Grosi – die Meisterin der guten Vorsätze

Vorsätze zu fassen, ist nicht einfach. Sie zu halten, noch viel weniger. Wie man’s trotzdem schafft, hat mir meine Grossmutter beigebracht. Kolumne.

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Der Januar ist schon vorbei, und was ist aus Ihren guten Vorsätzen geworden? Gehören Sie zu denen, die genau einmal im Jahr, nämlich Ende Dezember, darüber nachdenken, was Sie in Ihrem Leben ändern möchten? Die Klassiker: sich gesünder ernähren, mehr Sport treiben, mehr Zeit mit der Familie verbringen, aufhören zu rauchen, weniger Geld ausgeben, dankbarer für die kleinen Dinge des Lebens sein.  

Ja, am 31. Dezember liegt das neue Jahr wie ein Buch mit 365 leeren Seiten vor einem, und man glaubt fest daran, dass man diese mit frischem Elan beschreiben und seine guten Vorsätze umsetzen kann. Doch dann kommt dies und das dazwischen. Die letzten Weihnachtsguetzli kann man ja nicht verderben lassen, die Diät kann noch eine Woche warten. Im Schneefall joggen gehen ist nicht die beste Idee, auf die paar Tage kommt’s ja jetzt auch nicht mehr an. Im Büro stapelt sich nach den Ferien die Arbeit, und es ist gerade schwierig, Zeit für einen Ausflug mit den Kindern freizuschaufeln. Und als ob dies nicht schon genug wäre, haben alle Läden Ausverkauf – wär doch schön blöd, sich die Schnäppchen entgehen zu lassen.

So wird’s Februar, und man ist wieder im alten Trott gefangen. Ist ja eh alles nicht so tragisch, letztes Jahr ging’s doch auch, und sooo schlimm ist das ja auch nicht mit den paar Zusatzkilos auf der Waage und dem Loch auf dem Konto. Doch spätestens im Dezember ärgert man sich, dass man so schnell aufgegeben hat, und denkt: nächstes Jahr ganz bestimmt!

Um gute Vorsätze umzusetzen, muss man sich selbst überlisten. Also schlauer sein als sein eigenes Ich. Das schaffte meine Grossmutter, als sie sich die Zigaretten abgewöhnen wollte, nachdem sie 40 Jahre wie ein Schlot geraucht hatte. Obwohl ihr der Arzt nach einem Lungencheck sagte, «Sie haben Lungen wie eine Zwanzigjährige, Sie haben sicher nie geraucht!», beschloss sie eines Tages, das Rauchen auf ein Minimum zu beschränken. Fünf Zigaretten pro Tag wollte sie sich genehmigen, denn ein bisschen Genuss darf schon noch sein.

Jeder, der einmal aufgehört hat zu rauchen, weiss, dass dieser Vorsatz praktisch unmöglich umzusetzen ist. Entweder hört man ganz auf oder man raucht weiter – so diktiert es die Sucht. Doch die hatte ihre Rechnung ohne meine Grossmutter gemacht. Sie war zu diesem Zeitpunkt schon fast 80, und das Treppensteigen machte ihr zunehmend Mühe. Da sie im vierten Stock wohnte und das Haus keinen Lift hatte, ging sie genau einmal am Tag aus dem Haus: zur Migros und aufs Grab ihres Mannes. Beim Heimkommen leerte sie den Briefkasten. Doch da lag nicht nur Post, sondern auch die Zigarettenschachtel, die sie dort deponiert hatte. Zusammen mit den Briefen nahm sie ihre Tagesration, fünf Kippen, mit hinauf. Wenn sie während des Tages die Lust überkam, mehr zu rauchen, lagen zwischen ihr und dem Nachschub vier Stockwerke. Dies reichte meistens aus, um das Verlangen im Keim zu ersticken.

Ja, Grosi hat war genauso eigensinnig wie schlau – und eine Meisterin im Umsetzen von guten Vorsätzen. Hat sie mir leider nicht weitervererbt. Ich fasse nicht mal welche. 

Über

Nicole Maron

Submitted by christoph on Mo, 04/19/2021 - 17:25

Nicole Maron (*1980) aus Zürich ist Journalistin und Buchautorin. Seit 2017 lebt und arbeitet sie in Bolivien und Peru. Ihre Schwerpunkte sind umwelt- und sozialpolitische Themen wie Flucht und Migration, globale Gerechtigkeit, Konzernverantwortung und Menschenrechte. 

Von Nicole Maron ist zuletzt erschienen: «Das Blut des Flusses» – Der in Espinar/Südperu gedrehte Dokumentarfilm zeigt auf, welche gravierenden Schäden das Schweizer Bergbauunternehmen Glencore vor Ort anrichtet.
https://www.youtube.com/watch?v=9Rj7lJc1GWY