare

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von Anfang an ging es mir so, genauso schon bei Corona oder beim 9/11. Diese inszenierten Schockbilder aus Norditalien. Ich konsumiere wenig Medien und es war mir lange bevor irgendjemand etwas kritisches schrieb klar, dass da etwas nicht stimmt. Nun dasselbe mit der Ukraine.
Das Einzige was mich leicht verunsichert ist die These, dass es auch möglich wäre, dass sie alle "Schauspieler" sind in einem viel grösseren abgekarteten Spiel, dass also niemand der oder die Gute/n sind. Das lässt man sich am besten direkt von Ludwig Gartz (findet sich auf odysee oder youtube) erklären.
Und letztlich lässt das alles nur eine Folgerung zu: Alternativen suchen, finden, leben, mitgestalten. Im Konsum, der Bildung, Medien, Landwirtschaft und dem lieben Geld.
https://www.geld-der-zukunft.org/
https://www.solawi.ch/
https://leuchtturmard.de/
https://www.prolongomai.ch/
https://www.sammelkorb.ch/

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