Alexis Dessart wollte sich nach dem Abschluss seines Multimedia-Studiums eine Auszeit nehmen und Südamerika bereisen. Einen Plan hatte er nicht – doch der Plan fand ihn, und zwar im bolivianischen Uyuni.

© Alexis Dessard

Vor eineinhalb Jahren – mitten in der Pandemie – kam der Franzose Alexis Dessard als Rucksacktourist in Bolivien an. Wie tausende andere wollte er einfach nur Land und Leute kennenlernen und die Natur geniessen. Was er auch eine Zeitlang tat. Bis er nach Uyuni kam, wo er die berühmte Salzwüste besuchte. Uyuni tat es ihm an, und er erkundete die Kleinstadt und ihre Umgebung. Dabei entdeckte er den sogenannten «Eisenbahnfriedhof». Dort rosten rund 100 Lokomotiven vor sich hin – eine Art Freiluftmuseum, das Touristen aus dem In- und Ausland anzieht. Doch wie an jedem Ort in Bolivien, an dem viele Menschen vorbeikommen, liegt überall Abfall herum.

Dessard deprimierte der Anblick der hunderten von Plastiktüten, die sich in den Büschen verfangen hatten, und der Dosen und Flaschen auf dem Boden. So publizierte er kurzerhand ein Video auf Social Media, das innert kürzester Zeit viral ging. Er lud die Bevölkerung dazu ein, am kommenden Samstag mit vereinter Kraft Ordnung zu schaffen und den Ort von Müll zu befreien. Was er nicht erwartete: Es folgten nicht nur mehr als tausend Menschen seinem Aufruf, sondern auch die bolivianische Armee beteiligte sich an der Aufräumaktion.

Motiviert durch diesen Erfolg, führt Dessard seither regelmässig ähnliche Aktionen an verschiedenen Orten durch: In der Nähe von La Paz fand eine grosse Säuberungsaktion des Titicacasee statt, an der auch 600 Polizeibeamte teilnahmen. Der höchste schiffbare See der Welt auf 3800 Meter über Meer ist stark verschmutzt, nicht nur durch Müll, sondern auch wegen toxischen Substanzen aus dem Bergbau und der exzessiven Fischzucht. Nach dem gleichen Muster verfuhr Dessard mit dem Uru-Uru-See in bolivianischen Oruro, dem Rocha-Fluss in Cochabamba und dem Pirai-Fluss in Santa Cruz.

Dessard ist in Bolivien nicht nur berühmt geworden, seine Aktionen führen auch immer wieder zu Kritik an der Regierung: Wie kann es sein, dass ein Ausländer effizientere Umweltaktionen durchführen kann als die lokalen und nationalen Politiker? Die Arbeit des Ministeriums für Umwelt und Wasser wird vermehrt in Frage gestellt, und die bolivianische Abgeordnetenkammer hat Dessard für seine Aufräumaktionen ausgezeichnet.

Für Dessard selbst ist ein Traum in Erfüllung gegangen, von dem er vor seiner Reise nicht einmal gewusst hatte: «Ich bin nach Bolivien gekommen, ohne irgendeine Idee oder einen Plan zu haben, ausser die schönen Orte des Landes zu besuchen», sagte der Franzose in einem Interview mit der bolivianischen Zeitung Los Tiempos. «Die Aktion in Uyuni hat jedoch mein Leben verändert. Von da an wusste ich, dass sich mein Leben ändern würde, denn ich wollte weiterhin solche Projekte durchführen und sehen, dass die Menschen auf der Ebene aller Institutionen zusammenkommen. Mein ganzes Leben lang habe ich mich gefragt, warum ich lebe, warum wir Menschen leben – viele philosophische Fragen dieser Art. Aber hier habe ich meine Antwort gefunden: Für mich ist das Beste, was man tun kann, zu versuchen, die Dinge positiv zu verändern.»

Wir ziehen den Hut vor Alexis Dessard – sein Engagement zeigt, dass man auch Grosses bewegen kann, wenn man im Kleinen beginnt. Er darf als Inspiration für andere gelten!

Über

Nicole Maron

Submitted by christoph on Mo, 04/19/2021 - 17:25

Nicole Maron (*1980) aus Zürich ist Journalistin und Buchautorin. Seit 2017 lebt und arbeitet sie in Bolivien und Peru. Ihre Schwerpunkte sind umwelt- und sozialpolitische Themen wie Flucht und Migration, globale Gerechtigkeit, Konzernverantwortung und Menschenrechte. 

Von Nicole Maron ist zuletzt erschienen: «Das Blut des Flusses» – Der in Espinar/Südperu gedrehte Dokumentarfilm zeigt auf, welche gravierenden Schäden das Schweizer Bergbauunternehmen Glencore vor Ort anrichtet.
https://www.youtube.com/watch?v=9Rj7lJc1GWY