Die Tage des Dollars …
Nach dem BRICS-Forum vom 22. Juni ist klar: Der Ersatz des Dollars als Weltreservewährung schreitet mit grossen Schritten voran. Die Folgen für die Weltwirtschaft dürften dramatisch – und befreiend – sein.
Das russische Zahlungssystem «MIR» (Friede) steht jetzt auch den Banken der BRICS-Länder zur Verfügung – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Die Verrechnungswährung, der russische Rubel, ist dabei nur eine Zwischenlösung.
«Die Frage der Schaffung einer internationalen Reservewährung, die auf dem Währungskorb unserer Länder basiert, wird derzeit geprüft», sagte Wladimir Putin in seiner Begrüssungsrede zum BRICS-Forum vom 22. Juni in China. (Putins Redeauf englisch im Wortlaut)
Das ist natürlich erst eine Ankündigung. Aber angesichts des fundamentalen Zerwürfnisses zwischen Ost und West, dürfte der Aufbau eines alternativen Zahlungssystems, ein neues Bretton Woods für die Staaten ausserhalb des westlichen Bündnisses höchste Priorität geniessen.
Während die westliche Allianz mit rund einer Milliarde Einwohnern noch die globalen Finanzen, Institutionen und Medien weitgehend kontrolliert, liegen die natürlichen Ressourcen und die industrielle Potenz mehrheitlich in Eurasien, Afrika und Lateinamerika. Da liegt die wirtschaftliche Zukunft.
Das neue Zahlungssystem der BRICS-Staaten mit einer Verrechnungswährung auf der Basis eines Währungskorbes und evt. Gold und natürlichen Ressourcen bedeutet eine akute Gefahr für die Stabilität des westlichen Systems mit dem Dollar als Weltreservewährung.
Sobald der neue Zahlungsausgleich der BRICS-Staaten funktioniert und die beteiligten Staaten die lebensnotwendigen Güter tatsächlich liefern können, eröffnet sich den hochverschuldeten Ländern der Dritten Welt und vielen anderen eine interessante Perspektive:
Sie können die Finanzierung des internationalen Handels über das neue System abwickeln und sich ganz vom Dollar verabschieden. Das gibt ihnen die Möglichkeit, sich für ihre enormen Dollar-Schulden für zahlungsunfähig zu erklären – ohne grosse Nachteile.
Konkretes Beispiel: Am 27. Juni wurde Russland für zahlungsunfähig erklärt – zum ersten Mal seit über hundert Jahren –, weil es 100 Mio. Dollar an Zinszahlungen nicht leistete, die am 27. Mai fällig waren. Russland bezahlte nicht, weil seine Konten bei westlichen Banken aufgrund der Sanktionen eingefroren wurden.
In der Folge stuften die Rating-Agenturen die russischen Staatspapiere herunter. Sie werden dadurch billiger und die Zinserträge steigen. Da die Investoren ausserhalb des westlichen Sektors wissen, dass Russland mit seinen geringen Auslandsschulden erstklassige Bonität geniesst, sind diese Papiere für sie ein sicheres Geschäft, und Russland kann sie zum günstigeren Preis zurückkaufen.
Die Geprellten dieser neusten Sanktion sind die westlichen Investoren. Sie erhalten keine Zinsen auf ihre Papiere und sind vom attraktiven Markt russischer Staatspapiere ausgeschlossen. Für Russland hat die vom Westen erklärte Zahlungsunfähigkeit nur Vorteile.
Zurück zur entstehenden neuen Reservewährung: Der partielle, auf Dollar- und Euro-Schulden beschränkte Staatsbankrott mehrer Staaten dürfte die kreditgebenden Institute der Wallstreet und der City of London in existenzielle Schwierigkeiten bringen, mit Folgen für das gesamte westliche Finanzsystem.
Etwas freundlicher ausgedrückt, handelt sich bei einem solchen partiellen Staatsbankrott um einen selbst erklärten Schuldenerlass. Wenn die Regeln des neuen Zahlungssystems unbezahlte Dollar- und Euro-Schulden nicht als gültige Verbindlichkeiten behandeln – dafür gibt es Hinweise –, kann sich ein Land so von den in den letzten Jahrzehnten akkumulierten Schulden befreien. Der grösste Teil dürfte ohnehin aus Zinsen und Zinseszinsen bestehen.
Ich zitiere dazu gerne den damaligen nigerianischen Staatspräsidenten Obasanjo, der im Jahr 2000 nach dem G8-Gipfel in Okinawa sagte:
«Alles, was wir uns bis 1985 oder 1986 ausliehen, waren ungefähr 5 Mrd. Dollar. Bis jetzt haben wir 16 Mrd. zurückbezahlt. Und trotzdem sagt man uns, wir schuldeten immer noch 28 Mrd. Dieser Betrag ist durch die Zinssätze der ausländischen Kreditgeber entstanden. Wenn Sie mich nach der schlimmsten Sache der Welt fragen, würde ich sagen, es ist der Zinseszins.» (Lietaer et al: Money – Sustainability, S. 91)
Die Chancen eines neuen internationalen Zahlungssystems mit einer Währung auf der Basis eines Korbes sind enorm. Denn mit Bretton Woods gerieten die USA und mit ihnen die ganze Welt ins Triffin-Dilemma, aus dem es keinen sanften Ausweg gibt.
Bei diesem Dilemma, benannt nach dem belgisch-amerikanischen Ökonomen Robert Triffin, geht es um Folgendes: Damit der Dollar als Welthandels- und Reservewährung funktionieren kann, muss er auch ausserhalb der USA in genügender Menge vorhanden sein. Das ist nur möglich, indem sich die USA verschulden, d.h. mehr Waren importieren als exportieren und mit frisch gedruckten Dollars bezahlen. Aber: Eine Währung ist nur stabil, wenn das Land, das sie herausgibt, eine ausgeglichene Leistungsbilanz ausweist.
Die unselige Geschichte der Leitwährungen begann 1940, als Nazi-Deutschland – das Kriegsglück noch auf seiner Seite – seine Vorstellungen der wirtschaftlichen Nachkriegsordnung präsentierte. Zentrales Element war die Bindung der Währungen der eroberten Staaten an die Reichsmark – die Idee der Leitwährung war geboren.
Nicht mehr Gold sollte das Mass aller Dinge sein, sondern die Währung der siegreichen Nation. Dieses Konzept hätte es Deutschland ermöglicht, Ressourcen aus allen angeschlossenen Ländern abzuziehen und mit selbst geschöpften Reichsmark zu bezahlen.
Der dreiste Vorstoss verlangte eine Antwort der Engländer. Sie beauftragten John Maynard Keynes mit einem Gegenentwurf. Keynes übernahm und verfeinerte das innovative Konzept einer globalen Buchwährung des jungen Ökonomen Ernst Friedrich («Fritz») Schumacher, damals noch deutscher Flüchtling in einem Internierungslager, später weltberühmt als Autor von «Small is beautiful».
Zentrale Elemente des Konzepts waren eine internationale Clearingstelle und die durch Gold gedeckte Verrechnungseinheit «Bancor», an die alle teilnehmenden Währungen gekoppelt werden sollten. Lieferungen zwischen den Ländern wären dabei in Bancor verrechnet und nicht mehr in nationalen Währungen oder in Gold bezahlt worden.
Um stabile Verhältnisse herzustellen, hätte nicht nur Zins bezahlen müssen, wer zu stark ins Minus rutschte, sondern auch wer zu grosse Überschüsse erzielte. Ein genialer Entwurf für ein sich selbst ausgleichendes, harmonisches System. Aber seine Zeit war noch nicht gekommen.
Ein paar Jahre später präsentierte Keynes dieses Konzept an der Konferenz von Bretton Woods, scheiterte aber an den besser organisierten Amerikanern, die das Konzept der Nazis übernahmen, den Dollar als Leitwährung durchsetzten und die Welt damit ins Triffin-Dilemma stürzten: Abhängigkeit von einem hochverschuldeten Land, das seine Gläubiger nur noch mit Waffen disziplinieren kann.
Und jetzt, am Ende dieser Sackgasse, schicken sich die BRICS-Staaten unter der Führung von Russland und China also daran, ein neues Bretton Woods zu schaffen, das noch keinen Namen hat, aber den primären Fehler – die Erhebung einer Landeswährung zur Leitwährung – eliminiert.
Ob die Kapitäne des neuen Systems weitsichtig genug sind, das selbstregulierende Konzept von Keynes/Schumacher zu realisieren, wird sich weisen. Denn ein Währungskorb, auch wenn er mit Gold und Öl ergänzt wird, löst nur das Triffin-Dilemma. Er verhindert nicht, dass ein Land übermächtig werden könnte, zum Beispiel China. Das wäre dann ein Problem, das die nächste Generation lösen darf – wenn sie sich denn noch an Schumacher erinnert.
Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass sich das Weltgeschehen nur mit einem Verständnis des Geldsystems erklären lässt. Die Geldschöpfung aus dem Nichts durch die privaten Banken erzwingt Überschuldung, ewiges Wachstum und Umverteilung von arm zu reich – alles endliche Prozesse, die in einem Desaster enden, wenn sie nicht vorher durch einen Schuldenerlass gestoppt werden. Mehr dazu in meinem letzten Buch:
Christoph Pfluger: Die Strategie der friedlichen Umwälzung – eine Antwort auf die Machtfrage. edition Zeitpunkt, 2019. 122 Seiten, Fr. 12.00.-/€ 11.00.-. ISBN: 978-3-9523955-9-2
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Christoph Pfluger
Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".
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