Die Lösung des Israel-Palästina-Konflikts: Zwei Völker – ein Staat
Ein Einheitsstaat Israel-Palästina, vorangetrieben durch die BRICS-Staaten und getragen von den friedlichen Kräften inner- und ausserhalb der Konfliktzone. Das ist die Vision des Nahostkenners und Publizisten Jochen Mitschka.
Herr Mitschka, ich danke Ihnen für Ihre grossartige Vision einer Einstaatenlösung für Israel-Palästina. Ich gehe völlig mit Ihnen einig, dass die überall propagierte Zweistaatenlösung das israelische Apartheidsregime fortsetzt. Die von Ihnen in 16 Punkten ausgeführte Einstaatenlösung Palästina-Israel für alle dort Ansässigen, mit gleichen Rechten und den beiden offiziellen Sprachen Arabisch und Hebräisch erachte ich als gerecht. Sie haben an viele Akteure gedacht, die mitbeteiligt werden müssen, von den Grossmächten Russland, Indien und China, bis zu den UN-Truppen, die in einer Übergangsphase für Frieden sorgen soll. Was ist aber mit den Gefühlen der durch Generationen kriegstraumatisierten Palästinenser und Israeli? Wie geht man mit Trauer und Rache um?
Ich glaube, dass man versuchen muss, den Palästinensern zu zeigen, dass nun eine neue Phase der Freiheit und des Wohlstandes anbricht, und dass dies möglich war, weil in Israel die gemässigten Kräfte sich durchgesetzt haben, weshalb der jahrzehntelange Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung beendet ist. Israel, mit der Schutzmacht USA, können nicht militärisch geschlagen werden. Und sicher kennt auch jeder die Samson-Doktrin Israels. Die Entwicklung zu dem Ziel eines vereinigten Israel-Palästina konnte nur durch Entwicklungen innerhalb Israels möglich werden.
Aber auch in Israel muss man dafür werben, dass nun eine Phase des Friedens und der positiven Entwicklung durch aktive Zusammenarbeit mit Ländern beginnt, welche bisher abwartend bis feindlich gesinnt waren. Man muss die Vision einer blühenden Landschaft von Ägypten über Israel und Syrien bis zum Iran aufzeigen. Man muss klar machen, dass die immensen Kriegskosten zukünftig in Entwicklung fliessen können, wodurch alle, sowohl Israelis als auch Palästinenser profitieren werden.
Die Angst bei den Israelis wird grösser sein als die Angst und der Hass der Palästinenser. Man hat das am Beispiel der Befreiung Algeriens gesehen. Auch dort waren furchtbare Kriege, unglaublicher Hass und viel Leid über die Menschen gebracht worden, bevor die koloniale Herrschaft durch eine demokratische ersetzt worden war. Der israelische Autor Eitan Bronstein Aparicio hatte sehr eindrücklich davon berichtet und die Parallelen zur Situation in Israel aufgezeigt.
Das Wichtigste aber ist, beiden Parteien klar zu machen, dass keine Partei verloren hat, sondern beide Parteien gewonnen haben. Gewonnen haben über Krieg, Feindschaft, Hass.
Natürlich ist es wichtig, dass sich dies in dem Verfassungsentwurf widerspiegelt. Keine der Religionen darf zum Beispiel in Gefahr geraten, vertrieben oder durch Mehrheitsentschlüsse in die Ecke gedrängt, benachteiligt zu werden. Das gilt natürlich durch die demografischen Bedingungen besonders für die jüdischen Menschen. Dafür muss es Garantien geben.
Natürlich wird es Extremisten auf beiden Seiten geben, natürlich wird es Widerstand geben. Aber je mehr Länder der Welt die neue Entwicklung unterstützen, desto geringer ist das Risiko, dass diese Kräfte Unterstützung in der Bevölkerung erhalten.
Was halten Sie von einer Lösung, die nicht nur Palästina, sondern auch die umgebenden Länder wie den Libanon, Syrien und Jordanien einbezieht, als eine Art supranationales, multireligiöses föderatives Gebilde? Diese Idee wird zum einen genährt durch die Idee, dass Staatsgrenzen häufig nicht Volksstrukturen entsprechen. Und zweitens habe ich als Schweizerin die Schweiz als föderativen Staat im Kopf.
Das ist eine Utopie, die bereits einmal gescheitert ist, wenn auch durch geschickte Politik des «teile und herrsche» der Kolonialmächte. Der transnationale Panarabismus würde ausserdem die Rolle jüdischer Menschen in Israel-Palästina weiter reduzieren. Deshalb würde ich diese Entwicklung derzeit in keinem Fall befürworten. Auch sind die Gesellschaftssysteme viel zu unterschiedlich. Es gibt mittelalterliche Erbdiktaturen, deren Bewohner aber mehrheitlich zufrieden mit dem Zustand sind, Akklamationsdemokratien, Theokratien, und vielleicht die erste wirkliche Demokratie in Form von Israel-Palästina. Diese Unterschiede sollte man nicht unterschätzen.
Abgesehen davon würde die Region in Gefahr geraten, eine ähnliche Entwicklung wie die EU durchzumachen. Das heisst, die lokalen Politiker berufen sich auf supranationale Einheiten, um unpopuläre Entscheidungen zu Hause diskussionslos durchsetzen zu können. Nein, ich bin in dieser Phase für eine Zusammenarbeit der Regionen auf wirtschaftlicher, sicherheitspolitischer und kultureller Basis. Je näher die Regierenden an der Basis sind, und dieser gegenüber Verantwortung übernehmen müssen, desto besser. Eine Zusammenarbeit wird durch die gemeinsame Sprache sicher erleichtert werden.
Man sollte also zunächst sehr vorsichtig mit solchen Ideen umgehen, so lange die Staatenbildung in den – durch Kolonialstaaten willkürlich gezogenen – Grenzen noch nicht absolut gefestigt ist.
Unter Punkt Ihres 16-Punkte-Planes schreiben Sie, dass alle Juden in der Welt mitbestimmen sollen dürfen über die neue Staatsform, ob also Israel neu Israel-Palästina heissen und alle Bürger darin die gleichen Rechte haben sollen. Der Vorschlag, alle Juden einzubeziehen, beruhe, schreiben Sie, darauf, dass Israel alle Juden zu seinen Staatsbürgern deklariert. Wieso sollen nicht auch alle Palästinenser, die ja oft als Staatenlose überall auf der Welt verteilt leben, nicht auch mitbestimmen dürfen?
Das ist ein guter Punkt. Wir können sowieso nicht vorschreiben, was letztendlich zwischen den Parteien ausgehandelt wird. Ich habe einfach versucht, aus neutraler Sicht eine Meinung einzubringen. Und die palästinensische Autonomiebehörde beansprucht eben nicht, Vertreter aller Palästinenser zu sein, auch wenn diese die Staatsangehörigkeit eines anderes Landes besitzen. Jedenfalls ist das mein Kenntnisstand. Aber wie gesagt: Das müssen die Parteien untereinander ausmachen. Vielleicht einigt man sich auch nur darauf, nur diejenigen zu befragen, die derzeit unter der absoluten Kontrolle des israelischen Staates stehen.
Was ist mit den Entschädigungszahlungen an die Palästinenser bzw. deren Nachkommen, die von Israel vertrieben worden waren? In Ihrem Plan billigen Sie den Israeli Besitzstand zu. Könnte dies nicht zu jahrelangen juristischen Gefechten führen oder die Einstaatenlösung zum Einsturz bringen?
Nun ich bin von meinem Beispiel ausgegangen. Mein Vater hatte Eigentum im jetzigen Polen, das er durch Flucht aufgab. Meine Familie väterlicherseits hatte mir gesagt, ich müsse nun Ansprüche darauf geltend machen. Was ich verweigerte. Ich habe mir eine Existenz aufgebaut, und die Menschen in Polen hatten sich, in dem Glauben rechtens zu handeln, auch eine Existenz aufgebaut.
Wieso sollte ich nun hingehen, und alte Wunden aufreissen. Ich glaube, dass viele Palästinenser so denken werden, wenn einmal Frieden endlich greifbar wird.
Abgesehen davon muss man natürlich Unterschiede machen. Menschen, die in dritter Generation ohne Hoffnung auf Besserung in einem Flüchtlingscamp leben, müssen natürlich andere Entschädigungsrechte erhalten als solche, welche sich längst in anderen Ländern eine Existenz aufgebaut haben, und gar nicht beabsichtigen, ausser zu Familienbesuchen, oder im Alter, zurückzukommen.
Aber wie gesagt: Das muss von den Mediatoren, von den Verhandlern diskutiert und intensiv unter Berücksichtigung der Menschlichkeit vereinbart werden. Es gibt sicher viele kluge Ideen, die da noch eingebracht werden können.
Wie Sie richtig bemerken, könnte eine befriedete Region Palästina-Arabische Halbinsel-Iran wirtschaftlich sehr erfolgreich sein. Ist das auch der Grund, wieso die USA und der Westen gar nicht interessiert sind an einem Frieden im Israel-Palästina-Konflikt?
Das ist ein grosses Problem, aber natürlich auch die Entwicklung der israelischen Gesellschaft im Laufe der letzten Jahre. Während denen liberale Kräfte abwanderten und immer mehr rechte Strömungen Zulauf erhielten. Das sind vermutlich die wesentlichsten Probleme. Daher hatte ich in meinen Vorschlägen so selten die alten Kolonialländer und die USA genannt. Ich denke, dass noch viel Arbeit an der Basis dieser Länder notwendig ist, um die Führung dazu zu bringen, einer Einstaatenlösung zuzustimmen. Schliesslich wurde auch die Apartheid in Südafrika nicht durch die Politiker, sondern Graswurzelbewegungen entscheidend beeinflusst. Hafenarbeiter, die sich weigerten, südafrikanische Schiffe zu entladen, Boykott von Waren usw. Die grosse Politik war am Ende gezwungen dem Druck nachzugeben.
Sehen Sie wirtschafts- und geopolitische Gegebenheiten, die Ihre Utopie schneller als gedacht umsetzbar erscheinen lassen, zum Beispiel eine erneute Finanzkrise in den USA?
Ja zweifelsohne, so traurig das insbesondere für uns Europäer sein wird, die sicher erheblich unter dieser Krise in den USA leiden werden, kann das den Widerstand gegen einen Frieden im Nahen Osten dämpfen.
Herr Mitschka, sehen Sie Kräfte oder einzelne Frauen und Männer, die Ihren Plan zur Einstaatenlösung zum Durchbruch verhelfen können?
Ach, wissen Sie, die Zeiten der grossen Führer sind meines Erachtens vorbei, sollten zumindest vorbei sein. Denn durch den Sturz grosser Führer konnten in der Vergangenheit leicht politische Entwicklungen abgewürgt werden. Was wir benötigen ist eine möglichst breite Basis und ein Konsens, der durch alle politischen und dogmatischen Unterschiede ein Ziel verfolgt: Gerechter Frieden im Nahen Osten. Diese Kräfte müssen sich einige werden, dass das ein Ziel ist, das sie GEMEINSAM verfolgen wollen. Egal ob links oder rechts, Diktatur oder Theokratie, Muslim oder Christ. Wenn der Frieden erreicht ist, die wirtschaftliche Entwicklung den Nahen Osten zu einem Mekka der Investoren und innovativen Köpfe macht, dann kann man sich wieder gewaltlos auseinandersetzen, ob nun mehr Sozialismus, mehr Kapitalismus oder mehr Theokratie die beste Lösung ist.
Lebenslauf
Jochen Mitschka war unter anderem Unternehmensberater mit eigenem Unternehmen in Südostasien und einem kurzen Einsatz im Rahmen einer UNO-Massnahme in Vietnam. Nebenbei verfasste er unter Pseudonymen Bücher über Politik und Gesellschaft der Region. Er kam 2009 zurück nach Deutschland, um bis zu seinem Ruhestand im August 2017 als angestellter Projektkoordinator und -manager für eine führende Softwarefirma zu arbeiten. Er übersetzte Tim Andersons »Dirty War on Syria«; in der deutschen Version erschienen im Liepsen Verlag, und Kees van der Pijls »Der Abschuss: Flug MH17, die Ukraine und der neue Kalte Krieg«, erschienen im PapyRossa Verlag. Und er schrieb zusammen mit Tim Anderson ein Buch über »Die Menschenrechtsindustrie im humanitären Angriffskrieg«, das im Kopp Verlag erschien, ebenso wie sein Buch »Deutschlands Angriffskriege «. In der Reihe »Politicum Illustrati« veröffentlichte er verschiedene Essays. Ausserdem arbeitet er als Autor für mehrere Online-Medien. Im NIBE bzw. Alitheia Verlag veröffentlichte er bis 2020 verschiedene Bücher in einer Reihe »Schattenkriege des Imperiums«. Quelle: https://www.lovelybooks.de/autor/Jochen-Mitschka/
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