«Die Behörden haben den Überblick verloren»

Als letztes Jahr die Zertifikatspflicht für Restaurants eingeführt wurde, hielt sich Gastwirt Roland Müller an die Regeln. Im Interview mit dem «Zeitpunkt» im Oktober 2021 stellte er aber auch klar, dass er bereit wäre, seinen Betrieb aufzugeben, wenn er selber von der Impfpflicht betroffen wäre. Im Rahmen der Serie «Was ist aus uns geworden?» erzählt er uns, was er inzwischen erlebt hat, und warum er vom Schweizer Rechtsstaat bitter enttäuscht ist.

Symbolbild / © Pixabay

Zeitpunkt: Wie sieht Ihre Arbeit heute aus? Haben Sie das Restaurant noch?

Roland Müller: Ja, ich habe das Restaurant noch. Allerdings mussten wir von Januar bis März dieses Jahres Kurzarbeit einführen. Am 15. Dezember 2021 wurde eine Verfügung erlassen, dass den Mitarbeitenden von Gastrobetrieben entsprechende Lohnausfälle zurückerstattet würden. Damit sollten Kündigungen vermieden werden. Die Lohnabrechnungen waren bereits gemacht, als ich am 14. April erneut eine Verfügung zugeschickt bekam, dass Rückerstattungen – anders als in der vorigen Verfügung festgehalten – nur bis Ende Februar geltend gemacht werden können. Somit blieb ich auf Kosten von 26'000 Franken sitzen, schliesslich konnte und wollte ich das Geld nicht von meinem Personal zurückfordern. Ich habe Einsprache erhoben, doch diese wurde am 4. Juli abgelehnt mit der Begründung, dass man davon habe ausgehen können, dass die Verfügung von Dezember bald aufgehoben werde. Mir wurde sogar vorgeworfen, dass ich keine Schadensminderung betrieben habe.

Was heisst das im Endeffekt? Dass man sich in der Schweiz nicht mehr auf gültige Verfügungen verlassen kann.

Was heisst das im Endeffekt? Dass man sich in der Schweiz nicht mehr auf gültige Verfügungen verlassen kann. Ich werde nun eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht einreichen, doch das Vorgehen der Behörden während der Corona-Krise hat mein Weltbild erschüttert. Früher war ich stolz darauf, als Schweizer in einem Land zu leben, in dem man sich darauf verlassen kann, dass die staatlichen Strukturen funktionieren und die Behörden pflichtbewusst und rechtskonform arbeiten. Doch was wir in den letzten zwei Jahren erlebt haben, war aus meiner Sicht reine Willkür. Ich bin von unserem Rechtsstaat zutiefst enttäuscht.

Sind Sie in Kontakt mit den Behörden getreten?

Ich habe im Zusammenhang mit der Zertifikatspflicht das Gespräch mit einem Zuger Regierungsrat gesucht. Dabei hat sich herausgestellt, dass er die Rechtsgrundlagen nicht kennt. Dass Gastwirte Zertifikate kontrollieren sollen, widerspricht nämlich dem Gesetz. Es ist in der bundesrätlichen Verordnung zwar vorgeschrieben, dass der Zugang zu Gastrobetrieben durch Zertifikate beschränkt werden muss. Doch diese Bestimmung erfülle ich bereits dadurch, dass ich an der Tür ein entsprechendes Schild aufhänge. Wir sind doch nicht dazu da, um zu schauen, ob sich die Bürger ans Gesetz halten. Ausserdem müsste eine Grundrechtseinschränkung wie diese in einem Gesetz und nicht in einer Verordnung festgelegt werden. Denn mit der Zertifikatspflicht verhindert man auch den Zugang von Menschen zu öffentlichen Räumen wie Kirchen oder Schulen. Das Ganze hat mir gezeigt, dass die Behörden selbst den Überblick verloren haben und nur noch machen, was man ihnen sagt.

Wie fühlen Sie sich in dieser Situation?

Wenn man beginnt zu begreifen, wie schnell sich der Rechtsstaat in einen Unrechtsstaat verwandeln kann, muss man aufpassen, dass man nicht depressiv wird. Ich hatte ja nicht nur als Unternehmer Probleme, sondern auch als Familienvater. Als die Maskenpflicht in Schulen eingeführt wurde, wollte ich mit dem Rektor der Kantonsschule sprechen, in die meine Tochter geht. Schliesslich ist es bewiesen, dass langes Maskentragen die Gesundheit schädigt. Dies wurde mir schon vor Jahren im Suva-Kurs zu Arbeitssicherheit beigebracht. Ich forderte eine Aussprache mit der Schulleitung, Lehrern, Eltern und Schülern. Doch der Rektor teilte mir nach mehrmaligem Nachhaken mit, dass das Thema intern diskutiert worden und somit abgeschlossen sei. Er wünsche keinen weiteren Schriftverkehr mit mir. Ich wurde von ihm genauso abgeblockt wie vom Regierungsrat. Wenn ich als Unternehmer meine Kunden so behandeln würde, wäre ich schon längst Konkurs gegangen.