Mit der Neolithischen Revolution begann ein kulturgeschichtlicher Wandel, der wie kein anderer Weltenschicksal und Menschenschicksal verband. Woher kam dieser bis heute in seiner Auswirkung einzigartige Impuls? War es Zufall, Klimaerwärmung, oder war es göttlicher Wille? Aus der Serie «Kulturgeschichtliche Impulse im Weltgeschehen» von Andreas Beers. Teil 2.

© Mia Leu

Über Jahrmillionen lebte der Urmensch als Jäger und Sammler. Doch dann kam ein Impuls von ausserordentlicher Tragweite, die neolithische Revolution. Mit ihr wird das erstmalige Aufkommen erzeugender Wirtschaftsweisen, sprich Ackerbau, Pflanzenbau, Viehzucht und die Sesshaftigkeit in der Geschichte der Menschheit bezeichnet. In unterschiedlichen Regionen der Welt begann eine Neuordnung des Miteinanders zwischen Menschengemeinschaften, Pflanzen, Tieren und Erde.

Von den Mysterienstätten Urpersiens ausgehend, dem «Reich des Lichts», verbreitete sich dieser Impuls um ca. 12'000 v. Chr. von Ost nach West. Der Fruchtbare Halbmond gilt als eine der Ursprungsregionen der neolithischen Revolution. Diese Region erstreckte sich von der Levante bis zum Persischen Golf. Im Jahre 2009 entdeckten Forscher bei Bab edh-Dhra in Jordanien 11`000 Jahre alte Gebäude, die als Kornspeicher angesehen werden.

Noch heute stehen wir staunend vor den Bauwerken und Kunstschätzen der alten Hochkulturen. Sumerer, Assyrer, Babylonier und Ägypter entwickelten den urpersischen Impuls weiter zu einzigartigen Kulturleistungen. Das Handwerk, die Landbewirtschaftung, die Kulturpflanzenentwicklung und die Haustierhaltung gediehen dort zu ihrer höchsten Blüte. Dies war die Voraussetzung für den bis heute unübertroffenen kunstvollen Tempel- und Städtebau. Dass dies so war, wissen wir anhand erhalten gebliebener Bauwerke und Artefakte sowie aus den schriftlichen Quellen dieser untergegangenen Kulturen. Zu welcher Zeit dies in etwa geschah, wissen wir durch modernste Messtechniken und Datierungsmethoden. Warum es geschah, wissen wir nicht! Interpretationen und Vermutungen zu dieser Frage füllen abertausende von Buchseiten.

Der entscheidende Impuls war die Durchlichtung der Welt. Lauschen wir in eines der vielen Gespräche des Zarathustra mit Ahura Mazdao aus der Vendidâd, einem der heiligen Bücher der Abastâ, so hören wir von der Kultivierung der Erde und der Bildung des Menschen, sprich über Ackerbau, Kulturpflanzenentwicklung und Haustierhaltung: «Wahrlich, wo man am meisten, o Zarathustra, durch Ansäen anbaut Getreide und Gräser, und Gräser mit essbaren Früchten, indem man zur Wüste hin Wasser schafft. O Schöpfer der Welt, Asa Ehrwürdiger! Was ist der Kern deiner Lehre?» Da sprach Ahura Mazdao: «Wenn man tüchtig Getreide anbaut, o Spitaman Zarathustra! Wer Getreide durch Aussäen anbaut, der baut Asha (die gerechte Wahrheitsordnung) an, sie führt das Licht in die Welt!»

Als Ahura Mazdao, altpersisch die Grosse Sonnen-Aura, erschien dem geöffneten geistigen Blick Zarathustras das göttliche Schöpfungswort. Zarathustra war der legendäre Initiator der urpersischen Kultur. Er lehrte den Weg, wie man durch die Maya, die äussere Sinneswelt, in die geistige Welt dringen kann. Durch diesen Impuls schaffte der Mensch in zweifacher Hinsicht eine neue Welt: Er kultivierte zum einen die Erde, und gleichzeitig den menschlichen Leib. Beide, Erde und Mensch, wurzeln im selben Urgrunde, im Logos. Nach der Lehre des griechischen Philosophen Heraklit von Ephesos (520 bis 460 v.Chr.) bedeutet der Logos das kosmische Prinzip, das Wissen um die Sinnhaftigkeit des Lebens und der Welt, die in dieser selbst liegt und im Umgang mit Menschen und Dingen erfahren wird.

Geisterkenntnis wandelte sich so über Jahrtausende zur Welterkenntnis. Das menschliche Bewusstsein erwachte wie aus einem Traum. Der Logos, das kosmische Prinzip, sollte sich in individuelle Selbsterkenntnis transformieren. Was äusserer Kultus war, sollte zum inneren «Geisteslicht», zur Durchlichtung von Erde und Mensch führen. Betrachten wir mit wachem Blick das 21. Jahrhundert und vor allem die aktuellen Zeitverhältnisse, so scheint es, als herrsche im menschlichen Bewusstsein noch tiefe Finsternis, und als würden wir in virtuellen Welten traumwandeln.

In dieser Serie bereits erschienen:
Teil 1: Die Schiffchen und Kettfäden auf dem Webstuhl der Welt

 

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Andreas Beers aus Bern ist Landwirt, Arbeitsagoge und Lehrer. Er kultiviert die Erde, sät und erntet, er denkt, spricht und schreibt über: Mensch, Erde und Himmel, oder was wir zum Leben brauchen.

«Trage die Sonne auf die Erde. Du Mensch, bist zwischen Licht und Finsternis gestellt. Sei ein Kämpfer des Lichts, liebe die Erde, verwandle sie in einen leuchtenden Edelstein. Verwandle die Pflanzen! Verwandle die Tiere! Verwandle Dich selbst!» (Altpersischer Spruch)