Chapeau! – für Pierre Stutz

Der ehemalige Priester Pierre Stutz kritisiert den Vatikan für seine homophobe Haltung. Seit seinem Coming-out 2002 plädiert er offen für einen toleranteren Umgang mit sexueller Vielfalt in der Kirche. Nun hat er den Herbert-Haag-Preis erhalten.

© Vera Rüttimann

Nach 17 Jahren als Priester musste sich Pierre Stutz eingestehen, dass er es nicht länger verschweigen konnte. «Ich bin schwul», brach es an einer Teamsitzung im offenen Kloster Fontaine-André aus ihm heraus. Es war eine Explosion und eine Erleichterung, und es hat sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Stutz gab sein Priesteramt auf und lernte ein Jahr später seinen heutigen Lebenspartner kennen.

Die Jahrzehnte vor seinem Coming-out waren geprägt von Zweifeln und Depressionen. Schon als Jugendlicher wusste Stutz, dass er schwul ist, doch trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – trat er in einen katholischen Männerorden ein. Nebst seinem Priesteramt widmete sich Stutz dem Schreiben. «Es war meine einzige Rettung», sagte er 2014 in einem Interview mit den Salzburger Nachrichten. «Das Buch ‹Verwundet bin ich und aufgehoben› habe ich nur nachts geschrieben, nur aus Verzweiflung. Ich wollte, dass dieser Kelch – das Coming-out – an mir vorübergehen möge. Aber dann ist kurz vor dem Erscheinen des Buches das Gegenteil passiert.» Bis heute hat Stutz über 40 Bücher zu Mystik und Spiritualität geschrieben und über eine Million Exemplare verkauft.

Als vor knapp zwei Wochen ein neues Papier der Glaubenskongregation – einer Zentralbehörde der katholischen Kirche – veröffentlicht wurde, das die Segnung von homosexuellen Paaren verbietet, war Stutz’ erste Reaktion: «Ich mag nicht mehr.» Im Interview mit kath.ch fand er deutliche Worte: «Die Liebe, die ich seit 18 Jahren als Geschenk des Himmels, als Sakrament erfahre, darf nicht gesegnet werden, Tiere und Motorräder aber schon!» Der Vatikan masse sich an, ganz genau zu wissen, was die Pläne Gottes sind. Er glaube immer noch an ein unglaubwürdiges Naturrecht statt an Menschenrechte und wolle der Liebe Gottes Grenzen setzen.

Am 7. März wurde Pierre Stutz der Herbert-Haag-Preis 2020/2021 verliehen. Unter dem Motto «Gottes Liebe ist bunt» setzte die Herbert-Haag-Stiftung ein Zeichen für eine konstruktive Auseinandersetzung mit sexueller Vielfalt in der Kirche. «Obwohl in Staaten wie Deutschland, Österreich und der Schweiz die Ehe für alle eingeführt wurde und die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung gesetzlich verboten ist, hat sich im Vatikan bis anhin in Sachen Homosexualität wenig getan», sagte Stiftungsrat Hugo Keune.

Wir ziehen den Hut vor Pierre Stutz, der bereit war, einen hohen Preis zu zahlen, um sich von starren Konventionen zu befreien und seinen eigenen Weg zu gehen. Mit seinen klaren Worten zur Diskriminierung durch den Vatikan macht er auch anderen in einer ähnlichen Situation Mut – denn sein Fall ist kein Einzelschicksal. «Ich gehe davon aus, dass mindestens ein Drittel der katholischen Seelsorger schwul ist und ein Drittel der heterosexuellen Priester eine Frauenbeziehung hat», so Stutz 2014 gegenüber der Luzerner Zeitung.