«How does it feel....?» – Happy Birthday Bob Dylan!
Am 24. Mai 2021 wird Bob Dylan 80 Jahre alt. Für seine Lyrics wurde er mit dem Nobelpreis geehrt und das Fachblatt «Rolling Stone» pries ihn als Schöpfer des «besten Songs aller Zeiten». Aufgenommen 1965, wurde dieses Lied aber eher zufällig ein Welthit, es lag schon in der Vorhölle für beerdigte Projekte. Doch sein Titel benennt bis heute, wie der Stern dieses Sängers auf seiner «Never Ending Tour» über die Bühnen der Welt seine Kreise zieht: Like a rolling stone.
Im Studio A im Obergeschoß des Columbia-Buildings in New Yorks Seventh Avenue nahmen die Top-Stars von Columbia Records ihre Platten auf. Frank Sinatra hatte hier «New York, New York» und Dutzende weitere Klassiker eingespielt und jüngere Künstler wie Barbara Streisand oder Andy Williams («Moon River») gerade ihre ersten Hits produziert.
Die Musiker, die sich am 15. Juni 1965 dort mit Bob Dylan versammelt hatten, entsprachen nicht dieser amerikanischen Mainstream-Musik, die Columbia groß gemacht hatte. Nach vier Folk-Alben mit Balladen wie «Blowin’ in the wind» und «The times they are a’changin» hatte Dylan im April 1965 seinen ersten Rocksong «Subterrean Homesick Blues» aufgenommen, doch war dieser unterirdische Heimwehblues – eine Litanei,die heute von Historikern als Ur-Musikvideo und Vorgänger des Rap gefeiert wird – nicht im Enferntesten in die Chartränge vorgestoßen, die die Hits dieses Frühjahrs belegten: die Beatles mit «Eight days a week» und die Rolling Stones mit «Play with fire».
Die britischen Bands hatten dem ur-amerikanischen Rhythm & Blues neues Leben eingehaucht, doch an den «Majors» wie der CBS-Tochter Columbia-Records war dieser Trend vorbeigerauscht. Schon 1955 hatte man dem Rock’n Roller Elvis Presley keinen Vertrag gegeben und 1963 auch das erste Beatles-Album abgelehnt. Und dass Bob Dylan an diesem Junitag 1965 mit „Like a rolling stone» gerade den besten Rocksong aller Zeiten eingespielte, wollten die Plattenbosse nicht hören – jedenfalls nicht sofort.
Und schon gar nicht konnten sie sich vorstellen, dass es im November 2004 in einem führenden Fachblatt heißen würde: «Kein anderer Popsong hat die kommerziellen Gesetze und künstlerischen Konventionen der Zeit so herausgefordert hat, für alle Zeiten». So kommentierte die Musikzeitschrift «Rolling Stone» das Ergebnis einer Wahl, bei der Redakteure, Musiker und Kritiker Bob Dylans «Like a rolling stone» zum besten Song aller Zeiten gewählt hatten. Vor «Satisfaction» von den «Rolling Stones», John Lennons «Imagine» und 497 weiteren Popklassikern.
«Es ist eine Schande, dass der politische Liberalismus den Rock’n Roll in Beschlag genommen hat», kritisierte der rechts-konservative «American Spectator» die Wahl, zudem sei Dylan musikalisch nicht einmal gut genug «einem Elvis Presley die Gitarre zu stimmen.» Für Empörung sorgte die Auszeichnung freilich nur in Kreisen, für die Bob Dylan, die Beatles und die Rolling Stones schon damals ein rotes Tuch waren – Exponenten der Gegenkultur, die den 60er Jahren ihren Stempel aufgedrückten: Bürgerrechtsbewegungen, Studentenproteste, Woodstock-Festival.
Bob Dylan stand dabei für eine neue Generation von Künstlern, die anders als Elvis, der 1958 noch mit viel staatstragender PR und «Muß I denn zum Städele hinaus…» zur Armee gegangen war, Militär und Krieg ablehnten. Wegen der massiven Bombardments in Vietnam war es Anfang 1965 zu den ersten Großdemonstrationen in Washington gekommen, die beginnende Rekrutierung von Bodentruppen drohte vielen jungen Männern mit Einziehung.
Aber die Jugendkultur hatte ein neues Medium entdeckt und nutzte es zum Widerstand.
Im Süden der USA reagierten weiße Kapuzenmänner auf die offiziell aufgehobene Rassentrennung mit Terroranschlägen auf Schwarze – nach der Ermordung John F.Kennedys zwei Jahre zuvor – Dylan hat diesem "Murder Most Foul» noch 2020 eine wunderschöne Ballade gewidmet – schien der Aufbruch in ein besseres, gerechteres Amerika in ein Rollback umzuschlagen. Aber die Jugendkultur hatte ein neues Medium entdeckt und nutzte es zum Widerstand: Verstärker, elektrische Gitarren, Schallplatten, Radio.
Diese Vereinigung von Protest und E-Gitarre, Pop und Politik, Musik und Botschaft bahnte sich Anfang 1965 gerade an, war aber noch nicht zu hören. Doch dann wachte der Stones-Gitarrist Keith Richards im April in einem Hotelzimmer in Florida auf, weil ihm mitten in der Nacht ein Gitarren-Riff eingefallen war. Er stellte das Tonband an, hielt die Eröffnungsakkorde von «Satisfaction» fest – und definierte damit einen Musikstil, der fortan nicht mehr «Rock’n Roll», sondern «Rock» genannt wurde.
Und Bob Dylan beschloß zur selben Zeit, seine Rolle als schrammelnder Folk-Barde mit Wanderklampfe und Holzfällerhemd abzulegen, und diese neue Art von Musik mit Inhalt zu füllen. Seit diesem Frühjahr 1965 klang Popmusik nicht nur anders – sie erzählte auch andere Geschichten. Und die Aufnahme von «Like a rolling stone» markierte diese Zeitenwende.
Shaun Considine, damals Koordinator der Neuveröffentlichungen bei «Columbia», erzählte der «New York Times», dass die Single um ein Haar gar nicht erschienen wäre, weil sie den Verkaufs-und Marketingmanagern nicht ins Konzept paßte: «Ihre Ablehnung kam von zwei Seiten. Zum einen mochten sie keinen Rock – aber das wurde natürlich nicht gesagt. Sie hängten sich an der Länge des Songs auf.
1965 lag die übliche Länge einer Single, die im Radio gespielt wurde, bei drei Minuten. «Like a Rolling Stone» kam eine Sekunde unter sechs Minuten ins Ziel – und der salomonische Rat der Verkäufer lautete: Schneide das Baby in zwei Teile.» Als man Dylan diesen Beschluß präsentierte, lehnte er ab.
Der Veröffentlichungstermin der Platte wurde daraufhin von «sofort» auf «unbestimmt» verschoben, was nichts anderes bedeutete als die Vorhölle für beerdigte Projekte. Zudem stand ein Umzug in ein anderes Gebäude an und als ihm beim Kistenpacken eine Kopie des eben «verschobenen» Dylan-Songs in die Hand fiel, nahm Considine die Platte mit nach Hause.
Er spielte sie am Wochenende so oft und so laut, dass die Nachbarn sich beschwerten – und dann fiel ihm ein, wo man solche Musik zu schätzen wüßte. Ein paar Wochen vorher war der heißeste Musikclub der Stadt eröffnet worden, das «Arthur» in der 54th Street – jeder wollte da hin, doch Dylan war mit seinen Jungs und ihren bierbesprenkelten Klamotten aus dem Army-Store an der Tür abgewiesen worden.
Dank Shaun Considine erging es seiner Platte besser – weil er Clubmitglied war, erfüllte der DJ ihm den Wunsch, das Stück zu spielen. Den Namen des Sängers nannte er nicht und sagte dazu, dass das Stück sehr lang sei und ruhig abgebrochen werden könnte, wenn die Tänzer sich langweilten. Doch als die Platte dann nach einer Pause gespielt wurde, geschah das Gegenteil:
«Die Wirkung war erdbebenartig. Die Leute stürmten die Tanzfläche und die, die sitzenblieben hörten zu. ‹Wer ist das›, rief der DJ in meine Richtung. «Bob Dylan» schrie ich zurück und der Name machte die Runde im Saal.»
Unter den Gästen waren auch die DJs von zwei großen New Yorker Radiostationen, die am nächsten Morgen bei Columbia Records anriefen und sich darüber beschwerten, dass sie noch keine Kopien der neuen Dylan-Single erhalten hätten. Eilsitzungen wurden einberufen und am 15. Juli 1965, vier Wochen nach der Aufnahme, wurde die Platte an Läden und Radiostationen verschickt , gepresst auf rotes Vinyl, um den DJs zu zeigen, dass es sich um ein «heißes» Produkt handelte, – und mit dem Label: «Like a rolling stone (Part 1), timing 3:02», sowie der B-Seite «Part 2 (timing 3:02)».
Die Verkaufsabteilung hatte einmal mehr zugeschlagen – aber konnte sich dennoch nicht durchsetzen. Die DJs schnitten beide Seiten auf Band und spielten den kompletten Song im Radio, eine Woche später kam «Like a rolling stone – full version» in die Billboard Charts, Anfang September war er bis auf Platz zwei geklettert. Hinter «Help» von den Beatles und vor den Rolling Stones, die den ganzen Juli über die Nr. 1 mit «Satisfaction» belegt hatten.
Mit dem Titel hatte Dylan nicht nur auf seine historischen Wurzeln verwiesen, Muddy Waters Bluesklassiker «Rollin’ stone» von 1948 an , sondern auch auf die britische Band, die sich nach ihm benannt hatte. «Doch das Rennen lief nicht nur zwischen den Beatles, Bob Dylan und den Stones und allen anderen.
Die Popwelt war im Rennen mit der größeren Welt, der Welt der Kriege und Wahlen, der Arbeit und Einkommen, der Armen und Reichen, der Schwarzen und Weißen., der Männer und der Frauen – und 1965 war zu fühlen, dass die Popwelt gewann.», schreibt der Musikhistoriker und Dylanologe Greil Marcus, der «Like a rolling stone» ein ganzes Buch gewidmet hat.
Die «Biographie» eines Songs, mit dem die Emanzipation der Popmusik von Schubidu und Themen wie Herz und Schmerz begann, obwohl er auf der Oberfläche doch eigentlich von nichts anderem erzählt. Ein enttäuschter Verehrer, der eine abgestürzte «Miss Lonely» fragt, wie es ist, arm und homeless zu sein: «How does it feel ?».
Doch dahinter erzählte Dylan noch ganz andere Geschichten: die eines ganzen Landes, das im Wohlstandsrausch die Realität auf der Straße ausgeblendet hatte, das Intoleranz und Selbstgefälligkeit pflegt und sich über die Wirklichkeit mit Illusionen und Alibis hinwegtäuscht.
Die Verse entstammten einem längeren Text, den er nach eigenen Angaben an einem Abend «herausgekotzt» hatte.
Und er sang davon, dass diese Wirklichkeit weniger auf den «finest schools» gelehrt wird, sondern von den Freaks auf der Straße, nicht von «Diplomaten in Chromschlitten» sondern von «verlumpten Napoleons», die merkwürdig reden und «»mysteriösen Tramps», die merkwürdige Psychedelika verkaufen. Mit dem «napoelon in rags» , dem «mystery tramp» und den anderen Gestalten, die Dylans Sechs-Minuten-Dramolett bevölkern – die Verse entstammten einem längeren Text, den er nach eigenen Angaben an einem Abend «herausgekotzt» hatte – hatte Dylan nicht einfach irgendeine rätselhafte Personage erstellt, sondern Figuren und Situationen, in denen sich das Publikum wiederfand.
Wie das auf seine Zuhörer wirkte, erzählt Jann Wenner, der gerade als Musikjournalist anfing – und wie fast jeder junge Mensch im Kalifornien dieser Zeit an den «Acid-Test» genannten Partys teilgenommen hatte, auf denen der Autor Ken Kesey («Einer flog übers Kuckucksnest») und seine «Merry Pranksters» mit Musik, Lightshows und LSD das Hippie-Zeitalter der Bewusstseinserweiterung einläuteten:
«Ich dachte immer, das ist meine Geschichte…. Ich war auf den besten Schulen, niemand lehrte mich wie man auf der Straße lebt…. Und dann rennst du plötzlich mit Leuten wie Ken Kesey, den Hells Angels und Drogendealern rum, und einer von denen ist der Mystery Tramp. Und auf so einem Acid-Test kommt dann irgendein Verrückter mit einem Bart und einem Hut und du schaust in das Vakuum seiner Augen und sagst: «Do you want to make a deal».
Wenner fand sich nicht nur im Subtext von Dylans Zeilen wieder, sondern auch in der direkten und fordernden Sprache dieser Aufbruchszeit, mit der er aber als Journalist in den etablierten Medien kaum landen konnte und deshalb 1967 eine eigene Zeitschrift gründete, den «Rolling Stone».
Zu diesem Zeitpunkt waren die protestierenden Buhs, die Dylan beim ersten Auftritt mit der Elektro-Gitarre für «Like a rolling stone» von seiner alten Folk-Gemeinde noch erhalten hatte, schon verstummt – er hatte nicht nur sich neu erfunden, er hatte auch der Musikwelt einen entscheidenden Impuls verpaßt und ein neues Genre erfunden: Folk-Rock.
Die «Beatles» hatten ihm dabei demonstriert, wo es musikalisch lang geht – Dylan half ihnen im Gegenzug, inhaltlich über «She loves you – yeah yeah yeah» hinauszukommen. Am 24. August 1964, so ist es in der Beatles-Chronologie festgehalten, probierten die bis dahin nur mit Alkohol und Aufputschmitteln vertrauten Pilzköpfe im Haus von Bob Dylan erstmals Marihuana – zu «Lucy in the Sky with Diamonds» war es von da nicht mehr weit. So wie Dylan die Folk-Klamotten legten sie die Showanzüge ab, aus der unterhaltsamen Liverpooler Boygroup wurden die engagierten «Beatles» …
Der Song des mittlerweile zu Recht für sein lyrisches Werk mit dem Nobelpreis geadelten 24-jährigen Dylan mag für die Ohren heutiger Jugendlicher wie ein Relikt aus der musikalischen Mottenkiste klingen – 1965 hingegen elektrisierte das Stück die Hörer. So zufällig und auf Umwegen freilich, wie es seinen Weg aus der «Columbia»-Ablage zum Welthit gefunden hatte, so zufällig war auch sein Sound entstanden.
Außer dem Gitarristen Mike Bloomfield, mit dem Dylan vorher ein bisschen geprobt und ihn angewiesen hatte «ja nicht so einen B.B.King-Scheiß zu spielen», brachte er nur einen Haufen Text-Zettel mit ins Studio(sie wurden 2014 für 2 Mio. $ versteigert), keine Noten.
Die Musiker, die der Produzent Tom Wilson für Bass, Schlagzeug und Piano bestellt hatte, wussten nicht so recht, wo es langgeht und am ersten Tag der Session kam nichts Brauchbares heraus. Am zweiten Tag saß dann zufällig ein junger Studio-Gitarrist, Al Kooper, hinter der Scheibe, der die anderen Musiker kannte. Die Takes schleppten sich dahin, das Stück nahm keine richtige Fahrt auf.
Als der Produzent zum Telefon gerufen wurde, ging Kooper in den Aufnahmeraum, setzte sich an die Orgel und machte einen Vorschlag, wie man den Chorus aufladen könnte – mit jenen nach Garagen-Gospel klingenden hohen Orgelakkorden, die dem Refrain nach dem «How does ist feel» mit einem Zauberstreich ein neues Gepräge gaben.
Als der Produzent nach dem Telefonat zurückkam, wunderte er sich: «Hey, was machst du denn da an der Orgel…» – Kooper grinste zurück und der Produzent rief: «Awright, here we go…» – und dieser Take war es dann.
Die Band, die den Song des Jahrhunderts aufnahm, spielte danach nie wieder zusammen. Der grandiose Gitarrist Mike Bloomfield scheiterte in den 80er an Alkohol und Heroin, Al Kooper gründete und produzierte später Bands wie «Blood, Sweat & Tears» und «Lynard Skynard» – und alle anderen sind vergessen.
Nur Bob Dylan – «für die Popmusik das Gleiche wie Einstein für die Physik» (Newsweek) – ist noch immer unterwegs, ein Gestirn, das seine Kreise zieht, seit 1988 auf einer «Never Ending Tour» mit bis zu 200 Konzerten pro Jahr (aktuelle Daten auf www.bobdylan.com), with no direction home, strahlend und funkelnd, aber auch düster und traurig – wie das nun mal so ist, in Himmel und Hölle auf Erden, Like a rolling stone…
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