3 Fragen an Pflegefachfrau Chantal Barmettler
Die Pflege steht vor grossen Herausforderungen. Um ihre Qualität erhalten zu können, müssen mehr Pflegefachkräfte ausgebildet werden, die länger im Beruf bleiben. In diesem Sinne verlangt die Pflegeinitiative, dass Bund und Kantone die Pflege fördern. Ausserdem fordert die Initiative, über die am 28. November abgestimmt wird, dass der Bund für eine angemessene Entöhnung sorgt, die Arbeitsbedingungen regelt und dass die Pflegefachpersonen gewisse Leistungen direkt zulasten der Krankenkasse abrechnen können. Chantal Barmettler aus Nidwalden arbeitet seit rund zehn Jahren in der Pflege, seit 2017 im Kanton Zürich. Die Worte der 32-Jährigen sind klar: «Wird die Initiative abgelehnt, weiss ich nicht, wie wir mittel- bis langfristig eine sichere Betreuung der Patienten und Patientinnen gewährleisten sollen.»
Zeitpunkt: Corona hat gezeigt, dass im Gesundheitswesen ein Wandel dringend notwendig ist. Wie ist das für Sie, wenn nach dieser Krise immer noch Leute daran zweifeln?
Chantal Barmettler: Es macht Angst, und ich fühle mich in Stich gelassen. Die Arbeit mit Covid-erkrankten Patienten auf der Intensivstation ist sehr belastend. Die Patienten benötigen viele Ressourcen und viel Know-How. Aufgrund der hohen Belastung wurden Arbeitskolleginnen von mir krank, was dann wiederum zu eine erhöhten Arbeitsbelastung für das verbliebene Personal führte – dass dabei Fehler passieren oder wichtige Dinge untergehen, ist fast nicht zu vermeiden. In solchen Momenten wünschte ich mir ich könnte mich vierteilen.
Viele meiner Kolleginnen sind sich im Moment beruflich am Umorientieren oder reduzieren das Pensum, weil sie der Belastung nicht mehr standhalten können oder wollen. Die Perspektive, die uns Pflegende erwartet, sieht nicht wirklich rosig aus. Die Bevölkerung wird immer älter, und dadurch steigt auch die Krankheitslast. Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden zunehmen.
Ich verstehe, dass viele Leute sich des Personalmangels in der Pflege nicht bewusst sind. Besonders, wenn sie nicht selbst Pflege benötigen oder keine Angehörige haben, die gepflegt werden müssen Doch der Personalmangel betrifft nicht nur uns Pflegende, es geht alle etwas an. Denn voraussichtlich ist jeder von uns irgendwann auf Pflege angewiesen. Ich hoffe, es ist dann auch noch jemand da...
Nun, werden wir konkret: Wieso soll die Pflegeinitiative unbedingt angenommen werden? Bitte nennen Sie drei Gründe.
Vorneweg: Wird die Initiative abgelehnt, weiss ich nicht, wie wir mittel- bis langfristig eine sichere Betreuung der Patienten und Patientinnen gewährleisten sollen. Dann zu Punkt eins: Um die Pflegequalität und somit die Sicherheit der Patientinnen gewährleisten zu können, braucht es genügend Pflegefachpersonen in allen Bereichen. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass die Pflegequalität am besten ist, wenn 80 Prozent der Leistungen von diplomierten Pflegefachpersonen übernommen wird. Dadurch können Komplikationen und Fehler verringert werden und somit gibt es weniger Spitaleinweisungen und eine geringere Aufenthaltsdauer im Spital. Punkt zwei: Die Initiative soll unbedingt angenommen werden, um zu verhindern, dass weitere, gut ausgebildete Kolleginnen und Kollegen den Job frühzeitig verlassen und somit viel Know-How verloren geht. Vier von zehn Pflegefachpersonen verlassen den Beruf, bevor sie 35 Jahre alt sind. Es braucht verlässliche Dienstplanung und familienfreundliche Strukturen. Wir brauchen Arbeitsbedingungen, die es uns ermöglichen, ein Berufsleben lang motiviert und engagiert in unserem Beruf zu arbeiten. Punkt drei: Um den kommenden Bedarf zu decken, müssen genügend Pflegende ausgebildet werden. Im Moment sind 11‘000 Stellen in der Pflege unbesetzt. Bis 2029 braucht es aufgrund der demografischen Entwicklung 70‘000 zusätzlich Pflegende.
Was halten Sie von der Positionierung des Bundesrats, dem die Pflegeinitiative zu weit geht und einen Gegenvorschlag ausformuliert hat? Einer der Punkte der Initiative, der als heikel betrachtet wird, ist jener, dass künftig Pflegefachpersonen selber bei der Krankenkasse Leistungen einreichen und abrechnen können...
Der vom Parlament erarbeitete indirekte Gegenvorschlag konzentriert sich auf die Ausbildung neuer Pflegefachpersonen. An der chronischen Überlastung der heute tätigen Pflegenden, ihren schwierigen Arbeitsbedingungen und den vielen frühzeitigen Berufsausstiegen ändert sich nichts. Es fehlen Massnahmen, um die Arbeitsbedingungen der Pflegenden zu verbessern, die heute im Beruf tätig sind. Es fehlen Massnahmen, um frühzeitige Berufsausstiege zu verhindern und um die Pflegequalität zu sichern.
Zum Punkt vom Selberabrechnen bei der Krankenkasse: Dies betrifft zum Beispiel die Spitexleistungen. Aktuell werden diese in drei Tarifgruppen eingeteilt, die teilweise vom Hausarzt visiert werden müssen. Ein Beispiel: Stützstrumpf. Der Arzt stellt die Indikation, dass der Patient Stützstrümpfe benötigt. Die Pflegefachperson erkennt nun, dass der Patient aufgrund seiner eingeschränkten Mobilität beim Anziehen der Stützstrümpfe auf Hilfe angewiesen ist. Die Leistung des Stützstrumpf-Anziehens muss die Pflegfachperson erst wieder vom Arzt visiert bekommen, damit sie diese dann bei der Krankenkasse eingeben kann. Obwohl der Arzt die Therapie ursprünglich indiziert hat. Ja, die Pflegeinitative möchte, dass die Pflegefachperson gewisse Leistungen selber abrechnen dürfen. Dadurch würde viel unnötige Bürokratie wegfallen. Ausserdem besteht bereits ein Kontrollmechanismus durch die Krankenkassen, die die Leistungen nach vorgeschriebenen Kriterien kontrollieren. Die Pflegefachperson ist verpflichtet, nach der Abklärung des Pflegebedarfs mit dem «Klienten» eine detaillierte Pflegeplanung mit allen Leistungen an die Krankenkasse zu senden, wenn verlangt. Die Krankenkasse beurteilt dann, welche Leistungen gerechtfertigt sind und welche nicht. Dies bedeutet: Es ändert sich an den Kosten eigentlich nichts.
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