Entzugserscheinungen auf Reisen
Unterwegs mit dem Van durch die Provence bis runter an die wunderschöne Küste der Côte d’Azur. Zwei Wochen ohne meine Gitarre – und wie sich eine Seniorin während einem Konzert für mich einsetzte. «Aus dem Tagebuch eines Liedermachers» erscheint wiederkehrend.
Die Musik ist meine grosse Leidenschaft. Es gibt jedoch noch etwas Anderes, worauf ich mich immer wieder sehr freue: mit meiner Frau in unserem Van unterwegs zu sein. Wahrlich ein Stück Freiheit und ein grosser Luxus, einfach in den Bus einzusteigen und irgendwo der Sonne entgegenzufahren. Diesen Frühling führte die Reise nach Frankreich. Normalerweise im Gepäck immer mit dabei: die Gitarre.
Für diesen Roadtrip jedoch habe ich mich bewusst entschieden, die Gitarre für einmal zu Haus zu lassen. Auch ein Liedermacher braucht mal eine Pause. Dafür hatte ich meine Joggingschuhe mit im Gepäck. Es wurde höchste Zeit, dass ich mich wieder einmal ein bisschen sportlich betätige.
Die Reise durch die Provence war traumhaft. Unterwegs Richtung Süden, und einfach nur die Seele baumeln lassen.
Nach ein paar Tagen ohne Gitarre kamen dann aber die ersten «Entzugserscheinungen». Okay, so schlimm war es nun auch wieder nicht, aber so ganz ohne Gitarre war schon speziell. Und es wurde nicht einfacher, als wir irgendwo in der Pampa einkehrten und ich beim Aussteigen aus dem Van als erstes vertraut klingende Gitarrensaiten hörte. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass wir beim einen oder anderen Zwischenstopp Gitarrenklängen lauschen sollten. Es gibt also noch mehr von dieser Sorte Mensch, die auch im Urlaub nicht ohne sein Instrument sein kann. Irgendwie beruhigend.
Mal eine musikalische Pause einzulegen, hat rückblickend trotz allem gut getan. Zu meiner Schande muss ich aber gestehen, dass auch meine Joggingschuhe Urlaub hatten – sie blieben die ganzen Ferien über unangetastet in der Sporttasche.
Die Ferientage vergingen wie immer im Flug und ehe ich mich versah, war ich wieder im Alltag angekommen und für die bevorstehenden Auftritte am Proben. Auf eines der Konzerte freute ich mich besonders – auf den Liedernachmittag in Bümpliz. Oder besser gesagt, in meinem Bümpliz. Üblicherweise fahre ich tagsüber mit dem Velo von Liegenschaft zu Liegenschaft durch diesen Stadtteil Berns. An diesem Dienstagnachmittag war die Gitarre mit dabei.
Der Anlass wurde von der Reformierten Kirchgemeine organisiert – das Publikum zu 90 Prozent Senioren*innen. Ich spiele vor jedem Publikum gerne, muss aber zugeben, dass ich es sehr schätze, für ältere Menschen spielen zu dürfen. Meistens schaue ich ihnen während dem Spielen in die Augen, beobachte ihre Mimik und ihre Körperhaltung. Ich habe grossen Respekt vor dieser Generation Menschen. Sie hatten es sicher nicht immer einfach und mussten hart für ihren Wohlstand arbeiten. Desto mehr schätze ich es, wenn ich sie mit meinen Liedern für einen kurzen Moment aus dem Alltag entreissen kann und dafür ein zustimmendes Kopfnicken oder ein zufriedenes Lächeln ernte. Es ist faszinierend, wie sie meinen «Gschichte us em Läbe» gespannt zuhören.
Jeder Liedermacher lebt vom aufmerksamen Zuhören des Publikums. Und glaubt mir, diese Generation weiss noch, was zuhören bedeutet.
Dies musste auch ein anwesender Journalist am eigenen Leib erfahren. Der genannte Journalist war gekommen, um einen Konzertbericht zu schreiben. Einer Seniorin wurde es zu viel, dass da einer im Publikum sass und nichts Besseres wusste, als auf das Handy zu glotzen und Notizen zu machen. Beherzt rief sie zu ihm rüber, dass es ein Frechheit sei, einfach desinteressiert auf dem Handy rum zu drücken und dass er doch bitte den Saal verlassen solle, wenn ihn meine Musik nicht interessiere.
Natürlich habe auch ich, wie jeder andere im Saal, diese Konversation mitbekommen. Der Journalist meinte nur, dass er hier einfach seine Arbeit mache. Dafür wollte die Dame jedoch kein Gehör finden und meinte nur, wenn er das machen wolle – solle er gefälligst irgendwo in der hintersten Reihe Platz nehmen und nicht stören. Das war dann der Punkt, bei welchem ich das Programm unterbrach und die Dame höflich bat, den Mann einfach nur seine Arbeit machen zu lassen. Sie schüttelte zwar noch entrüstet ihren Kopf, aber nachdem ihr der Journalist nochmals erklärte, dass er einen Konzertbericht schreibe, war die Sache dann geklärt. Wie ich nach diesem übrigens wunderbaren Auftritt mitbekommen habe, haben sich die beiden dann bestens verstanden.
Und ja, ganz ehrlich, Hut ab vor der Dame, die meine Lieder so vehement verteidigt hat – eigentlich gar nicht so schlecht, oder?
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Boris Bittel (49) lebt mit seiner Familie in der Region Bern. Der gelernte Innendekorateur arbeitet hauptberuflich als Immobilienbewirtschafter. Während den wärmeren Jahreszeiten ist der Musiker oft mit seiner Frau im selbstausgebauten Van unterweges. Im Gepäck immer mit dabei: die Gitarre und Notizmaterial.
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