3 Fragen an Psychologin Jacqueline Frossard
Als Vorstandsmitglied der Föderation der Schweizer Psychologen und Psychologinnen befasste sie sich im Krisenjahr mit den psychischen Folgen von Corona. Die 64-jährige Psychotherapeutin und Gerichtspräsidentin, die für fürsorgerische Unterbringungen in Basel zuständig ist, sieht die Schwierigkeiten, die eine lang andauernde Isolation mit sich bringen kann. Small Talk müsse möglicherweise wieder gelernt werden, so Jacqueline Frossard, dazu gibt sie ein paar Ratschläge.
Zeitpunkt: Weniger soziale Kontakte, das hatten wir alle. Einige Menschen aber zogen sich aus Angst vor dem Virus fast ganz zurück. Was macht das mit einem?
Jacqueline Frossard: Ein solcher Mensch lebt dann in einer reizarmen Umgebung ohne Inspiration. Impulse, die Erinnerungen hochleben lassen oder zu einer konstruktiven Form des Nachdenkens anregen, fehlen weitgehend. Es besteht die Gefahr, dass diese Menschen in ihrer Zurückgezogenheit ins Grübeln kommen. Dass sich ihre Gedanken im Kreis drehen, statt dass sie einen konstruktiven Weg einschlagen und eine Lösung finden. Wenn diese Kreisgedanken in einer Abwärtsspirale münden, kann das zu einer depressiven Entwicklung führen, bis hin zu Angst- oder Zwangsstörungen sowie einer Suchtentwicklung. Gerade bei älteren Menschen besteht ausserdem die Gefahr, dass sich ein vorzeitiger kognitiver Abbau einstellt, aufgrund der reduzierten Impulse und dem Mangel an täglichen Herausforderungen. Einige Menschen könnten daher Mühe haben, wieder in das aktive und selbständige Leben zurückzufinden, das sie vor Corona geführt haben.
Gut ist sicher, dass viele Menschen im vergangenen Jahr im virtuellen Raum – per Skype oder WhatsApp – sowie am Telefon weiterhin Kontakte pflegten. Ebenfalls positiv ist, dass sich damit für manche Menschen eine neue Welt eröffnet hat, die sie ohne Corona nicht kennengelernt hätten. Kontakte zu pflegen, ist einfacher geworden, aber gerade das ist auch das Negative: Man muss sich weniger für das Gegenüber anstrengen, keinen Weg mehr auf sich nehmen, sich nicht mehr ausgehtauglich anziehen und pflegen. Hier müssen wir den Weg nun zurückfinden, die warme Stube verlassen und den bequemen Hausdress ablegen, wenn wir wieder in einer echten, persönlichen Beziehungswelt leben wollen, in der wir andere in ihrer Ganzheit erfassen können – und nicht nur akustisch oder in einem Viereck am Computer.
Das wäre dann auch die Frage: Jetzt sind Lockerungen da. Viele haben aber den Smalltalk und das Begegnen mit vielen Leuten verlernt...
Ja, wir müssen nicht nur wieder in die Gänge kommen, sondern uns auch überlegen, was wir von den alten Begegnungsritualen wieder übernehmen wollen und was nicht. Will ich die inzwischen fast üblich oder fast zum Zwang gewordenen Küsse bei der Begrüssung wieder haben, oder nicht? Oder möchte ich an ihrer Stelle eine Umarmung? Will ich wieder die Hand geben oder lieber eine andere Geste zur Begrüssung? Darüber sollte man nachdenken, bevor die komplette Öffnung wieder da ist. Wenn man weiss, was man will, und gleich zu Beginn der Begegnung – oder noch besser schon vorher – Klarheit darüber schafft, können peinliche Situationen vermieden werden.
Wenn die Begrüssung vorbei ist, lauern ebenso Stolpersteine, einfach, weil wir die persönliche und vor allem auch zufällige Begegnung nicht mehr gewohnt sind. Um wieder in die Gänge zu kommen lohnt es sich, sich ein paar Fragen zurechtzulegen, die man dem Gegenüber bei einer Begegnung stellen kann. Was interessiert mich am meisten, was könnte ich fragen? Umgekehrt hilft bestimmt auch, darüber nachzudenken, was man selbst zu berichten weiss und berichten möchte. Nähe und Distanz kann man gut steuern: Möchte ich mit dem Gegenüber in einen persönlicheren Kontakt eintreten, ist es ratsam, selbst Persönlicheres zu berichten und damit den Gesprächspartner zu einem näheren Kontakt einzuladen. Hingegen wenn es gar nicht mehr geht mit der Kommunikation, dann gibt es noch den Flucht-nach-vorn-Trick, der eigentlich fast immer funktioniert: Genau das auszusprechen, was los ist, zu sagen, «es ist wirklich verrückt, nach der langen Coronazeit habe ich das Kommunizieren verlernt, ich muss das wieder lernen». Allein der Satz kann den Weg zur Kommunikation öffnen, und falls er das nicht tut, kann man anhängen: «Bis zum nächsten Mal, dann können wir es wieder besser.»
Brauchen wir überhaupt Smalltalk?
Smalltalk ist viel besser als sein Ruf. Oft ist er ein Einstieg in das Gespräch und signalisiert dem Gegenüber, dass man interessiert ist, mit ihm oder ihr in Kontakt zu treten. Dabei erfüllt der Smalltalk die Aufgabe einer Art Test- oder Anwärmphase, ein vorsichtiges gegenseitiges Herantasten, um später vielleicht in einen vertiefteren und vertrauensvolleren Kontakt zu kommen. Manchmal bleibt es aber auch beim Smalltalk. Wenn beide damit zufrieden sind, hat der Smalltak alleine so eine wichtige Funktion eingenommen. Der Schwatz mit der Coiffeuse, mit dem Garagisten, mit der Nachbarin am Briefkasten oder mit einer Person, die man ab und zu beim Einkaufen trifft, das sind Situationen, die sich im Leben wiederholen. Sie geben uns Struktur, Orientierung und das Gefühl, Teil eines Ganzen zu sein. In diesem Sinne haben sie etwas Rituelles. Gerade während der Coronazeit sind wir uns vermehrt über die Bedeutung von Ritualen bewusst geworden, eben weil sie uns gefehlt haben.
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