Erkenntnisse eines Psychotherapeuten: «Aussöhnung mit uns selbst und dem unvollkommenen Leben»
Der bekannte Psychotherapeut und Autor Professor Dr. Uwe Böschemeyer (84) legt mit seinem neuen Buch eine Essenz seiner Berufs- und Lebenserfahrung vor.
«Was Menschen mehr denn je brauchen, ist, scheint mir, Aussöhnung: mit sich selbst, mit anderen, mit dem Leben überhaupt. Es gibt in dieser Zeit so viele Vorbehalte, so viel Ablehnung, so viel Aggressivität, so viel Streit, aber auch so viel Gleichgültigkeit», schreibt Böschemeyer im Vorwort seines neuen Buches. Uwe Böschemeyer ist ein Vertreter der Existenzanalyse und Logotherapie nach Viktor Frankl und lebt und wirkt in Salzburg.
Viele Leiderfahrungen müssten seiner jahrzehntelangen Therapeutenerfahrung gar nicht sein: Man könne durchaus etwas tun, wenn man lernte mehr als bisher «persönlich zu ändern, was zu ändern ist» und sich danach daran machte, sich «auszusöhnen mit dem, was nun einmal so ist, wie es ist.»
Arbeit mit dem unbewussten Geist, denn in der Tiefe ist es hell
Im ersten Teil seines Buches geht der Psychotherapeut und Ausbilder auf die Methode der Wertimagination ein, ein Verfahren, das er selbst entwickelt hat und in Seminaren weitervermittelt. Böschemeyer setzt grosses Vertrauen in den Geist, auch in den unbewussten Geist. Im unbewussten Geist seien unsere Werte verwurzelt.
In der Tiefe sei es nicht dunkel, wie manche befürchten, sondern: «Unsere Tiefe ist hell». Die innere Welt sei auf Liebe gegründet. In seiner unbewussten Welt hätte jeder Mensch Begleiter, wenn er sich darauf ausrichte. In therapeutisch angeleiteten Imaginationen sei es dem Imaginanden daher möglich, mit diesen inneren Wertgestalten Kontakt aufzunehmen. So helfe etwa die Gestalt des «Inneren Lebensbejaher» dabei, sich anzunehmen, wie man ist: «Er wirkt freundlich, frei, kraftvoll, selbstbewusst, verständnisvoll, Vertrauen erweckend, grossherzig, gütig, versöhnlich, liebevoll. Er weckt Hoffnungen, ermutigt, zeigt neue Wege, vermittelt tiefe Geborgenheit.»
Selbstentfremdung überwinden, Ganzheit erfahren
Durch den inneren Dialog mit dem Lebensbejaher lösen sich Ängste, Verhärtungen und Beschränkungen, wie zwei eindrückliche Beispiele im Buch zeigen. Der Mensch findet wieder zu seinen inneren Kraftquellen. Sein Selbstbild und das darauf aufbauende Weltbild verändern sich zum Positiven: Die Selbstentfremdung weicht einem Gefühl der Ganzheit. Das wertorientierte Gespräch eröffnet neue Wert- und Sinnerfahrungen, denn das Bedürfnis nach Sinn sei ein Primärmotiv menschlicher Existenz. Das konstatierte bereits Viktor Frankl, dessen Schüler Uwe Böschemeyer war. Schliesslich hilft auch die Persönlichkeitslehre des Enneagramms mit den neun Charakteren dabei, sich selbst und seine Mitmenschen besser zu verstehen.
Die Lebensverneinung in die Schranken weisen mit dem Gold in unserer Seele
Böschemeyer möchte die trübe Weltsicht, die sich im «Negativismus» unserer Zeit besonders bemerkbar macht, aufhellen und klären. Der «innere Gegenspieler» personifiziere die Lebensverneinung und sei eine ständige Herausforderung. Ihn gelte es zu beherrschen, vielleicht auch im inneren Dialog. Dazu der Autor: «Die einseitig negative Sicht auf uns selbst und auf das Leben muss kein Schicksal sein oder bleiben. Wichtig ist, dass wir die dunklen und die hellen Pfade unserer Seele erkennen: die Abgründe in uns genau wie das «Gold im Geröll der Mine».»
Sehnsucht nach Aussöhnung und Güte steckt in uns allen
Nichts im Leben ist vollkommen. Aber kann man mit all dem Unvollkommenen gut leben?
Uwe Böschemeyer bejaht dies und zeigt auf, dass sich eine Aussöhnung mit dem eigenen Leben lohnt und dass es diese Möglichkeit für jeden gibt. Jeder Mensch sehnt sich in der Tiefe seines Herzens danach.
Als Therapeut weiss er: «Aussöhnung ist ein Wert, der enttäuschtes, verletztes, ungeordnetes Leben ordnen und verändern kann, wenn sich ein Mensch dieser Grundmöglichkeit nicht verschliesst.» Er möchte deshalb zur Aussöhnung ermutigen: «Aussöhnung kann erfahren, wer sich nicht mehr auf seine Bitterkeit, seine Resignation oder sein stumpfsinniges Dasein fixiert, sondern bereit ist, sich von diesen Blockaden der eigenen Weiterentwicklung zu befreien.»
Die Vernunft gebietet es, sich auszusöhnen, denn «der vernünftige Mensch weiss, dass Nicht-ausgesöhnt-Sein die Seele und den Körper zerstört».
Und dann gibt es da noch die Güte, ein Wert, der oft vergessen scheint: Güte sei gelebte Weitherzigkeit. Ja, «Güte würde die Welt verändern, wenn es hinreichend Menschen gäbe, die von diesem Wert nicht nur wissen, sondern ihn auch miteinander zu leben bereit wären.»
Einen neuen Blick auf die schmerzvolle Vergangenheit werfen
Der erfahrene Psychotherapeut hat im Laufe seiner beruflichen Arbeit sehr viele Lebensgeschichten gehört und findet nahezu jede bewegend, berührend und einzigartig. Er weiss, dass es oft die Vergangenheit ist, die uns belastet. Erfahrungen aus der Kindheit, die uns nicht loslassen.
Er spricht aus tiefem Wissen, wenn er schreibt: «Ich gebe mir Mühe, die Schmerzen der alten Zeit überwinden zu helfen. Als ich jung war in meinem Beruf, glaubte ich, die dunklen Schatten würden nach einer gewissen Zeit verflogen sein. Nun, da ich alt bin und mehr Erfahrung als damals habe, glaube ich, dass zwar viele schwere Erinnerungen dank therapeutischer Arbeit verblassen können, dass jedoch – jedenfalls bei schweren Kindheiten – ein unerledigter Rest, und sei er noch so unbewusst, bleibt.»
Aber damit kann man sich meist doch aussöhnen, denn es kommt darauf, wie wir darauf blicken. Es gebe bereits einen Ort der Aussöhnung in uns. Mitgefühl mit uns selbst helfe uns dabei zu diesem Ort zu gelangen und dort im Dialog mit der «Inneren Güte» Frieden zu finden.
Die Möglichkeiten, auf uns selbst und unser Leben Einfluss zu nehmen, sind noch längst nicht ausgeschöpft
Auch die Gegenwart am Arbeitsplatz, in der Familie und im Freundeskreis ist manchmal nicht so, wie wir es uns gewünscht haben. Vielleicht leiden wir unter einer chronischen Krankheit oder mögen unseren Körper nicht. Verwandte haben den Kontakt zu uns abgebrochen. Auch hier gilt: Je wahrhaftiger ein Mensch sich selbst ansieht, desto freier wird er.
Böschemeyer fügt hinzu: «Diese Wahrheit … sich selbst gegenüber, ist niemals schneidend oder bitter oder zynisch oder gar sarkastisch, wenn sie gütig ist.»
Für die Zukunft gibt uns der Autor folgende Weisheit mit auf den Weg: «Es gibt keine Sicherheit, dass die Zukunft uns bringen wird, was Vergangenheit und Gegenwart uns versagt haben, aber es wird immer Möglichkeiten geben, das Leben zu bejahen.»
Uwe Böschemeyer hat dieses Buch für Kollegen und alle Sinn- und Wahrheitssucher geschrieben. Es ist ein ernstes Buch, das anschaulich und verständlich darlegt. Es ist ein bewegendes Buch, das wert-volle Impulse gibt und die tiefen Schichten in uns anspricht. Wir verstehen mit diesem Buch: Mit Güte und Aussöhnung in unserem Lebensgepäck geht es leichter und ehrlicher voran. Es ist ein Buch, das in unsere Zeit passt, denn es gilt sich auch mit unserer historisch schwierigen Zeit zu versöhnen. «Wir haben keine andere Zeit. Wir können sie beklagen, bejammern, resignieren. Es bleibt doch unsere Zeit!»
Zusätzliche Informationen:
Zu Viktor Frankl: Viktor Frankl - Leben & Lehre | Viktor Frankl Zentrum Wien
Auswahl weiterer Bücher von Professor Dr. Uwe Böschemeyer:
Das Leben meint mich. Meditationen für den neuen Tag. Ein Jahrbuch, Hamburg 2019
Der alte Mann und sein inneres Kind. Das Leben wirklich leben, Salzburg 2018
Der innere Gegenspieler. Wie man ihn findet und überwindet, Salzburg/München 2020
Du bist viel mehr. Wie wir werden, was wir sein könnten, Salzburg 2020
Glück durch Verzicht? Wien 2022
Sinnerfüllt leben mit Krebs, Wien 2022
Warum es sich zu leben lohnt, Salzburg 2019
Warum nicht. Über die Möglichkeiten des Unmöglichen, Salzburg 2014
Weil ich es dir nicht sagen konnte. Vom Schatten des Schweigens zur befreienden Wahrheit, Salzburg 2020
Wie man den Sinn des Lebens nicht findet, Wien 2021
Von den hellen Farben der Seele. Wie wir lernen, aus uns selbst heraus zu leben, Salzburg 2018.
Du bist viel. Wie wir werden, was wir sein könnten, Salzburg 2010.
Das heitere Enneagramm. Eine verständliche und humorvolle Typenlehre, Hamburg 2013
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Dr. Christine Born
Dr. Christine Born ist Diplom-Journalistin und Autorin. Sie ist Mitglied im Deutschen Journalistenverband und interessiert sich für Politik,Kultur, Pädagogik, Psychologie sowie Naturthemen aller Art.
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