Aus dem Podcast «5 Minuten» von Nicolas Lindt.

Was soll an einem Schulgebet falsch sein? / © Pixabay

Ich habe in der Zeitung vor 100 Jahren geblättert und bin auf eine Nachricht gestossen, die aus heutiger Sicht von erstaunlicher Aktualität ist. Aber dazu muss ich zunächst etwas ausholen. Vor 100 Jahren waren die Traditionen in der Schweiz bekanntlich noch viel stärker verankert, vor allem die christliche Tradition unseres Landes war unangefochten und selbstverständlich. Auch in den Schulen wurden die christlichen Werte ganz natürlich gelebt und unterrichtet. Es gab den christlichen Religionsunterricht, den auch ich noch erlebte, man erzählte uns die biblischen Geschichten – und in vielen Schulen wurde am Morgen auch noch gebetet.

Manche Lehrer haben vermutlich darauf verzichtet, denn es gab schon damals keine Verpflichtung mehr für ein Schulgebet. Sie sangen zur Einstimmung in den Tag mit den Schülern vielleicht nur ein Lied. Andere Lehrer jedoch – vorwiegend auf dem Land und in katholischen Gegenden – haben mit der Klasse zusammen ein kurzes Gebet gesprochen und dem Lieben Gott bescheiden darum gebeten, sie alle gut durch den Tag zu begleiten.

Aber schon damals und hauptsächlich in den Städten gab es politische Kräfte, die es nicht ertrugen, dass die Welt bunt ist, dass verschiedene Ansichten, verschiedene Wege nebeneinander Platz haben dürfen. Sie versuchten schon seinerzeit, den Menschen ihre Vorstellungen zu diktieren – und ein besonderes Ärgernis für sie war das Schulgebet.

So berichteten vor ziemlich genau 100 Jahren die katholischen «Neuen Zürcher Nachrichten»:

Es ist unglaublich, was der infernale Haß gegen Gott und Religion zustande bringt! Der sozialistische Erziehungsdirektor von Basel, Dr. Hauser, ein grimmiger Feind des Schulgebetes, hat ein Rundschreiben an die Schulvorsteher zu Handen der Lehrerschaft gerichtet. Darin heißt es:

«Die Lehrkräfte sind verpflichtet, das Schulgebet zu unterlassen. Die erziehungsrätliche Weisung hat den Sinn einer definitiven, weder durch Abstimmung in der Klasse noch unter den Eltern zu verhindernden Maßnahme.»

Noch weiter geht der kommunistische «Basler Vorwärts», der gegen die «religiöse Beeinflussung der Arbeiterkinder» wettert. Der Kampf um das Schulgebet müsse gesteigert werden zu einem Kampf gegen die Religion in der Schule überhaupt. «Kein Arbeiterkind in den Religionsunterricht!» Das müsse die Losung der Eltern sein. Alle Arbeiter sollen ihre Kinder auffordern, sich jeglichem Beten zu widersetzen. Und zum Schluß heißt es gar: «Laßt ihnen eine proletarische Klassenerziehung zuteil werden!»

Längst hat die Linke inzwischen erreicht, was sie vor 100 Jahren schon forderte. Mit Rücksicht auf religiöse Minderheiten ist der christliche Religionsunterricht abgeschafft worden, und kein einziger Lehrer käme heute noch auf die selbstmörderische Idee, mit den Schülern jeweils am Morgen ein kurzes Gebet zu sprechen. Ein öffentlicher Sturm der Entrüstung wäre die Folge, Eltern würden entsetzt reklamieren, und auch wenn es nur eine Minderheit unter den Eltern wäre – sie bekäme natürlich Recht, der Lehrer würde gerügt und im Wiederholungsfalle entlassen.

Eigentlich aber bedaure ich es, dass die Lehrer von heute nicht mehr die Freiheit haben, ihren Unterricht individuell zu gestalten. Was soll daran falsch oder schädlich sein, den Tag mit einem kurzen Gebet zu beginnen? Man müsste nicht gleich den Lieben Gott persönlich bemühen, doch man könnte zum Beispiel folgende Worte wählen:

Ihr lieben Engel an unserer Seite
Bitte begleitet uns durch den Tag
damit es ein schöner Tag wird
ein glücklicher Tag auch für uns –

Für die Kinder
Bitte helft uns, ihr lieben Engel
dass wir ans Gute glauben
und unser Bestes versuchen
damit das Gute gelingt

 

Der Podcast «5 Minuten» erscheint dreimal pro Woche – Mo Mi Fr - auf Facebook, Spotify, iTunes und audible oder auf der Autorenseite von Nicolas Lindt.