Eltern werden, ist eine mutige Entscheidung – kein «Geschenk»

Gestern veröffentlichte unser geschätzter Autor Nicolas Lindt einen seiner brillanten 5-min-Podcasts – wie immer zu einem polarisierenden Thema mit einem sehr persönlichen Standpunkt. In allem Respekt möchten wir ihm diesmal – zwei Redakteurinnen des Zeitpunkt – widersprechen: Bitte keine Mystifizierung rund um Mutterschaft!

Foto: Anna Shvets

Dieser Meinungsbeitrag ist eine Replik auf den Artikel «Kinderfrei» von Nicolas Lindt.


Erinnern sie sich? Im Filmklassiker «Der Pate» kehrte eine lustige Formulierung immer wieder: «Wir machen ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann.» Zu deutsch: Wir halten ihm das Messer an die Kehle. Als solch ein Angebot scheint uns die so hochgelobte «Kraft» und «Gnade» der Frau, Mutter werden zu können. Ein «Geschenk» der Schöpfung – und wehe, wenn sie es ablehnt. Das sei zwar ihr gutes Recht, meint Nicolas – aber er drückt auch ganz klar sein Unverständnis und seine Missbilligung darüber aus. Als ob Mutterschaft etwas ist, das sich einfach so gehöre. Als ob er sagen wollte: Wenn man das Leben liebt, kriegt man Kinder, basta.

Dem möchten wir widersprechen. Wir haben uns zum Beispiel dagegen entschieden. Nicht wegen der absurden #Birthstrike-Welle - «kinderlos wegen des Klimas». Wir finden vielmehr, alle, die Eltern werden wollen, sollen sich möglichst bewusst dazu entscheiden – ohne gesellschaftliche Erwartung, ohne Mystifizierung von biologischer Mutterschaft, ohne den Verdacht, keine richtige Frau oder kein richtiger Mann zu sein – aber auch ohne den heute allgegenwärtigen ökonomischen Druck und die Belohnung von Nicht-Elternschaft. 

Alle Kinder haben es verdient, willkommen zu sein. Nicht nur als «Wunder», «Segen», «Geschenk» – sondern als höchst eigenständige Wesen, die unsere ganze Aufmerksamkeit und Liebe einfordern dürfen. Sehen wir dem ins Auge: Kinder machen Unannehmlichkeiten, Dreck, Schmerzen. Sie bringen Lebenspläne durcheinander – das ist ihr Recht! Eltern zu werden, ist eine Lebensentscheidung von allerhöchster Tragweite – wer die als selbstverständlich ansieht, verdrängt, wie herausfordernd das ist. 

Übrigens: Auch unsere Erde verdient es, nicht mit unglücklichen Menschen überbevölkert zu werden. Lieber weniger, aber liebendere Bewohner – das würde uns allen gut tun! 

Warum geht es so vielen Menschen heute so schlecht? Warum sieht die Welt so aus, wie sie aussieht? Es ist sicher nicht der einzige Grund, aber einer: Weil Eltern sie zur Welt brachten, die nicht dazu bereit waren. Weil sie den Erwartungen ihrer Umwelt oder ihrer eigenen Biologie gefolgt sind und – wie Nicolas schrieb: ...«diese geradezu göttliche Gabe», «Leben zu schenken», blindlings nutzten. 

Wenn man die Entscheidung, was man mit seinem Leben machen möchte, von der «biologischen Veranlagung» abhängig machen würde – die einen praktisch dazu zwingt, die «Geschenke der Natur» zu würdigen, statt seinen individuellen Vorlieben, Bedürfnissen und Talenten zu folgen –könnte man auch sagen: Männer sind (im Allgemeinen) von der Natur mit beachtlicher physischer Kraft ausgestattet. Also ist es eine schnöde Verschwendung, wenn sie nicht einen Beruf wählen, in dem die körperliche Betätigung im Zentrum steht. Handwerker werden immer gebraucht. Die intellektuellen Aufgaben dürfen sie getrost den Frauen überlassen. Klingt absurd, oder? Ja: Genauso absurd wie anzunehmen, dass alle Frauen Kinder haben wollen und sollen. 

Die meisten Eltern haben sich vorher nicht damit beschäftigt, was es wirklich bedeutet, Eltern zu werden. Sie bringen oft gänzlich unvorbereitet «ihre» Stammhalter, «ihre» Nachkommen, Ebenbilder, Erben zur Welt – denn das gehört sich schliesslich so. Die leise Stimme in sich, die sagt, dass man noch nicht so weit ist, dass man dazu überhaupt (noch) keine Lust oder aber Sorge hat, es nicht zu schaffen – wird unterdrückt. U.a. mit Argumenten wie: «Aber bei Frauen, das gebe ich offen zu, begreife ich es noch weniger, weil ja die Mutterschaft wie ein Geschenk schon im weiblichen Körper angelegt ist.»

Entwicklungspsychologen wissen heute, dass ein grosser Teil der Eltern nach kurzer Zeit völlig desillusioniert ist. Ihre Kinder sind ihnen zu teuer, zu laut, lebendig, schmutzig, unerzogen, immer im Weg, aufsässig – manchmal auch zu angepasst und duckmäuserisch – jedenfalls nicht, wie sie sie haben wollten. Das Sexleben geht abhanden. Die freie Entfaltung auch. Die Mutter muss auf vieles im Leben verzichten. 

Ein Drittel aller Beziehungen geht auseinander, bevor die Kinder erwachsen sind. Solche Situationen erfahren Kinder oft als traumatische Schuld: Es liegt an ihnen, glauben sie, sie waren nicht willkommen, so wie sie sind. 

Diesen Glauben zu nähren, ist psychische Gewalt von Eltern gegenüber ihren Kindern. Lieber wird die eigene Kindheit glorifiziert, als noch einmal die eigene Ohnmacht, den Anpassungsdruck und das Gefühl, «nicht richtig» zu sein, zu fühlen. Und so glorifiziert man dann auch die eigene Elternschaft: «Ein Kind zu gebären wäre das grösste Kunstwerk, das ich jemals erschaffen hätte – das Grösste, das mir überhaupt je gelungen wäre.»

Geht es bei Elternschaft wirklich immer um das Kind – oder geht es um das Ego des Vaters/der Mutter?

Elternschaft – Mütterlichkeit und Väterlichkeit: Das sehen auch wir als die wichtigsten Qualitäten an, die es auf der Welt gibt. Deshalb sollten sie nicht selbstverständlich eingefordert und mystifiziert, sondern auf allen Ebenen bewusst entschieden werden und die allerbeste Unterstützung bekommen.

Eine Frau bei einer anderen Entscheidung als Mutterschaft als egoistisch zu bezeichnen, finden wir deshalb kurzsichtig. Denn vielleicht ist das Gegenteil der Fall: Vielleicht kennt sie sich besonders gut und macht sich keine Illusionen. Vielleicht weiss sie, dass viele Mütter aus Überlastung und Frustration heraus beginnen, ihre Kinder zu hassen. Das aber ist ein gesellschaftliches Tabu. Mutterliebe gilt als ein Naturgesetz. Eine gute Frau ist auch eine gute Mutter! Und Mütter, die ihre Kinder nicht lieben, sind Monster.

Zum Thema «gute Mutter» haben wir einen anderen Vorschlag:

Eine gute Mutter kennt den Teil in sich, der nicht liebend ist – nicht fürsorglich, nett und selbstaufopfernd – sie verdammt und dämonisiert diesen Teil nicht und schiebt ihn ins Unbewusste, sondern lernt, mit ihm umzugehen und ihn zu regulieren.

Eine gute Mutter verzichtet nicht auf ihre «egoistischen» Bestrebungen nach Glück, Kreativität, Entfaltung und – falls gewünscht – berufliche Verwirklichung. Denn sie weiss, dass ihr Kind eine glückliche Mutter verdient – jedenfalls nicht den Spruch: Ich habe dir alles geopfert!

Eine gute Mutter weiss aber auch, dass ihr Kind sie braucht, gerade im Kleinkindalter, und wird möglichst viel Zeit mit ihm im seelischen und Körperkontakt mit ihm verbringen – und es möglichst wenig zur «Betreuung» weggeben.

Eine gute Mutter weiss, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind grosszuziehen – sie versucht also nicht, Probleme hinter verschlossenen Türen zu verstecken und nach aussen die Supermami zu spielen – sondern bittet Freunde, Nachbarn, Familie um Unterstützung, wo immer sie sie braucht.

Eine gute Mutter sorgt für ein erfülltes Liebesleben, da sie die fatale Falle kennt, ein Kind zum Ersatzliebhaber zu machen. 

Eine gute Mutter weiss, dass es für Kinder meistens nicht reicht, nur bei einem Elternteil, nur bei einer Mutter aufzuwachsen – und sie hilft auch bei einer Trennung mit, dass sich Vater und Kinder nicht entfremden.

Das sind hohe Anforderungen – deshalb kann sich eine Frau durchaus als Frau fühlen und dennoch entscheiden, keine Mutter zu werden. 

Wer aber bereits Mutter oder Vater ist oder werden möchte und von obigen Vorschlägen weit entfernt ist – bitte keinen Stress machen. Wir tun alle unser Möglichstes. Lasst uns daran arbeiten, dass die gesellschaftlichen Umstände immer besser werden für Eltern und Kinder!