Heute anders #1: der Kollateralnutzen, die Dinge einfach anders zu machen
Wie kann man aus dem mentalen Trott ausbrechen? Diese Frage machten wir uns vor einer Woche an der Zeitpunkt-Redaktionssitzung zum Thema. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass wir als Gesellschaft mehrheitlich in einem mentalen Pandemie-Hamsterrad stecken.
Die Einen treten das Rad in die eine, die Andern in die umgekehrte Richtung und die Dritten, schwindlig geworden, melden sich ab.
Das Ergebnis ist eine Wahrnehmungsstörung mit zwei Ausprägungen.
- Der eine Filter hält alles Pandemische fern – aber da geschieht dummerweise immer wieder Entscheidendes.
- Der andere Filter lässt nur das Pandemische durch – draussen bleiben das Neue, das Andere, das Leben an sich, also das, worum es eigentlich geht.
Natürlich haben wir in der Redaktion keine Lösung für dieses Problem gefunden, aber eine Antwort: Rhythmus brechen, Muster stören, neu betrachten – Motto: «heute anders».
Nächster Schritt: Aktion starten, Leser informieren und sie auffordern, ihre Erfahrungen mit diesen mentalen Lockerungsübungen zu teilen.
Man kann natürlich nicht Wasser predigen und Wein trinken. Also packte ich die Badehose ein und machte mich auf einem Umweg nach Hause – der Aare entlang, mit einem kühlen Bad.
Die erste Erkenntnis: Anders ist erfrischend, im wahrsten Sinn des Wortes. Und der Wunsch: von jetzt an täglich! Daran habe ich mich seither gehalten und das regelmässige Flussbad auch nicht mehr als persönliche «heute anders»-Aktion verbucht.
Die zweite Erkenntnis: Man kann unglaublich viel anders machen, ohne dadurch gleich das Leben auf den Kopf stellen zu müssen. Am nächsten Morgen nahm ich also für die Fahrt ins Büro einen lauschigen kleinen Umweg und liess mir im Wald den Wind um die Ohren pfeifen. Das durchlüftet zufälligerweise auch das Denken.
Soll ich jetzt täglich eine kleine «heute- anders»-Geschichte schreiben? war meine nächste Frage. Nein, nicht schon wieder eine regelmässige Pflicht! die Antwort. Die Leute werden selber den Charme der Übung entdecken, ihren gewohnten Rhythmus immer wieder zu brechen. Da braucht es keine tägliche Dosis Besserwisserei.
Nach einer Woche kann ich einen nachhaltigen Sinneswandel feststellen. Die tägliche, bzw. ständige mitschwingende Aufforderung «geht auch anders» hat zu folgenden sichtbaren Ergebnissen geführt:
- das Gefühl, in jedem Moment bewusst frei entscheiden zu können, hat sich eingestellt
- die richtigen Leute für ein wichtiges Projekt sind aufgetaucht
- ich habe neue Freunde gewonnen – aus dem Nichts
- ich habe ein ausserordentliches Unterstützungsangebot erhalten
- viele zufällige Begegnungen würzten den Alltag.
Es ist, als ob auf meinem Komposthaufen entscheidende Samen Wurzeln zu schlagen beginnen.
Warum ist das als Kollateralnutzen von «heute anders» einzuordnen?
- Die Erkenntnis, ständig über Alternativen zu verfügen, verändert den Blickpunkt und damit auch das Bewusstsein.
- Indem sich das Bewusstsein spürbar verändert, rückt näher an die Gegenwart.
- Dadurch nimmt man in der Gegenwart mehr von dem wahr, das ohnehin da ist, aber ohne Wahrnehmung wieder verschwinden würde. «Wahrnehmung» heisst damit auch: wirklich werden lassen.
«heute anders» geht natürlich auch ohne philosophischen Hintergrund, einfach aus Freude. Dazu muss ich Ihnen nicht einmal viel Spass wünschen. Er kommt ganz von alleine.
von:
Über
Christoph Pfluger
Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".
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